Normalerweise bin ich gar nicht so der Retrotyp, schwelge nicht übermäßig in Nostalgie und brauche auch gerne mal neues geistiges Input. Gerade was Musik und Filme angeht, hat man mit zunehmendem Alter unweigerlich das Gefühl, vieles schon gesehen bzw. gehört zu haben. In dieser Woche stürze ich mich mit Wonne in die alten Zeiten, die gerade wieder auferstehen. Mag sein, dass die kritische Sichtweise etwas darunter leidet, aber wenn alte Heroen nach langer Schaffenspause wieder etwas veröffentlichen, ist das ein Grund zur Freude. Vor allem, wenn die neuen Werke überzeugen. Hier sind die Wochen-Tipps vom 08.09.2011:
LIVE: Wer es bei dem Wetter noch wagt, sich ein Open Air anzusehen und zu –hören, der kann im Hamburger Stadtpark La Brass Banda anchecken, der sympathische Stilmix aus bayrischem Humpta, balkanesker Bläserfolklore und Ska-artigen Songs sorgt live für ausgelassenen Stimmung und einfach gute Laune. Das Quintett aus Bayern rockt richtig los und ist – vielleicht ähnlich wie das österreichische Duo Attwenger – am ehesten mit dem Label „Folklore für Fortgeschrittene“ zu fassen. Anyway, auch bei Regen eine Party. Bei Myspace finden Unentschlossene die letzten Argumente für den Konzertbesuch am Mittwoch, 14. September.
Der Knaller der Woche ist in komplett anderer Roots-Musik verortet. Wenn der kanadische Blues-Gitarrist John Campbelljohn zur Tat schreitet, geht’s zwar ziemlich rockig zu, aber der Seitenquäler ist ein Meister seines Faches und wurde mit diversen Auszeichnungen überhäuft. Kein Wunder, das Debut des Gitarristen stammt schon von 1993 und wie viele Blueskollegen wird auch er mit dem Alter einfach immer besser. Momentan ist Campbelljohn mit Triobesetzung in Deutschland auf Tour (Daten auf der Homepage). Dabei im Gepäck die empfehlenswerte Live-Scheibe „Celtic Blues“. Da ist dem Hamburger Downtown Bluesclub mal wieder ein echtes Schmankerl gelungen. Seht zu, dass die Hütte am 14. September voll wird! Es lohnt sich. Auch hier gibt’s für Unentschlossene musikalische Anspielstationen bei Myspace.
KINO: Der finnische Regisseur Aki Kaurismäki hat schon längst Legendenstatus und ist einer der einflussreichsten Regisseure der Gegenwart.
Seine „Leningrad Cowboys“ sind Kult, seine finnische Lakonie und das Hadern mit dem eigenen Schaffen wohlbekannt und viele der Kaurismäki-Filme sind eher bedrückend als aufbauend. Anders „Le Havre“: Der Film erzählt von dem alternden Boheme Marcel Marx, der sich mit seiner Frau ein Altersexil als Schuhputzer aufgebaut hat und eines Tages einen jungen afrikanischen Flüchtling trifft, der eigentlich nach London will, aber in Le Havre gestrandet ist. Für Marcel ist es keine Frage, dass er dem Jungen hilft und nach und nach entsteht eine verschworene Gemeinschaft hilfsbereiter Menschen. „Le Havre“ ist typisch Kaurismäki, viele Einstellungen wirken fast wie wunderschöne Standbilder. Der Film ist aus Zeit und Raum gefallen und erzählt eine dramatische Geschichte als Sozialmärchen. Dabei war Kaurismäki lange nicht mehr so cool und so witzig. „Le Havre“ ist ein großartiger Film und sicher einer der besten des Jahres. Hier geht’s zur Film-Besprechung.
Film-Wertung: (9 / 10)
Hier ist der Trailer:
DVD: Aufsehen erregende Neuheiten gibt es in dieser Woche nicht zu vermelden. Wer mag, kann sich mit „The Mechanic“ einen soliden Thriller in gelungener Optik ansehen. Jason Statham macht mal wieder eine gute Figur als einsamer Auftragskiller, der sich mit dem aufbrausenden Sohnemann seines ermordeten Förderers auf Rachefeldzug begibt. Neben Statham ist auch Ben Foster mit von der Partie. Die beiden ergeben ein feines Action-Duo. Das ist wirklich gelungen Action-Unterhaltung.
Film-Wertung: (7 / 10)
MUSIK: Hier nun der zweite Grund für nostalgische Freude: Primus sind zurück. Und die gute Nachricht vorweg: Sie saugen wie eh und je!
Zwölf Jahre nach dem letzten Album „Antipop“ ist das Trio um Bass-Meister Les Claypool wieder da. Larry LaLonde zwickt seine Klampfe und Original-Schlagzeuger Jay Lane sorgt für Wirbel. „Green Naugahyde“ heißt das neue Album und erinnert an das Frühwerk der Band. „Frizzle Fry“ lässt grüßen, aber ganz so rückwärtsgewandt ist das Reunion-Album nicht ausgefallen. Primus gniedeln, knarzen und frickeln, dass es dem alten Fan gehörig in den Knien zuckt. Im Stream gibt’s das Album auf der Facebookseite von Southpark, aber wer keine Lust auf Facebook hat, findet die Songs auch bei Youtube. Musikalisch scheint auf den ersten Höreindruck alles beim Gewohnten geblieben zu sein, aber die eine oder andere Instrumentalpassage zeugt schon von Claypools Aufenthalt in der amerikanischen Jam Band Szene, die zu ausgeprägtem Improvisieren neigt. Wie auch immer: „Green Naugahyde“ ist ziemlich gelungen. An Relevanz hat die Band, die einst zur Speerspitze der Alternative Szene gehörte, nichts eingebüßt: Primus sind nach wie vor einmalig. Da sei ihnen auch die eine oder andere Anleihe aus dem eigenen Werk verzeihen.
Album-Wertung: (8 / 10)
Kommt sicher und breit grinsend durch die Woche.
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