Fort Wheeling –Teil 1: Kriegerische Zeitenwende

Beim Comic-Verlag Schreiber & Leser wird auch eine herausragende Hugo Pratt Edition verlegt. Jüngster Zuwachs der Werkschau ist der erste Band des Abenteuers aus der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges „Fort Wheeling“. Wie immer kommt „Fort Wheeling“ in der klassischen Schwarz-Weiß-Ausgabe auf den Markt und in einer kolorierten Version, die hier vorgestellt wird. Der Band erschien bereits im August, aber Comic- und Pratt-Fans haben ohnehin lange genug auf den lesenswerten Titel warten müssen.

Der Grund, warum ich als Teenager mit den Geschichten der Zack Comics, die seinerzeit im Koralle Verlag erschienen, wenig anfangen konnte, war der, dass es sich neben den lustigen Stories vielfach um europäische Serien für eine ältere, wenn nicht gar erwachsene Leserschaft handelte. So perlten Michael Vaillant und Lieutenant Blueberry in der ersten Runde ebenso an mit ab wie Corto Maltese.

Ebenso war es seinerzeit schon eine irritierende Erkenntnis, dass viele literarische Klassiker auch in lizenzfreien „Jugendversionen“ veröffentlicht wurden. „Moby Dick“ stellte sich als mehr heraus als nur die Jagd nach dem Wal. Auch J. F. Coopers „Lederstrumpf“ war nicht nur Abenteuergeschichte sondern ein ganzer Zyklus über das Leben an der amerikanischen Grenzlinie zwischen bereits besiedeltem und wildem Gelände.

Da wären wir dann auch schon in den Gefilden, in denen „Fort Wheeling“ unterwegs ist. Die ganze Einleitung will eigentlich nur kenntlich machen, dass Hugo Pratts epische Geschichte nicht nur ein „Jugendabenteuer“ ist, obwohl zwei junge Männer so etwas wie die Protagonisten in „Fort Wheeling“ sind.

„Langmesser böse…feige Hundesöhne.“ (Mohena)

Die Geschichte um Fort Wheeling erzählt von einem befestigten Stützpunkt am Ohio-Fluss. Hier treffen sich im Jahr 1774 als junge Rekruten der amerikanische Siedlerjunge Criss Kenton, dessen Eltern von Indianern ermordet wurden, und der adelige englische Offizierssohn Patrick Fitzgerald als es in einen Krieg gegen die Indianer geht. Die beiden freunden sich an, und verlieben sich ein weißes Mädchen, dass bei den Indianern aufgewachsen ist. Mohena soll in ein nahegelegenes Fort gebracht werden, doch auch dem Weg geraten die drei in die Gewalt anderer Indianer. Dort trennen sich zunächst die Wege der drei jungen Leute.

Doch bevor Hugo Pratt als Geschichtenerzähler zu der Kerngeschichte von Criss und Patrick kommt, holt er die Leserschaft gekonnt in der Gegenwart ab. Mit dem schlichten Satz „Wo heute der zerschlissene Sessel im Wasser liegt, zogen vor zweihundert Jahren wilde Indianer und einsame Jäger entlang“, ist die Verbindung zur Gegenwart hergestellt, zugleich wird klargestellt, dass der Ort der Handlung heute in Vergessenheit geraten ist und nur in jenem kurzen Zeitfenster der Besiedelung und Unabhängigkeit Amerikas eine zentrale Rolle gespielt hat. Das ist schon meisterlich eingeleitet.

Auch wenn „Fort Wheeling“ im Gesamtwerk von Hugo Pratt insofern eine Sonderstellung einnimmt, als dass der Künstler noch nicht zur vollen Meisterschaft aufgestiegen ist. Die Erzählung ist weitschweifig, kommt über viele Umwege und Abwege, Anekdoten, Zeitkolorit und Historisches zu einer Erzählung, die zwar lang und ausufernd ist, aber bei weitem nicht so packend und fokussiert wie spätere Corto Maltese Abenteuer.

„Halt! Im Namen des Amerikanischen Kongresses, wer seid ihr?“

Auch illustratorisch ist in „Fort Wheeling“ noch Luft nach oben. Zwar hat Hugo Pratt seinen Stil längst gefunden, aber in jener Phase in Argentinien hat er auch mit Szenaristen zusammengearbeitet. Und die Serien wurden ursprünglich in Periodika veröffentlicht, was auch einen anderen Zeitdruck verursacht und sicher auch ein Grund ist, dass die Charaktere bisweilen nicht so markant wirken wie bei Pratt gewohnt. Auch die Hintergründe, Landschaften und Soundeffekte wirken nicht so wohldosiert wie das später der Fall ist.

