Emilia Peréz: In einem anderen Leben

Das Leben ist kein leichtes. Vor allem nicht im Dunstkreis des organisierten Verbrechens und schon gar nicht im brutalen mexikanischen Drogenkrieg. Da will einer aussteigen und eine will aufsteigen. Da ergeben sich Chancen, die frau auch nicht ablehnen kann. Der französische Autorenfilmer Jacques Audiard legt mit „Emilia Peréz“ seinen zehnten Spielfilm vor und erweist sich als wagemutig und überraschend. Vorsicht, es wird gesungen in den Kinos ab dem 28. November 2024. Oder auch mit Robbie Williams „Sing When You’re Winning“.

Die junge und talentierte Anwältin Rita Moro Castro (Zoe Saldana) hat in Juarez einen schlechten Job in einer Kanzlei. Dort tüftelt sie die Plädoyers aus, die ihr Chef nicht fehlerfrei aufsagen kann um die definitiv schuldigen Klienten rauszupauken. Und dann poppt auf Ritas Mobiltelefon eine Karrierechance auf. Allerdings eine, bei der weitere Einzelheiten bereits tödlich wären.

Der Kartellboss Manitas del Monte will aussteigen. Und nicht nur das, er will eine Frau sein und untertauchen und Rita soll das für ihn ermöglichen. Der zuvor beauftragte Typ war zu träge und Rita legt sich ins Zeug. Jahre später trifft Rita in London, wo sie nun lebt, die charmante Mexikanerin Emilia Peréz (Carla Sofía Gascón), die ihre Hilfe braucht um ihre Kinder zurückzubekommen.

„In another life Your friends never desert you“

Eigentlich braucht es an dieser Stelle keine Filmbesprechung. Im Vorfeld wurde bereits genug über Jacques Audiards Thriller-Musical oder queere Film-Oper geschrieben, die beim Festival in Cannes ausgezeichnet wurde, beim Hamburger Filmfest beim Douglas Sirk Preis für den Filmmacher Audiard abgefeiert wurde und nun für Frankreich in das Rennen um den „Auslandsoscar“ geht.

Dabei wurde der Film bilingual auf Spanisch und Englisch gedreht und obwohl Drehs in Mexiko geplant waren, wurde in Spanien und im Wesentlichen im Studio bei Paris gedreht. Ich empfehle den Film im Original mit Untertiteln anzusehen, sofern sich die Gelegenheit bietet.

„In another life You never have to cry“

Obwohl „Emilia Peréz“ eine ungeheurere Leinwandpräsenz und eine physische Wucht entfaltet, ist der Film nicht für jedes Publikum zu empfehlen. Da gibt es jene, die keine Musicals mögen. Und in „Emilia Peréz“ wird viel und handlungstragend gesungen und gerappt. Nicht immer gut und nicht immer richtig.

„In another life No one ever hurts you“

Das liegt zum Teil an den Darstellern (die Schönheitschirurgen können nicht singen; sorry, Mark Ivanir) zum Teil an den kruden Songs, wie im Fall von Selena Gomes Frust-Rap. Und dennoch ist der kreative und erzählerische Impuls überbordend und ganz große Oper.

Was auch angemessen ist, wenn eine Transfrau sich neu definiert. Das ist im Rahmen des mehr oder minder Mainstream-Kinos schon ein Thema, das selten zur Sprache kommt. 2005 hat Felicity Huffman („Desperate Houswifes“) in „Transamerica“ mal eine beachtliche Frauwerdung hingelegt, aber das nur nebenbei.

„In this other life Your loved-ones never die“

Hier wird die Transfrau Emilia von der Transfrau Carla dargestellt, die in Spanien wohl ein Soap-Star ist, und im Film eine Präsenz entwickelt, die schlicht schillernd und bezaubernd ist. Dass Hollywood-Star Zoe Saldana daneben überhaupt zur Geltung kommt, liegt an ihren faszinierenden Showtalenten. Aber im Grunde ist das gesamte Ensemble großartig.

„But this is the life you have This is the life“ (Living Color This is the life“)

Nun mag sich zum dritten und bestimmt nicht letzten, nicht jede:r einlassen auf Bandenkriminalität mit brutaler, berüchtigter mexikanischer Ausführung (à la „Savages“) und tragischer Vermissungs-Konsequenz (ich empfehle Sam Hawkens packenden Thriller „The dead Women of Juarez“); und schon gar nicht, wenn diese flott singend eingebunden ist.

Nachvollziehbar, wer sich in seinem Pietätsempfinden gestört fühlt. Der Rezensent ist seit je her der kunstoffenen Meinung, dass Holocaust im Comic darstellbar wäre („Maus“) und dass „The Texas Chainsaw Massacre“ Film-Kunst ist. Auch mag Körperlichkeit bis hin zur Brutalität nicht für jedes Publikum eine Genresetzung und ästhetische Stilisierung darstellen. Jacques Audiard hat schon immer sehr physische Filme kreiert.

Letztlich kam ich nun nicht geläutert aus dem Lichtspielhaus, wohl aber beseelt von dem bildgewaltigen, unerwarteten und im tiefer Seele mitreißenden Kinoerlebnis. Es bleibt die Erkenntnis: „Der Geographie Anfang und Ende ist die Anschauung im Gelände“. Geht selbst gucken, oder lasst es.

Bewertung: 8 von 10.

Emilia Peréz
OT: Emilia Peréz
Genre: Thriller, Musical
Länge. 132 Minuten, F, 2024
Regie: Jacques Audiard
Schauspiel: Carla Sofía Gascón, Selena Gomes, Adraina Paz, Zoe Sadana,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Wild Buch / Neue Visionen
Kinostart: 28.11.2024

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