Die europäische Koproduktion „Holy Spider“ erzählt in eindringlich packender Thriller-Manier von einem Frauenmörder im Iran. Die Spinnenmorde basieren auf einem realen Fall und dennoch ist „Holy Spider“ („Heilige Spinne“) vor allem ein fordernder, weil realistisch und explizit dargestellter, Kriminalfall. Regisseur Ali Abassi und Hauptdarstellerin Zar Amir-Ebrahimi, die in Cannes für diese Rolle ausgezeichnet wurde, stammen aus dem Iran. Im Kino ist „Holy Spider“ ab dem 12. Januar 2023 zu sehen.
Die iranische Journalistin Rahimi (Zar Amir-Ebrahimi) reist in die Pilgerstadt Mashad um die Morde an Prostituierten zu untersuchen. Zwar hat sie mit dem befreundeten Reporter Sharifi (Arash Ashtiani) einen verbündeten vor Ort, aber es ist für die allein reisende Frau nicht einfach zu recherchieren. Bereits beim Einchecken im Hotel wird nach ihrem Ehemann oder dessen Erlaubnis gefragt. Einfach so allein unterwegs zu sein ist an sich schon ungehörig.
Derweil treibt der „Spinnenmörder“ genannte Serienkiller weiter sein Unwesen. Des Nachts ist der Kriegsveteran Saeed (Mehdi Bajestani) mit seinem Moped unterwegs. Die Prostituierten verrichten ihr illegales Gewerbe auf der Straße und Saeed klappert die einschlägigen Stellen ab, um Opfer auszuwählen. Er nimmt sie mit zu sich nach Hause und erwürgt sie. Dann legt Saeed die Leichen an öffentlichen Orten ab, wo sie leicht gefunden werden.
Mashad, eine der 7 heiligen Stätten des schiitischen Islam
Während Rahimi bei ihren Nachforschungen immer wieder auf Widerstände und abfällige Behandlung stößt, wird ihr immer deutlicher, dass andere Wege zum Mörder führen müssen. Rahimi nimmt Kontakt zu Prostituierten auf, um so auf die Spur des Täters zu kommen.
Saeed wird immer unvorsichtiger. Der Familienvater, der im Baugewerbe arbeitet, sucht seine Opfer immer sorgloser aus, nutzt jede kurze Abwesenheit seiner eigenen Frau, um Opfer mit nach Hause zu bringen. Bis ihm eine der Frauen entkommt.
Das Publikum mache sich nichts vor, „Holy Spider“ ist ein verstörender Film, der es auch gar nicht beabsichtigt, die Zuschauer langsam in das Szenario einzuführen. Stattdessen fällt der Thriller, der bisweilen an eine manische Version von David Finchers „Zodiac“ erinnert, mit der Tür ins Haus, beziehungsweise mit der hautnahen Ermordung einer Prostituierten. Dabei ist alles an der Bildsprache laut und schrill und stressig.
Das wirkt im ersten Moment wie das Klischee einer orientalischen Stadt, doch „Holy Spider“ geht weit darüber hinaus und macht vor allem ein unterschwelliges Brodeln sichtbar, eine aufgeladene Atmosphäre ständiger Reizüberflutung. Das gilt für den Prostituiertenmörder, der sich von den käuflichen Frauen beschmutz fühlt, ebenso wie für die latent aggressive Demut der Journalistin, der die konstante gesellschaftliche Verachtung kaum erträglich ist.
20 Millionen Touristen jährlich
Erstaunlicherweise ergibt sich in dem in Jordanien gedrehten Thriller eine derart fiebrige, bösartige Spannung, dass „Holy Spider“ noch weit über den Kinobesuch nachhallt. Dabei ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und Klischees unumgänglich. Selbstverständlich irritiert es, dass die massive Gesellschaftskritik, die in „Holy Spider“ transportiert wird, aus dem Exil stattfindet und von europäischen Finanzmitteln realisiert würde. In wie weit ist das schon Propaganda? Inwieweit unterstützt das Filmfördersystem hier künstlerische Aussagen, die durchaus politisch sind?
Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen im Iran, der Proteste und der Todesurteile gegen Protestieren, ist „HolySpider“ ein Film zur rechten Zeit. Keine Chance diesen Thriller im Iran selbst zu drehen, wo Filmschaffende für weit weniger an der Arbeit gehindert werden. Gedanken muss sich das Publikum schon auch selbst machen. Der in Dänemark lebende Regisseur Ali Abassi („Border“) richtet seine Kritik gegen den Staat Iran, gegen jegliche Gesellschaft, in der Frauen als zweitrangig behandelt werden.
Religöser Wahn
So verwundert es auch nicht, dass der Thriller es nicht mit der Überführung des Täters belässt, sondern dass sich das eigentliche Grauen auf einer anderen Ebene abspielt. Die männlich dominierte Gesellschaft im Film sieht in dem Serienmörder Saeed Hanaei einen rechtschaffenen, ehrenwerten Mann. Das gesellschaftliche Selbstverständnis ermöglicht Saeed seine bestialischen Taten in gewisser Weise erst. Freilich lässt sich das nicht unbesehen und pauschal auf den Iran übertragen.
Verstörend bleibt „Holy Spider“ dennoch. Auch und gerade wegen der weiblichen Perspektive der Journalistin Rahimi auf die Gesellschaft und die Rolle der Frau verstärkt sich das Unwohlsein. Der starke Drang etwas zu ändern trägt erheblich zur Fiebrigkeit des Thrillers bei. Das ist auch ein Verdienst der großartigen und intensiven Darstellung von Zar Amir-Ebrahimi. Ihre Journalistin zeigt Ausdauer und Verzweiflung. Mitgefühl und Resilienz in einer misogynen Gesellschaft. Das allein wäre sehenswert genug.
Noch sind die Oscar-Kandidaten nicht bekannt, aber „Holy Spider“ steht zumindest auf der Shortlist für den „Auslandsoscar“. Das erschütternde Thriller-Drama hat wohl ziemlich gute Chancen. Auch und gerade weil der in Europa produzierte Krimi sich eindeutig gegen Frauenhass auf gesellschaftlicher Ebene positioniert. Starkes Kino, das auch starke Nerven fordert.
Film-Wertung: (8 / 10)
Holy Spider
OT: Holy Spider
Genre: Thriller, Drama
Länge: 116 Minuten, DK/D/F/S, 2022
Regie: Ali Abassi
Darsteller:innen: Zar Amir-Ebrahimi, Arash Ashtiani, Mehdi Bajestani,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Wild Bunch, Alamode,
Kinostart: 12.01.2023