Fort Wheeling – Teil 2: Hinter feindlichen Reihen

Der umtriebige und stilsichere Comic-Verlag Schreiber & Leser hat die deutschsprachige Hugo Pratt Werkschau im Februar 2024 um den zweiten und abschließenden Teil der „Fort Wheeling“-Western-Saga erweitert. Wie immer ist die Ausgabe vorbildlich ausgestattet. Mit einem Vorwort von Pratt persönlich und versehen mit einem kleinen Lexikon historischer Personen, die im der Story vorkommen. Dass die Kolorierung mal wieder hinreißend ist, versteht sich fast von selbst.

Die geneigte Leserschaft kennt das: Bei fortlaufenden Erzählungen ist es notwendig die vorangegangene Geschichte grob zu erfassen, um das Einsetzen der neuen Episoden und der aktuellen Handlung zu markieren. Das ist im Fall von „Fort Wheeling“ nicht allzu gravierend gespoilert, weil sich die beiden Freunde Patrick Fitzgerald und Criss Kenton immer mal wieder begegnen und dann wieder aus dem Auge verlieren. Weil ihre Wege auf verfeindeten Seiten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges sie zu anderen Orten lenken.

Was bisher geschah

Am Ende des ersten Teils der „Fort Wheeling“-Gesamtausgabe, war Criss von den Briten im Norden gefangen genommen worden. Zu seinem Glück war Patrick ebenfalls dort und verhalf dem Freund mit Hilfe des Renegaten Simon Girty zur Flucht. Auf dem Weg zurück nach Fort Wheeling trifft Kenton auf Bekannte. Unter anderem auch jenen Indianerhasser Greathouse, der die Ereignisse im der Geschichte erst ins Rollen brachte. Doch Greathouse ist wahnsinnig geworden und versteht sich in der abgelegenen Waldhütte eines Freundes.

Nun zu Beginn von „Fort Wheeling“ Teil 2 sind einige Jahre ins Land gezogen. Der Krieg zwischen Briten und Kolonialisten ist immer noch im Gang, und Criss Kenton trifft mit seiner geliebten Mohena in Fort Wheeling ein. Doch das private Glück ist von kurzer Dauer. Schnell wird Criss mit Spionageaufgaben wieder losgeschickt um sich den feindlichen Streitkräften anzuschließen. Kenton hat seinen Weg kaum begonnen, als der Zufall ihm bereits wichtige Informationen in die Hände spielt. Eigenmächtig beschließt der junge Mann seinen Auftrag beiseite zu schieben und so etwas herauszufinden.

Die Geschichte in „Fort Wheeling“, die ja zunächst in den 1960ern als Episodenerzählung erschien, bleibt wendungsreich. Auch kommen immer wieder neue Charaktere dazu und solche, die lange nicht erwähnt wurden, tauchen wieder auf. Wer nicht aufmerksam liest, fragt sich bisweilen, wer denn die ganzen Leute sind? Vor allem, weil sie für die Erzählung nicht immer von tragender Bedeutung sind, wohl aber für die jeweilige Situation und das aktuelle Abenteuer.

Typische Hugo Pratt Elemente, aber erzählerisch nicht immer zwingend

Der Auftakt von „Fort Wheeling“ wurde auf diesen Seiten vorgestellt und empfohlen. Auch der abschließende zweite Teil ist lesenswert und zeigt viele typische Elemente der Comickunst von Hugo Pratt. Und die Geschichte kommt zu einem zufriedenstellenden Ende. Allerdings gibt es einige Aspekte, die dazu beitragen, dass das zweite Album nicht mehr so herausragend ist wie der Anfang.

Im Wesentlichen hat sich die Abenteuergeschichte der beiden Freunde, die das Schicksal auf verfeindete Seiten eines Krieges verschlagen hat, bereits im ersten Teil verlagert, Hin zu den Wegen und Wirrungen des jungen Amerikaners Criss Kenton. Im Fortgang der Geschichte verstärkt sich dessen unruhiges Getrieben Sein noch weiter. Das beschreibt wahrscheinlich die Realität während des Unabhängigkeitskrieges, der sich scheinbar endlos zieht und die Menschen wie Steppenhexen aka Tumbleweeds im Wind tanzen lässt.

Das wäre nicht weiter beachtlich, würde sich nicht beim Lesen gelegentlich das Gefühl einstellen, die Episoden wären beliebiger und die drängende Spannung früherer Episoden sei ein wenig ausgebrannt. Spionage hier, die Suche nach der Geliebten da, Gefangenschaft und Verrat, dann wieder Begegnungen mit dem Freund und letztlich eine Kriegsmüdigkeit, die auch die eigene Loyalität in Frage stellt. Das ist schon lesenswert und tiefgründig, ohne allzu offensichtlich philosophisch zu sein. Das Geheimbündlerische gegen Ende allerdings wirkt etwas willkürlich. Aber das mag jede:r anders lesen.

