Neal Stephenson: Error – Globale Geldwäsche

Neal Stephenson ist ein schriftstellerisches Phänomen: trotz ausladender Romane landen seine Bücher regelmäßig in den Bestsellerlisten. So auch der jüngst erschienene Thriller „Error“ der als „bester Thriller des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Trotz Onlinerollenspielen, fundamentalistischem Terrorismus, Computerviren und Russischer Mafia ist „Error“ vielleicht Stephensons zugänglichstes Werk, weil es die Verwirrung der Welt spiegelt.  In „Error“  schafft es Neal Stephenson mit spielerischer Leichtigkeit aus dem Wirrwarr nicht nur eine hochkomplexe Geschichte zu konstruieren, sondern  gleichzeitig hochspannend und lustig zu unterhalten. Für einen 1000 seitigen Schmöker eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. „Error“ ist der Thriller des Jahres.

Irgendwo muss es anfangen und es beginnt mit Richard Forthrast, Gründer und Mitinhaber eines hochgradig profitablen Onlinerollenspiels namens T’rain. Der Zug hat Fahrt aufgenommen und auch dank cleverer Businessentscheidungen eine riesige weltweite Fangemeinde. Das liegt auch daran, dass der Spieler mit T’rain reales Geld verdienen kann, zwar nur wenig, aber global verfügbar, was das Spiel für Millionen von chinesischen Nerds interessant macht.

„Das Gehirn…war irgendwie mit dem Stromnetz in Mogadischu vergleichbar.“ (S. 135)

Richards Nichte Zula, ein in der Kindheit aus Eritrea geflüchtetes Mädchen und inzwischen studierte Geologin, bekommt von ihrem Onkel das Angebot, für sein Unternehmen zu arbeiten. Ihr Freund Peter, ein Fachmann für Computersicherheit, übt sich derweil als Kleinkrimineller und will Kreditkartendaten verhökern. Und damit beginnt der ganze Stress. Ein neuartiges Virus namens REAMDE (so auch der Originaltitel von „Error“), das im Spiel T’rain Datenpakete kidnappt und die Spieler zu Lösegeldzahlungen erpresst, frisst bei der Übergabe die Kreditkartendaten. Das ruft den Auftraggeber, einen russischen Mafioso auf den Plan und bringt Peter und Zula in arge Bedrängnis. Sie sollen die Daten zurückholen indem sie den Virenschreiber finden. Die Spur führt in die chinesische Hafenstadt Xiamen und die Dinge werden komplizierter, denn unbeabsichtigt wird auch eine islamistische Terrorzelle, die vom britischen Geheimdienst beobachtet wird, handfest in die Datenwiederbeschaffung verwickelt. Richard wundert sich derweil über die neuen, ungewöhnlich martialischen Entwicklungen in seiner Onlinewelt T‘rain und fragt sich, wo seine Nichte denn abgeblieben ist.

„Warum glauben sie das? Weil wir Hacker sind und sie Kinofilme gesehen haben.“ (S. 261)

Es gibt nicht viele Autoren, die es schaffen MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games), Kreditkartenbetrug, die russische Mafia und karibische Terroristen zu einer überbordenden Thriller-Handlung zusammenzubringen, dabei noch zu unterhalten. Neil Stephenson schafft das mit viel Geschick, einer clever konstruierten Handlung und mit einem Erzähler, der über den Dingen steht und sich auch nicht scheut, den Leser mal direkt anzusprechen. Es ist fast unmöglich auf über 1000 Seiten durchgehend Spannung zu erzeugen und im Vergleich zu Stephensons grandiosem Frühwerk „Snow Crash“ (1992), das auf seinen geradezu schmalen 500 Seiten vor allem vom hohen Tempo lebt, muss sich der Leser in „Error“ immer wieder gedulden, um weiter in die Spielwelt, die Gedankengänge oder die parallel ablaufenden Handlungen der einzelnen Figuren einzutauchen, das ist auch mal der auf etlichen Seiten ausgeführte bisherige Werdegang einer gerade aufgetretenen Figur. Doch der Autor hat ein Händchen für Erzähltempo und für Cliffhänger und so gelingt es „Error“ gleichzeitig zu fesseln und tief in eine turbulente, höchst lebendige Welt einzutauchen.

Was „Error“ dabei so einzigartig und so faszinierend macht, ist die exemplarische und glaubhafte Verschmelzung des virtuellen mit der Realität. Erst durch die Fantasywelt, in die man übrigens auch leicht hineinfindet, ohne eine Computerspielaffinität zu haben,  werden auf dem realen Globus Ereignisse in Gang gesetzt. Globalisierung wird ebenso zur Erfahrung wie der buchstäbliche Sack Reis, der in China umfällt und den Lauf der Geschehnisse beeinflusst. Kein Wunder, dass im Gegenzug der einzelne einen Rückzugsraum in einer heilen, ober besser überschaubaren Welt sucht – eben im Onlinespiel.

Fazit: Neal Stephensons Thriller “Error“ ist schlicht brillant und ein überbordendes, faszinierendes Lesevergnügen. Mit traumwandlerischer Sicherheit schafft es der Autor, die hochkomplexe und undurchschaubare Handlung zu entwirren und dem Leser dabei auch noch die Welt zu erklären. Stephenson macht mit „Error“ den Schritt aus der Science-Fiction und Historiennische in die Gegenwart und obwohl er sich der Mittel des Thrillers bedient, geht „Error“ weit über Genre hinaus und ist im besten Sinne Gegenwartsliteratur.

Roman-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Neal Stephenson: „Error“
OT: REAMDE
Genre: Thriller, USA 2012
Übersetzung: Juliane Gräbner-Müller, Nikolaus Stingl
ISBN: 978-3-442-54692-3
Verlag: Manhattan, 1024 Seiten, gebunden
VÖ: 16.10.2012

Weiterführende Links:
Neal Stephenson Homepage
Error beim Manhattan Verlag (mit Leseprobe)
Stephenson in der deutschen und englischen wikipedia