TV-Tipps gabs an dieser Stelle schon viel zu lange nicht mehr. Am Donnerstag, 11. April 2012, zeigt ARTE in der Sendereihe Britische Filme das Drama „Boy A“ mit Andrew Garfield und Peter Mullan. Das hochgelobte Sozialdrama widmet sich einen schwierigen Thema: Die Geschichte vom ehemaligen Jugendhäftling, der nach seiner Haftstrafe eine neue Identität und damit eine zweite Chance auf ein Leben bekommt, ist ebenso irritierend wie originell. Dabei folgt „Boy A“ durchaus der britischen Tradition sozialkritischer Filme.
Jack Burridge ist der neue Name, das neue Leben, das den Ex-Häftling Eric (Andrew Garfield) nach Absitzen seiner Strafe erwartet. Die neue Identität wurde notwendig, weil der Junge in seiner Jugend zusammen mit seinem Freund Pete ein brutales Verbrechen begangen hat. Zu zweit haben die beiden ein wehrloses Mädchen niedergestochen. Doch das liegt hinter Jack. Während sein Freund Pete sich in der Haft erhängte, hat sich Jack entwickelt und ist ein sensibler, schüchterner Junge, der voller Angst und Hoffnung ist und sein Leben wiederbekommen möchte.
Der Bewährungshelfer Terry (Peter Mullan) glaubt an den Jungen und tut alles in seiner Macht stehende, damit Jack der Neustart gelingt. Doch im Internet ist ein Kopfgeld auf den „Boy A“, wie er in der Gerichtsverhandlung genannt wurde, ausgesetzt. Umso wichtiger, ganz in die neue Identität zu schlüpfen und die Vergangenheit zu vergessen. Jack beginnt bei einem Transportunternehmen zu arbeiten, findet gleich Anschluss bei seinen Kollegen und verliebt sich in Michelle (Kate Lyons), die er auf der Arbeit kennenlernt. Zaghaft baut sich zwischen den Beiden eine Liebesbeziehung auf.
Eines Tages retten Jack und sein Kollege einem kleinen Mädchen das Leben: Das schwer verletzte Kind sitzt hilflos eingeklemmt in einem Autowrack, das am Abhang einer wenig befahrenen Straße liegt. Die beiden jungen Männer werden von der Lokalpresse zu Helden stilisiert. Doch der Medienruhm bringt auch Schattenseiten, denn Jack muss fürchten, dass seine Identität auffliegt und seine Vergangenheit ihn einholt. Was dann auch geschieht.
„Boy A“ geht auf den preisgekrönten gleichnamigen Roman von Jonathan Triggel zurück und Regisseur John Crowley („Intermission“) setzt den brisanten Stoff sensibel in Szene. Mit viel Gefühl für die Unsicherheit eines jungen Mannes, der fast seine gesamte Pubertät und Jugend hinter Gittern verbracht hat, zeigt „Boy A“ Jack bei seinen ersten Gehversuchen in Freiheit. Hauptdarsteller Andrew Garfield, der hierzulande nahezu unbekannt ist, gelingt eine beindruckend intensive Darstellung des jungen introvertierten Ex-Häftlings. Völlig verdient erhielt er dafür den BAFTA-TV-Award als bester Schauspieler.
Nichts ist für den „Boy A“ selbstverständlich: Weder das Bier mit den Kollegen, noch der Umgang mit Modedrogen, der Job, schon gar nicht die Annäherung an attraktive Frauen. Und Jack pendelt, hin und hergerissen zwischen der Furcht, nicht anerkannt zu werden, dem unausgesprochenen Gruppenzwang und seinen eigenen Bedürfnissen, die er gerade erst entwickelt. Umso drastischer die Isolation, die Jack entgegenschlägt, als die Vergangenheit wieder hochkocht.
Dramaturgisch geschickt setzt Crowley der Zuversicht und Entwicklung des Jungen die Probleme des Bewährungshelfers mit dessen eigenem Sohn entgegen. Terrys Sohn entwickelt keine Perspektive, sitzt fernsehend und biertrinkend in der Bude und hat keine Freude am Leben. Doch der Vater, als Sozialarbeiter erfolgreich, findet zu seinem Jungen keinen Zugang. In Rückblenden geschieht die eingebettete Aufbereitung des ursprünglichen Verbrechens. Crowley schildert nicht einfach die Tat, sondern die Entwicklung der beiden Jungen auf das Verbrechen hin. Wir lernen Pete und Eric mit ihren Problemen kennen, bevor wir sie verurteilen können. So ist auch die Kernfrage von „Boy A“ keine, die sich leicht beantworten ließe, sondern eine der großen Herausforderungen der Gesellschaft: Wie geht man mit Menschen um, die ihre Strafe verbüßt haben? Wieviel mehr als abgesessene Strafen braucht es, um wieder akzeptiert zu werden?
Fazit: „Boy A“ ist ein außergewöhnlicher Film, in dem es keinen leichten Weg gibt. Obwohl „Boy A“ irgendwie typisch britisch ist, ist das Grundthema des Films universell und greift gerade in Zeiten scheinbar ausartender jugendlicher Gewalt ein wichtiges Thema auf.
Film-Wertung: (7 / 10)
Boy A
OT: Boy A
Genre: Drama
Länge: 106 Minuten, GB, 2007
Regie: John Crowley
Darsteller: Andrew Garfield, Peter Mullan
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Senator
Kinostart: 07.05.2009
DVD-VÖ: 18.09.2009
TV-Termin: ARTE am 11.4.2012 20:15
Boy A bei Arte