Grundsätzlich reden die Charaktere im zweiten Teil der Geschichte deutlich mehr, die Sprechbasen nehmen mehr Raum im Panel ein. Wie bereits im ersten Teil erwähnt hat Resl Rebiersch für diese Ausgabe extra eine Neuübersetzung angefertigt. die ist auch in der Weitererzählung sehr gelungen und bringt der Leserschaft hinreißende Worte wie „Wutnickel“ näher.

Fragen zum Erscheinen der Western-Serie

Und dann ist da noch das Vorwort von Hugo Pratt anlässlich der Gesamtausgabe, die erstmals 1995 erschienen ist, kurz bevor Hugo Pratt verstarb: „Ich begann diese Geschichte 1962 und beendete sie 1994. Das wollte ich meinen Lesern nicht schuldig bleiben.“ Da fragt sich der Comic-Nerd in mir schon, was denn da wann geschrieben ist? Wurde die Story als Fortsetzung irgendwann eingestellt und Hugo Pratt hatte das Gefühl, noch nicht zu Ende erzählt zu haben?

Kaum vorstellbar, dass die Story über mehr als 30 Jahre fortlaufend veröffentlicht wurde. Lässt sich also eventuell im Artwork ein Bruch feststellen? Ein Übergang vom jungen zu reifen Illustrator? Oder handelt es sich nur um die Aquarelle und das Gedicht zum Vorwort? Fragen, die sich nicht zufriedenstellend recherchieren ließen. Die Cong Sa Internet-Seite erwähnt die „Wheeling“-Story in Pratts Biografie nur am Lebensende, weil er eben im Jahr 1995 noch Aquarelle dafür anfertigte. Die offizielle Corto Maltese Seite weiß zwar um das Western-Abenteuer, aber nicht um die Editions-Geschichte.

Bleibt also nur die eigene Anschauung und das Mutmaßen des geneigten Lesers. Tatsächlich meine ich einen stilistischen Unterschied am Anfang des zweiten Bandes und an Ende der Geschichte ausmachen zu können. Anfangs sind die Striche genauer, die Schraffierungen und Hintergründe detaillierter und die Gesichtsausdrücke ausdrucksstärker, später dann wirken die Panel reduzierter. Flächiger und mit wenigen skizzenhaften Strichen umrissen. Hintergründe sind schlichter, offener und die Sprechblasen fordern mehr Raum. Das gilt im Prinzip für das ganze Abenteuer in dem Criss Kenton auf French Catherine Montour trifft.

Spekulation und Lobhudelei

Nur damit wir uns nicht missverstehen, das hat einen eigenen, anderen grafischen Reiz. So ist etwa die nächtliche Sequenz im Bericht von Major Moonroe über die Begegnung mit feindlichen Indianern wunderschön und sehr eigenwillig schwarz aquarelliert beziehungsweise übertuscht. Da lässt sich der Rhythmus des nächtlichen Anpirschens nachempfinden.

Möglicherweise hat Pratt diesen abschließenden Storyteil erst im Alter beendet. Möglicherweise wurde die Serie als Fortsetztung abrupt abgesetzt. So würde sich erklären, dass der Stilübergang quasi mitten in einer Szene auffällt. Dann, wenn Criss Kenton auf Seite 82/83 bei dem Deutschen Meister Gerd Unterkunft gefunden hat und sich ein britischer Offizier und ein Indianer dazugesellen. Möglicherweise hört der Rezensent auch nur Flöhe husten. Aber wenn es schon um eine Hugo Pratt Gesamtausgabe geht, kann man sich auch mit der Veröffentlichungsgeschichte auseinandersetzen. Ich schweife ab.

Das Western-Abenteuer „Fort Wheeling“ über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gehört über weite Strecken zu den großen Erzählungen über dieses historische Ereignis. Dabei kann der Zweite und abschließende Teil der Gesamtausgabe das erzählerische Nivea des Vorgängers nicht über die ganze Strecke halten. Dennoch ist „Fort Wheeling“ in seiner Gesamtheit sehr lesenswert und sollte nicht nur Pratt Fans und Fans der Lederstrumpf Erzählungen ansprechen.

Fort Wheeling Teil 2
OT: Fort Wheeling, 1962-1994,
Genre: Abenteuer, Graphic Novel
Autor & Zeichner : Hugo Pratt
Farben: Patrizia Zanotti
Übersetzung: Resl Rebiersch, 2023
ISBN: 978-3-96582-148-4
Verlage: Schreiber &Leser, Hardcover, 136 Seiten
VÖ: 06.02..2024

Hugo Pratt bei Cong Sa
Offizielle Corto Maltese Seite
Fort Wheeling 2 bei Schreiber & Leser