Da hat ein alternder Hamburger Journalist noch amouröse Fantasien und ein Osnabrücker Ehepaar ist weniger mit einander als mit sich selbst beschäftigt. Und dann kommt Corona, die Sachen werden kompliziert und bisweilen autistisch egozentrisch und Urlaub muss dann auch warten. Unter anderer Feder wäre Banaleres dabei herausgekommen als ein sprachlich üppige, humorige Langzeitbeobachtung deutscher Befindlichkeiten. Frank Schulz ist auf der Höhe seiner Kunst und nach jahrelanger Arbeit an diesem Wälzer wieder „back in business“ wie mensch so schon neudeutscht. „Amor gegen Goliath“ ist Anfang September 2024 erschienen im Galiani Verlag.
Als der Journalist Philipp Büttner Anfang Oktober 2019 im Hamburger Villen-Westen zufällig eine Verflossene trifft, ist er schon ein wenig verdutzt. Allerdings recherchiert Büttner gerade zu einem „Internet-Phänomen“ und sollte eigentlich eine Kontaktperson treffen. Die sagt aber kurzfristig ab und Büttner schwelgt in Nostalgie und erotischen Tagträumen.
Denn aktuell ist der 52-Jähriuge mit eine mehrere Dekaden jüngeren Apothekerin verlobt und findet deren beste Freundin auch recht attraktiv, obwohl beide eigentlich nicht sein Typ sind. Nun fantasiert sich der Doktor der Geisteswissenschaften in einen flotten Dreier, von dem er die beiden Damen noch überzeugen muss. Beruflich schlendert Freiberufler Büttner eher so auf die Frührente zu. Doch jene beste Freundin ist neuerdings Herausgeberin eines hippen Magazins für Werte und Büttner hofft auf Aufträge.
David gegen Goliath
Dazu recherchiert er gerade: Online sind in loser Folge Videos eines abstrusen Welterklärers aufgetaucht. Da mahnt jemand genannt „Konfusius“ die Naturzerstörung an. Büttner hat den Kerl einst live am Elbstrand gesehen und ist nun fasziniert. Riesige Wellen schlägt das Internet-Phänomen nun aber auch nicht.
Derweil lebt sich in Osnabrück das Ehepaar Cathrin „Cathy“ Weye und „Ricky“ Kottenpeter dezent auseinander. Beide sind um die Vierzig und haben einen feierwilligen Bekanntenkreis. Sie ist Psychologin, die sich gerade als Klimaaktivistin engagiert, und er ist Musiker, der vor allem Werbejingles komponiert.
Die eigene Band ist längst Geschichte und das Selbstvertrauen des Musikus über die Jahre geschrumpft. Weshalb vor einem Reunion-Gig eine befreundete Ärztin ausnahmsweise was gegen Angstzustände verschrieben hat, das Ricky immer noch gut gebrauchen kann. Denn er mutmaßt, dass seine Liebste ein Verhältnis mit einem anderen, zugegeben attraktiven, Klimaaktivisten haben könnte.
Und dann wird die Welt Anfang 2020 mit der Covid-19 Pandemie konfrontiert. Es kommt zu gesellschaftlichen Ausnahmezuständen, Maskenpflicht und Lockdown, und persönliche Befindlichkeiten verstärken die eigene Isolation. bis im Herbst 2021 endlich wieder Urlaub ist.
Auf Kreta treffen die beiden Osnabrücker und die drei Hamburger aufeinander und auf noch andere Miturlauber wie etwa die geschiedene Ilona Gammasch, die in Südkreta eigentlich ihren Essay für eine Quartalszeitschrift fertig schrieben will.
Bei „Amor gegen Goliath“ handelt es sich um eine humoristische Geschichte. Wer Frank Schulz („Onno Viets“ Trilogie, „Hagener“ Trilogie) kennt, wird das wissen, wer nicht, der oder die mache sich auf grotesken und absurden Humor und formvollendete Fabulierkunst gefasst. Darin unterscheidet sich „Amor gegen Goliath“ nicht von anderen Werken von Frank Schulz.
