Der Hybride Film. Beim Filmfest Hamburg 2013 laufen experimentellere Werke, die mehrere Genres vermischen, wahlweise Dokumentarisches und Animiertes oder Fiktionalisiertes unter dieser Sammelbezeichnung. Bislang war mir der Fachterminus nicht wirklich geläufig und ich kann mich damit auch nicht recht anfreunden, mit einem großen Teil der dargebotenen Filme aber schon. Die aberwitzige Animationsdoku „Tito on Ice“ gehört definitiv zu den Festival-Highlights. Zwei schwedische Comiczeichner sind im Nachkriegs Ex-Jugoslawien auf Austellungstour unterwegs und haben die Mumie von Marshall Tito im Gepäck. Wahnwitz im Filmformat.
Max Andersson und Lars Sjunneson haben zusammen den Comic „Bosnian Flag Dog“ gezeichnet. Daher werden Sie begleitet von Co-Regisseurin Helena Ahonen zu Comicfestivals im ehemaligen Jugoslawien eingeladen. Als speziellen Gimmick, der auch im Comic eine wichtige Rolle spielt, haben sie den verstorbenen jugoslawischen Präsidenten Tito im Gepäck, vielmehr eine Styropor-Version seiner Mumie. Das führt zu allerlei seltsamen Begegnungen und einer hochinteressanten Rundreise durch die Subkulur der von Kriegen verheerten Städe im ehemaligen Jugoslawien.
Grundlage für den Film sind die rohen Videoaufnahmen, die während der Reise 2003 entstanden. Der Künstler Max Andersson hat das Ganze noch mit wahnwitzigen, teilweise hysterisch lustigen Stop-Motion-Animationen angereichert, die „Tito on Ice“ zu einem optischen Genuss machen. Zu den Sounds von Balkanpunk und Laibach-Industrial wechseln sich zerstörte Innenstädte, Interviewsequenzen und grobe, bewusst handgemachte Animationen, die sowohl an den filmischen Expressionismus der 1920er als auch an die sozialistische Kollosal-Architektur der Ostblockstaaten erinnern.
Doch von Niedergeschlagenheit ist wenig zu spüren, vielmehr vermittelt „Tito On Ice“ die damalige Aufbruchsstimmung und auf absurd lustige Weise den Kulturschock der herumreisenden Schweden. Das erinnert stimmungsmäßig bisweilen auch an Julie Zehs Reiseroman „Die Stille ist ein Geräusch“ von 2001, als sich die Schriftstellerin auf eine Reise durch Bosnien wagte, ist aber weitaus durchgeknallter. Die Comics von Max Andersson werden hierzulande bei Reprodukt verlegt.
Fazit: „Tito On Ice“ ist ein mutiger Animations-Dokumentations-Crossover, der sowohl witzig als auch politisch ist und eine Gegenkultur zeigt, die in der Geschichtsschreibung so selten zu sehen ist. Ein großartiger Film, der beim Animationsfestival in Ottawa prämiert wurde.
Film-Wertung: (8,5 / 10)
„Tito On Ice“
OT: Tito On Ice
Genre: Animation,Dokumetation
Länge: 78 Minuten, S, 2013
Regie: Max Andersson, Helena Ahonen
Mitwirkende: Max Andersson, Lars Sjunnesson, Štefan Skledar, Katerina Mirović, Ivan Mitrevski, Helena Ahonen
Vertrieb: Nail Films
Deutschlandstart: nicht bekannt
Vorstellungen auf dem Filmfest Hamburg: Mo, 30.09. 19:45 Studio 1 & Do, 03.10. 21:45 Kino 3001
Weiterführende Links:
Filmseite beim Filmest Hamburg
Max Andersson Homepage
Reprodukt Verlag
Tito on Ice internationale Film-Hompage