Bei DC Comics stehen alle Zeichen auf Wiedergeburt: Der große Relaunch erfindet das Comic-Rad zwar nicht neu, gibt aber diversen Helden und Heldinnen eine neue Ausrichtung. So auch im Fall von „Wonder Woman“. Die in den 1940ern von dem Psychologen William Moulton Marston erdachte Figur war schon damals dazu angetan, Frauen ein emanzipatorisches Vorbild zu geben. „Wonder Woman“ ist eine der ersten Superheldinnen überhaupt im Comicbereich und dennoch stellt Autor Greg Rucka im Auftakt der neuen „Rebirth“-Serie alles Bekannte in Frage, denn „Wonder Woman“ kommt nicht nach Hause auf die Amazoneninsel Themiscyra.
Für Diana Price alias „Wonder Woman“ ist der Zeitpunkt gekommen, über ihr Leben unter dem Menschen Bilanz zu ziehen, seit sie ihre Heimat, die Paradies-Insel der Amazonen verlassen hat. Und irgendwie hat Diana die düstere Ahnung, dass ihre Erinnerungen nicht vollständig sind und höhere Mächte seltsame Spiele mit ihr treiben. Da hilft auch das Lasso der Wahrheit kaum weiter, denn Dianas Erinnerung fühlt sich falsch an, so als wäre sie jahrelang belogen worden.
Also macht sich Wonder Woman auf den Weg, um die Lücken in der Erinnerung zu schließen. In den Dschungeln Afrikas trifft sie nicht nur auf eine alte Feindin, sondern auch auf eine böse Gottheit. Denn Cheetah, die früher einmal Barbara Ann und Diana eine Freundin war, steht unter dem Fluch der Gottheit Urzkataga, dazu verdammt ihm du dienen und sich von Menschenfleisch zu ernähren. Urzkataga versucht gerade sich in Menschengestalt zu manifestieren, weshalb auch das Spezial-Team um Trevor, mit dem Diana eine besondere Verbindung hat, sich im Dschungel aufhält. Doch hinter den Vorhängen betreibt die Chefin der Sondereinheit, Miss Bishpop, ein doppeltes Spiel.
Als Autor Brian Azarello („100 Bullets“, „Bruder Lono“) die Serie „Wonder Woman“ 2012 übernahm, verpasste er ihr eine andere Entstehungsgeschichte und machte sie selbst zur Halbgöttin. Das gab zwar viel Kritikerlob, aber auch immer Genörgel von traditionsbewussten Fans. Greg Rucka („Gotham Central“) stellt in dem bravurösen Auftakt der „Rebirth“-Serie erst einmal alles in Frage, was die Prinzessin der Amazonen zu wissen glaubt und schickt sie nicht nur auf einem actionreichen Selbstfindungstrip, sondern auch auf die Suche nach ihrer Heimat. Der Zugang zu der Paradiesinsel Themyscira ist nicht geografisch zu finden, da sich dieser von Göttern geschaffene Ort nicht in unserer Dimension befindet. Diesen Zugang kann Diana also gar nicht finden, sondern er wird ihr gewährt. Scheinbar hat sie dieses Privileg verwirkt; nur weiß Wonder Woman nicht warum.
Greg Rucka hat sich schon in diversen Serien als großartiger Autor erwiesen und es scheint fast so, als lägen ihm Frauencharaktere sehr. Das ist schon mal die halbe Miete für einen interessanten Neustart einer bekannten Superheldin. Aber ebenso fantastisch ist das Artwork der „Wonder Woman“ Rebirth-Serie. Nachdem der Auftakt noch von Matthew Clark gezeichnet wurde, übernimmt anschließend Liam Sharp den Bleistift und gibt der Geschichte eben jenen fantastischen Anstrich, den die Geschcihte verdient. Hier wimmelt es vor Bestien, übernatürlichen Wesen und hitzetriefenden Dschungeln und man fühlt sich beizeiten in eine fantastische Welt von Edgar Rice Burroughs versetzt, der nicht nur „Tarzan“ erschaffen hat, sondern auch „John Carter“ auf dem Mars schickte.
Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass Liam Sharp, der seinerzeit mal für den „Storm“-Schöpfer Don Lawrence gearbeitet hat, beinahe klassische Fantasy-Umgebungen und glanzvolle heroische Charaktere zu inszenieren weiß. Das sieht nicht nur gut aus, sondern ist mit abwechslungsreichem Panneling und wunderbaren, ausdrucksstarken Close-ups auch sehr modern erzählt. Verfeinert, wenn nicht gar getoppt werden die Zeichnungen durch satte Farbgebung, die sich jederzeit der Situation anpasst und den heißen Dschungel ebenso haptisch und organisch koloriert wie die hochmoderne Stadtumgebung und die Einsatzzentrale. Laura Martin macht hier eine Job, der sich nahezu perfekt mit dem Stil von Liam Sharp ergänzt.
Noch ein Wort zur Edition des bei Panini erschienenen ersten Sammelbandes: Wer sich wundert, dass hier nur jedes zweite Heft der neuen amerikanischen „Wonder Woman“ –Serie enthalten ist, sollte wissen, dass Autor Greg Rucka, zumindest am Anfang der Serie zwei Storybögen parallel erzählt. Alle nicht enthaltenen US-Nummern gehören folglich zu der alternativen Geschichte, die bei Panini demnächst unter dem Titel „Wonder Woman – Das erste Jahr“ herausgebracht wird, bevor im Herbst der zweite „Wonder Woman“-Band erscheint.
Aber bis dahin sind wir alle sowieso ganz im Filmfieber, denn am 15. Juni (in den USA sogar schon am 2.6.2017) kommt der „Wonder Woman“ – Film in die Kinos. Und mit dem ersten Superhelden-Film mit einer Heldin ist man dem Konkurrenten Marvel inhaltlich wieder etwas voraus. Und vielleicht kann DC mit „Wonder Woman“ auf der Leinwand nach dem Überraschungserfolg der „Suicide Squad“ gegenüber dem „Marvel Cinematic Universe“ Boden gutmachen, nachdem es ja lange so aussah, als würden die DC Superhelden-Filme floppen und der weltweite Blockbuster-Kampf würde an Marvel gehen.
Der Auftakt der „Wonder Woman“-Rebirth-Serie ist erzähltechnisch und optisch sehr gelungen und macht Lust auf mehr. Die Prinzessin der Amazonen zeigt ihren Superhelden-Konkurrentinnen rechtzeitig zum großen Kinostart wo der Hammer hängt und wer in den Heldinnen-Olymp gehört. Tolle Serie.
Comic-Wertung: (9 / 10)
Wonder Woman 1- Die Lügen
OT: Wonder Woman: Rebirth, Wonder Woman 1, 3, 5, 7, 9, 11, DC Comics, 2016-17
Autor: Greg Rucka
Zeichner: Liam Sharp, Matthew Clark
Farben: Jeremy Colwell, Laura Martin
Übersetzung: Ralph Kruhm
Verlag: Panini Comics, Softcover, 164 Seiten
VÖ: 25.04.2017
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