Covid gegen Goliath
Der Autor hat fünf Jahre an dem Epos gearbeitet und damit auf launige Weise einen Roman zur Gegenwart fabriziert, der es in sich hat. Alles drin, was Deutschland seit Klimakrise, Fridays For Future und Corona-Pandemie so umtreibt. Von Internet-Trollen zu Angstzuständen, Vereinsamung, Realitätsflucht und immer weiter aufklaffender Wohlstandsschere. Dabei ist Hamburg als tragender Ort der Handlung quasi typisches Schulz-Terrain, und erzählende beziehungsweise beobachtende Naturphänomene, hier die uralte Stieleiche, dort das Kohlmeisen-Männchen tragen die Erzählung auf ihren speziellen Blickwinkeln.
Selbstredend gibt es hierzulande eine Tradition des grotesken Humors zu der Harry Rowohlt bisweilen ebenso zählt wie Eckhard Henscheid immer und deren prominenter Vertreter Frank Schulz mit „Amor gegen Goliath“ einen ziemlichen Wälzer hinlegt. Ich gestehe, der Autor und sein Leser haben sich etwas auseinandergelebt. Statt unentwegt abzufeiern, war mir die Darstellung bei aller präzis formulierten Launigkeit bisweilen etwas zu ausufernd. Aber das mag jede:r selbst und anders lesen.
Amor gegen Goliath
Möglicherweise kann ich den Originalzitaten aus Klimavortrag und Heute-Journal in ausufernden Fußnoten nur bedingt Witz abgewinnen. Derweil die Fußnote an sich jenseits des fachliterarischen Gebrauchs ja auch mal einen Krimi von Larry Beinhard vervollständigte und bei der irischen Literatur-Ikone Flan O’Brian zur flunkernden Vollendung gelangte. Möglicherweise sind mir die geschilderten Miljöhs auch zu vertraut um ein gerüttelt‘ Maß an Selbstironie auszuschütten. Wer will das schon beurteilen. Für meinen Teil wäre kürzer, flotter und insofern knackiger gewesen.
Und möglicherweise steckt hinter und unter all der Fabulierkunst auch Anregendes und Erhebendes. Vielleicht findet die Leserschaft Anregung zur Weiterbildung; oder eine gesellschaftliche Vision. „Eine „Ethik des inneren Handelns um einer nicht-egoistischen Selbsterkenntnis willen.“ (S. 618)Und doch. Wie war das möglich…(S. 421)
Allerdings gehört zur physischen wie psychischen Pandemie-Erfahrung ja immer auch das Aushalten dazu, insofern ist „Amor gegen Goliath“ kongeniale Reality Literature. Bliebe noch der Aufbau des Romans zu erwähnen, ohne weiter zu analysieren. Formal schließen sich nach dem Prolog drei Teile an. „Schwäne auf der Flucht“ rekapituliert quasi die Phase vor der Corona-Pandemie, „Weltschmerz“ ist eine Chronik der Befindlichkeiten der Charaktere in der aktuellen Pandemie und „Amor gegen Goliath“ die Katharsis nach durchlebte Einschränkung. Gesellschaftlich folgerichtig beschließt kein Epilog sondern ein weitere Vorrede den Roman. Das ist schon ganz beachtlich konstruiert und geschrieben. Wobei mir der dritte Teil am flottesten vorkam.
„Amor gegen Goliath“ ist eine Lektion in grotesker Gesellschaftssatire und eine Lektüre in Demut. Bisweilen eventuell etwas zu verschwurbelt aber nie von der Rolle fallend. Weit mehr als ein „Maskottchen unserer Zeit (S. 131) vielmehr ein Menetekel ausbrechender Heiterkeit. Die Frage bleibt: „Wann kommt Thies?“ (S. 210)
Amor gegen Goliath
OT: Amor gegen Goliath
Genre: Roman, D, 2024
Autor: Frank Schulz
Format: Gebundenes Buch, E-Book
Verlag: Galiani Verlag, 752 Seiten,
VÖ: 07.09.2024
Frank Schulz im WWW
Autorenseite bei Galiani (Mit Leseprobe und Terminen)