Damned United: Ein hartes Spiel

David-Peace_Damned-United-ausschnittDie Entfernung zwischen den nordenglischen Städten Derby und Leeds beträgt gerade mal 100 Kilometer. Für den Fußballtrainer Brian Clough ist das die gefühlte Distanz zwischen Himmel und Hölle. 1974 übernimmt er das Traineramt bei Leeds United von seinem großen Rivalen Don Revie, der hier mehr als ein Jahrzehnt lang erfolgreich den Fußball geprägt hat. In seinem auf Fakten basierenden Sportthriller lotet der britische Autor David Peace die 44 Tage dauernde Chronik eines angekündigten Scheiterns aus und legt einen erstaunlich spannenden Roman vor. Man muss kein Fußball-Fan sein, um „Damned United“ zu verschlingen – allein, es steigert das Vergnügen.

Zur Klärung sei gleich zu Beginn betont, dass es sich bei David Peace’s „Damned United“ um eine fiktive Geschichte handelt. Zwar sind die Personen real und alle Fakten des Romans historisch korrekt, aber die dargestellte literarische Sichtweise gehört eindeutig in den Bereich der erzählerischen Freiheit. Das ist wichtig zu wissen, da sich in Großbritannien, wo der Roman 2006 erschien, etliche der Beteiligten, auch die Hinterbliebenen des 2004 verstorbenen Brian Clough gegen die Darstellung im Roman verwehrt hatten. Unabhängig davon war das Lob der Kritik annähernd überschwänglich.

DAmned-United-BDManchmal braucht es auch einfach eine (erfolgreiche) Verfilmung, die hierzulande zu Beginn des Jahres als DVD-Premiere erschien, damit endlich auch die Buchvorlage übersetzt wird. Insofern sollten Fußballfans und Freunde des literarischen Schaffens von David Peace sich bei David Seidler bedanken. Der hat nämlich das grandiose Drehbuch des britischen Kinohits „The King’s Speech“ geschrieben. Was daher von Bedeutung ist, weil dessen Regisseur Tom Hooper zuvor auch die Verfilmung von „Damned United“ übernommen hatte. Und allen Mechanismen des Filmgeschäfts nach, haben erst die Oscar-Ehren für Tom Hooper und „The King’s Speech“ das Interesse deutscher Filmverleiher an „The Damned United“ geweckt, dem als typisch britischer Sportfilm hierzulande wohl niemand großen Absatz eingeräumt hat. Aber zurück auf den Rasen, der die Welt bedeutet.

„Jeder will sein wie du. Jeder liebt dich. Väter und Söhne, Frauen und Töchter. Jung und Alt, Reich und Arm.“

Als der junge, ehrgeizige Fußballtrainer Brian Clough sein neues Amt bei Leeds United antritt, erwartet ihn ein schweres Erbe und eine große Herausforderung. Über Jahre hinweg war Leeds zu dieser Zeit eine Macht im englischen Fußball und Leeds Trainer Don Revie galt als erfolgreiche Ikone und Macher des großen Erfolgs. Als Revie Nationaltrainer wird, entscheidet sich der Club, ausgerechnet dessen größten Kritiker zum Nachfolger zu bestimmen. Clough hatte zuvor den Fußballverein Derby County zum Erfolg geführt, galt vielen als einer der besten Trainer Englands und machte sich als offensiver Experte in Fernsehen und in der Zeitung etliche Feinde. Die Kritik richtete sich mit Vorliebe gegen den rüpelhaften Fußballstil von Leeds United.

„Es ist eine neue Welt. Es ist ein neues England.“

Kein Wunder also, dass der neue Mann nicht mit offenen Armen empfangen wird und bei Fans, Vorstand und Mannschaft auch auf tiefe Ablehnung stößt. Doch Clough empfindet das als Ansporn und sein Ehrgeiz stachelt ihn an, die Vaterfigur Don Revie vergessen zu machen. Doch mit seiner offensiven, arroganten Art eckt Clough überall an, bringt die Mannschaft gegen sich auf, fährt Misserfolg um Misserfolg ein und nach 44 Tagen ist er seinen Job wieder los.

the-damned-unitedDie Geschichte ist bekannt und in Großbritannien, wo Fußball traditionell einen noch höheren Stellenwert hat als hierzulande, gehört die Rivalität zwischen Revie und Clough, die auch eine sportliche Zeitenwende markiert, zur Folklore. Es gibt etliche Sachbücher und Biographien zu dieser Phase des englischen Fußballs, die im Anhang zu „Damned United“ auch noch einmal aufgeführt werden. Warum ist „Damned United“ dennoch ein so außergewöhnliches Buch?

