The Ugly Stepsister: Die Erfindung der Zahnspange

„Die hässliche Stiefschwester“ verzerrt die märchenhafte Aschenputtel-Geschichte in eine ebenso bizarre wie derbe Kritik an Schönheitswahn, Frauenrollen und gesellschaftlichen Konventionen. Die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt spielt in ihrem Langfilmdebüt gekonnt mit Body-Horror und Provokation. Das ist schon sehr stilvoll, aber der Punkt ist auch lange vor dem Filmende klar und sehr deutlich ausformuliert. Im Kino ab dem 5. Juni 2025.

Die Versorgungslage macht für die Witwe Rebekka (Ane Dahl Torp) eine Heirat notwendig. Die Mutter zweier Töchter hat etwas arrangiert. Ein alter Witwer mit schöner, junger Tochter Agnes (Thea Sofie Loch Næss) ist schnell als aussichtsreicher Versorger ausgemacht. Doch es stellt sich heraus, dass beide Parteien ebenso mittellos sind wie auf reiche Heirat gehofft haben. Der Gatte verstirbt und die mittellosen Frauen stehen vor dem Ruin.

Nun muss Rebekkas etwas pummelige und einfältig ältere Tochter Elvira reich verheiratet werden um die laufenden Kosten zu decken. Während Stiefschwester Agnes zur Dienstmagd degradiert wird und ihr Geliebter vom Acker gescheucht, wird Elvria schrittweise verschönert. Deren jüngere Schwester Alma (Flo Fagerli) bietet stillen Trost für Elviras Leiden.

Düstere Gemäuer und düstere Aussichten

Dann steht ein Ball im Haus des Königs an und der Prinz Julian (Isac Calmroth) soll sich eine Braut erwählen. Zwar hat der arrogante Schönling ein Auge auf Agnes geworfen, die heimlich auf dem Ball auftaucht, aber Elvira soll sich den Prinzen angeln.

„The Ugly Stepsister“, der auf Norwegisch „Den stygge stesøsteren“ heißt und daher auch auf Deutsch betitelt werden könnte, variiert das Märchen vom Aschenputtel. Dabei bezieht sich Emilie Blichfeldt, die auch das Drehbuch entwickelte, auf die Grimmsche Fassung des beliebten Volksmärchens und dreht dieses auf Links. Übrigens ist das „Aschenputtel“ der Gebrüder Grimm bei weitem nicht die einzige Version des Märchens. Der Animationsfilm „Cinderella the Cat“ beispielsweise bezieht sich explizit auf eine neapolitanische Fassung der Geschichte.

Im Fokus der Kamera steht bei Blichfeldt nun die hässliche Stiefschwester und nicht das schöne Aschenputtel. Der Film scheint irgendwann in einer vergangenen Epoche zu spielen, es fahren Kutschen und mutmaßlich mag es das 18. Jahrhundert sein. Dennoch wirkt die Geschichte auch in die Gegenwart, allein, weil der Soundtrack aus modernen Popsongs besteht. Das ist ein probates Stilmittel um historische Settings aufzupeppen.

Im Mittelpunkt von „The Ugly Stepsister“ stehen diverse (ziemlich rabiate) Maßnahmen der Verschönerung. Über die Zahnspange zur Nasen-OP bis hin zur abmagernden Wurmkur. Das ist bisweilen ekelig ausgestellt und schwelgt im Horrorgenre. Wobei tatsächlich die Effekte im Genre auch schon mal eindrücklicher vorgeführt wurden.

Das mag eine Frage des Budgets sein, es ist aber auch eine der Ästhetik. Und da mag der Rezensent der jungen Autorenfilmerin nur bedingt folgen, denn hier wird arg offensiv zur Schau gestellt. Sicher ist da auch ein mehrbödiges Spiel mit Voyeurismus und Gesellschaftskritik einbezogen, allein es ist vordergründig und schnell zu erfassen. Was dazu führt, dass sich handlungmäßig Längen einstellen.

Heirat als Ausweg aus dem Elend

Das ist nicht weiter schlimm, denn ebenso wie etwa auch „The Substance“ ist es „The Ugly Stepsister“ um Kritik an gegenwärtigem und historischem Schönheitswahn und -zwang zu tun. Und um umfassendere Gesellschaftskritik. Dabei geht es nicht nur um die „hässliche Elvira“ sondern um alle Figuren, die im Wesentlichen unsympathisch und im steifen Korsett gesellschaftlicher Zwänge daherkommen.

Während die materialistischen Motive der Mutter klar zu erfassen sind und die romantischen Absichten von Agnes, bleibt fraglich, warum Elvira einen derartig unsympathischen Chauvi wie Prinz Julian als Gatten überhaupt in Betracht zieht? Wahrscheinlich ist es die schmucke Uniform, die bei den Damen immer Eindruck macht.

Elvira lebt vor allem töchterlichen Gehorsam und hat diesen scheinbar verinnerlicht. Im Grund entwickelt nur die junge Alma eine mitfühlende Seele, während sie im Schatten der großen Schwester, übersehen von der Mutter ihre Möglichkeiten auslotet.

Irgendwo zwischen Sophia Coppolas „Marie Antoinette“ und Coralie Fargeats „The Substance“ macht Emilie Blichfeldt ihr eigenes ambitioniertes Statement. Das ist über weite Strecken kraftvoll und mit überschaubarem Budget wirkungsvoll in Szene gesetzt. Die finstere Stimmung, der stimmige Soundtrack und die leidvolle Darstellung Lea Myrens tragen den Film mit seiner zeitgemäßen Botschaft weitgehend unterhaltsam. Und dennoch ist zu schnell klar, was der Film will. Überraschungen sind eher in der Drastik denn im Wendungsreichtum zu finden. Für Horror-Fans mag das ein wenig zu wenig sein.

Bewertung: 5 von 10.

The Ugly Stepsister
OT: Den stygge stesøsteren
Genre: Horror, Drama
Länge: 109 Minuten, N, 2025
Regie: Emilie Blichfeldt
Schauspiel: Lea Myren, Ane Dahl Torp, Thea Sofie Loch Næss
FSK: ab 16 Jahren
Verleih: Capelight, Plaion Pictures
Kinostart: 05.06.2025

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