Und dennoch liegt in dieser abenteuerlichen Story schon ganz viel Packendes verborgen und wartet darauf von der geneigten Leserschaft entdeckt zu werden. Die Recherchearbeit muss ausufernd gewesen sein, der historische Rahmen der Geschichte wird bei jeder Gelegenheit ausgeführt und vertieft. So bekommt die Leserschaft Einblick in das Leben der amerikanischen Siedler, in die militärischen Überlegungen und Strategien und auch in das Dasein der amerikanischen Ureinwohner.

Das erzählerische Prinzip der Personalisierung auf einen Helden und eine tragende Liebesgeschichte will oder kann Hugo Pratt hier nicht anwenden. So ergibt sich ein Zeit- und Sittengemälde, das in seiner Breite durchaus vergleichbar ist, mit dem was James Fenimore Coopers „Lederstrumpf“-Zyklus geleistet hat. Der erschien seinerzeit bereits als „Historischer Roman“.

„Häuptling Logan schwieg minutenlang. Reglos saß er da. Dann kamen kalte Worte…“

Für heranwachsende Leser ist „Fort Wheeling“ nur bedingt zu empfehlen. Heutzutage wäre man auch sicher sensibler was die Themen Gewalt und Krieg angeht, die für Pratt als gegeben dargestellt werden. Ebenso wie die indigenen Ureinwohner nicht als „edle Wilde“ dargestellt werden, sondern als Menschen. Immer wieder werden sie vom Verhalten der eindringenden Siedler und den Versprechungen der Briten enttäuscht.

Wer sich näher mit dem Künstler Hugo Pratt befasst hat, wird einordnen können, dass „Fort Wheeling“ als erste große Soloarbeit Pratts anknüpft an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem argentinischen Autor Héctor Oesterheld. Zusammen hatten die beiden die erfolgreiche und beliebte „Western“-Serie „Ticondera“ erschaffen. Jenen Indianerscout taucht in „Fort Wheeling“ als Randfigur auf, weil die Geschichte in derselben historischen Periode angesiedelt ist und es somit für Pratt naheliegend war, die vorangegangenen Arbeit derart fortzuführen.

„Erneut traf Criss auf Ticondera Flint, diesen seltsamen Menschen, von dem im Grenzland alle sprachen.“

Vielleicht ist es schlüssig eine Brücke zu schlagen von diesem Criss Kenton zu jenem jungen Corto Maltese, den Hugo Pratt am Ende seines Lebens in „Abenteuer einer Jugend“ inszeniert. Jener Corto ist verstrickt in den Russisch-Japanischen Krieg lange bevor die Südsee-Ballade sich abspielt. Corto trifft Rasputin und Jack London und Hugo Pratt vermittelt eher Zeitkolorit als actionreiches Abenteuer.

Hierzulande war „Fort Wheeling“ zumindest in Teilen (und drei Bänden) in den 1980ern in der Comicothek erhältlich. Für die vorliegende herausragend schöne Ausgabe hat Resl Rebiersch eine neue Übersetzung angefertigt. Die kann sich lesen lassen und sorgt für den authentischen Pratt Sound. Außerdem gibt es ein beschlagenes Vorwort vom Michel Pierre der ein bisschen ein Hugo Pratt Experte ist und nicht zu verwechseln wäre mit Literaturprofessor Pierre Michel. Dazu gibt es Kartenwerk um Expeditionen und Grenzveränderungen zu Zeiten der Erzählung zu untermalen.

Glorreich ist dann aber das großartig mit Skizzen und Details illustrierte „Gedicht“ von Hugo Pratt, das dem ganzen Abenteuer vorangestellt ist. Eine Morgendämmerung in Worten wie in Atemzügen. In freiem Vers und freier Assoziation entsteht ein aufdämmerndes Bild vom Leben an der Frontier, an der Grenze. Und darum: „…alle knurren und maulen, ein ewiges Kommen und Gehen und in den Wäldern wimmelt es von Helden“.

Fort Wheeling Teil 1
OT: Fort Wheeling, 1962ff
Genre: Abenteuer, Graphic Novel
Autor & Zeichner : Hugo Pratt
Farben: Patrizia Zanotti
Übersetzung: Resl Rebiersch 2023
ISBN: 978-3-96582-124-8
Verlage: Schreiber &Leser, Hardcover, 136 Seiten
VÖ: 1.08.2023

Fort Wheeling 1 bei Schreiber & Leser