Weil David Peace ein großartiger Autor ist und er es mit stilistischen Mitteln schafft einen dramatischen Sog zu entwickeln, der seinesgleichen sucht. Ausgangspunkt für das literarische Schaffen ist bei Peace fast immer eine faktische Grundlage und eine hohe regionale Identifikation. Schon in dem Red Riding Quartett, den Thrillern „1974“, „1977“, „1980“ und „1983“, schuf der Autor auf der Basis der Morde des Yorkshire Rippers ein beklemmendes Bild einer korrupten Polizei. Vier Jahre später kehrt Peace auf die Fußballplätze Yorkshires in den frühen Siebzigern zurück.

„Leeds und Liverpool schänden Wembley.“

In chronologischem Ablauf wird, fast tagebuchartig, das Leben und Arbeiten von Brian Clough abgearbeitet. Dabei gönnt der Autor dem Leser keine andere Sichtweise als die der Hauptperson; alles wird aus der Ichperspektive erzählt, im schnell gekoppelten Dialog von äußeren Abläufen und Gedanken. Daneben konstruiert Peace erzähltechnisch stimmig einen zweiten chronologischen Erzählstrang, der Cloughs Werdegang als Trainer bis zum Engagement bei Leeds United aufrollt. Auch hier gibt es einzig und allein Cloughs Sichtweise.

David Peace gelingt es erneut meisterhaft, das Innenleben einer Figur offenzulegen und die rastlose Anspannung legt sich zwangsweise über den Leser. Es wird geflucht, laut und leise, wiederholt und mehrfach. Leeds und Derby sind Malocherstädte, klassisches Arbeitermilieu früher Industrialisierung. Das ist derb und nicht sehr feingeistig, aber realistisch, authentisch und rhythmisch. Der Autor findet den Puls seines Trainers und der Sprachrhythmus reitet auf dem Herzschlag des konstant angespannten, getriebenen Mannes. Dann beginnt Peace, den Blutdruck in die Höhe zu treiben.

„Aber es gibt keinen Applaus. Keine Bewunderung. Keine Liebe hier.“

Diese Beschränkung der Erzählperspektive ist zu Beginn des Romans fordernd: Hier gibt es keinen Prolog, Figuren werden nicht eingeführt, sie tauchen auf und verschwinden wieder. Erst nach ein paar Seiten lichtet sich das Gewirr ebenso wie für Clough die Unmenge neuer Eindrücke langsam zu einem Bild wird. Und dann geht der Zug ab! Wie in einem sauber vorgetragenen blitzschnellen Konter, begonnen am eigenen Strafraum, entwickelt sich Tempofußball auf erzählerisch höchstem Niveau und nach ein paar rüden Foulversuchen am linken Flügel auf Höhe der Mittellinie gelangt der Ball doch zielsicher vor des Gegners Tor, wo Peace in konsequenter und instinktiver Abstaubermanier, die früher auch den Stürmer Brian Clough ausgezeichnet haben muss, die Pille im Netz versenkt. Doch statt grenzenlosen Jubels setzt für den arroganten, egozentrischen und krankhaft ehrgeizigen Trainer Clough die Verdammnis ein. Der Titel ist mehrdeutig genug.

Fazit: „Damned United“ ist natürlich ein Roman über Fußball, ein Roman über England, ein Roman über die frühen Siebziger, über Wandel und Veränderung, aber vor allem ist „Damned United“ ein hochspannendes Psychogramm, das Thriller-Qualitäten besitzt. Vielleicht nicht der „wahrscheinlich beste Roman, der je über Sport geschrieben wurde“ (The Times), aber ein fulminantes Buch, nicht nur für Fußballfans.

Buch-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

David-Peace_Damned-UnitedDavid Peace: Damned United
OT: The Damned United
Genre: Drama, Sport,
Übersetzung: Thomas Lötz
Verlag: Heyne Hardcore, 512 Seiten, Taschenbuch
ISBN: 978-3-453-67609-1
VÖ: 8.8.2011

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