Spätestens seit Occupy Wall Street 2011 in New York zur größten amerikanischen Protestbewegung geworden ist, genießt der Aktivist David Graeber eine gewisse Prominenz. Nicht selten wir er als der intellektuelle Vordenker der Occupybewegung benannt, dabei ist der Anarchist und Ethnologe schon seit mehr als einem Jahrzehnt politisch aktiv. Nun ist seine Studie „Direkte Aktion“ in der Edition Nautilus auch auf deutsch erschienen.
Im aktualisierten Vorwort umreißt David Graeber gleich, dass es sich bei seinem „Handbuch „Direkte Aktion“ um eine Langzeitbeobachtung handelt, die sich vor allem auf die gobalisierungskritischen Grasswurzelproteste um die Jahrtausendwende bezieht. Graeber war zu der Zeit aktiv an vielen der Proteste, die sich auch als direkte Aktionen verstanden, beteiligt und vor allem in den New Yorker Aktionsgruppen aktiv. Der Mann weiß also, wovon er berichtet.
Selbstredend geht es zunächst um Begriffsklärungen und dann wird es auch schon verblüffend, zumindest für den Leser, der sich bislang nicht mit anarchistischer Denkweise beschäftigt hat. Graeber weist auf die Diskrepanz hin, dass vieles von dem was sich praktisch als Anarchismus versteht ohne Theorie auskommen muss und dass der Versuch diese libertäre Weltanschauung in Theoriegebilden zu fassen von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist; oder ein äußerst akademisches Zerrbild produziert, wie das viele der Veröffentlichungen über den Anarchismus tun. Wichtige, ja wesentliche Einflüsse des modernen Anarchismus sind vielmehr die Künstlerbewegung der Situationisten, die in den 1960er Jahren aktiv war und der Feminismus mit seinem Bemühen um gesellschaftlichen Umgang der nicht diskriminierend ist.
Die Ab- und Eingrenzung, was denn nun eine direkte Aktion ist und was strenggenommen nicht, erweist sich als nicht so ganz einfach, bleibt aber letztlich auch akademisch. Graeber geht es darum, die Funktionsweise der Aktionen und auch der Aktionsgruppen darzulegen. Es geht um basisdemokratische Entscheidungsprozesse, um eine Diskussionskultur, die nicht repressiv und diskriminierend ist, um Konsensfindung und darum wie Direkte Aktionen etwas bewirken können und wo dieser Wirkung Grenzen gesetzt sind.
„Eine Gesellschaft, die uns alltägliche Abenteuer vorenthält, macht ihre eigene Abschaffung zum einzig möglichen Abenteuer.“ (Aktivistengruppe Reclaim the Streets)
Über weite Strecken ist „Direkte Aktion“ sehr gut lesbar und enthält sich wohltuend des akademischen Jargons. Das „Handbuch“ ist im Wesentlichen klar aufgebaut und schafft es auch einen detaillierten Eindruck von der Prozesshaftigkeit und den Schwierigkeiten der Aktivisten-Aktionen und der gelegentlich eigenwilligen Aktivistenkultur zu schildern. Das geschieht bisweilen höchst unterhaltsam, bisweilen verzettelt es sich in der Weigerung zu verallgemeinern. Die überarbeitete deutsche Ausgabe wurde in Abstimmung mit dem Autor deutlich gekürzt. Die 2009 erschienene amerikanische Originalausgabe war deutlich umfangreicher. Der Leser jedoch wird nichts vermissen, vor allem, weil die ethnografische Beobachtung sich häufig am Einzelfall, am exemplarischen orientiert.
„Direkte Aktion – ein Handbuch“ ist ein typisches Werk der beobachtenden Kultur und Sozialanthropologie. Ethnologische Beobachtungen bleiben, weil sie häufig mit der aktiven Teilhabe des Autors oder Beobachters verknüpft sind, in gewisser Weise Momentaufnahmen und das Erkennen von Muster und Strukturen steht im Vordergrund der Betrachtung. Andererseits ist David Graeber ein politischer Aktivist und macht keinen Hehl daraus, dass „Direkte Aktion“ auch als Leitfaden verstanden werden soll, wie sich sozialer Protest Wege suchen kann und jenseits der Bürgerinitiative und der Wutbürgerdemo Gewicht bekommen kann. So kommen auch die kontroversen Aspekte Gewaltausbrücke bei den Aktionen, „schwarze Block“, der nach Graeber eher eine Einstellung als eine Gruppe ist (S. 146) und die konfliktträchtigen Auseinandersetzungen mit den Ordnungsmächten in seiner Beobachtung zum Tragen.
Der Aktivist David Graeber hat mit „Direkte Aktion – ein Handbuch“ ein lesenswertes Werk vorgelegt, das jeder der sich mit basisdemokratischen Prozessen und Protestbewegungen beschäftigt lesen sollte. Man muss kein Anarchist sein, um mit der bestehenden Ordnung der Dinge unzufrieden zu sein und etwas ändern zu wollen.
Buch-Wertung: (8 / 10)
David Graeber: Direkte Aktion – Ein Handbuch
OT: Direct Action
Genre: Sachbuch, Studie, Anarchismus,
Übersetzung: Sophia Deeg
ISBN 978-3-89401-775-0
Verlag: Edition Nautilus, Broschur, 352 Seiten
VÖ: 22. März 2013
Weiterführende Links:
Direkte Aktion bei Edition Nautilus