„Unerwartete Reisepläne sind die Tanzstunden Gottes“, wusste Bokonon, der von Kurt Vonnegut erfundene Prophet, in „Katzenwiege“. Aktuell ist Urlaubszeit, was liegt da näher, als die Leserschaft mittels Archivanregungen auf cineastische Reisen schicken. Dabei wird es fantastisch, urban, brutal, exotisch und abwegig. Zum Abschluss der kleinen Reihe nun die Filmbesprechung zum Kinostart von Tarsem Singhs „The Fall“ aus dem Jahr 2009.
Krankenhausaufenthalte sind langweilig: Für Kinder noch viel eher als für Erwachsene. Zum Glück im Unglück hat Alexandria sich nur dem Arm gebrochen und kann durch das Hospital toben. Dabei lernt sie Roy kennen, der nach einem Arbeitsunfall ans Bett gefesselt ist.
Der Stuntman Roy (Lee Pace), hat sich das Bein gebrochen und ist so ans Bett gefesselt, da kommt ein bisschen Abwechslung gerade recht. Alexandria (Catinca Untaru), die Tochter armer Wanderarbeiter, ist ziemlich neugierig und liebt es Geschichten zu hören. Also beginnt Roy dem Mädchen ein sagenhaftes Epos zu erzählen.
Darin macht sich eine seltsam zusammengewürfelte Truppe auf eine Prinzessin zu retten und dem bösen Gouverneur Odious das Handwerk zu legen. Der Inder, ein ehemaliger Sklave, der Sprengstoff-Experte, Charles Darwin und der maskierte Bandit sind unterwegs zu dem Palast des Gouverneurs, wo auch die Prinzessin gefangen ist. Unterwegs haben sie allerlei fantastische Abenteuer zu bestehen.
Alexandria mag die Geschichte sehr, doch immer stärker vermischt Roy das Abenteuer mit seiner eigenen verbitterten, weil unerwiderten, Liebesgeschichte zu einer Schauspielerin. Die Story nimmt düstere Ausmaße an, und es wird absehbar, dass unterwegs einige, wenn auch nicht alle der Helden ins Verderben rennen. Das gefällt dem Mädchen überhaupt nicht und sie drängt darauf, dass Roy sich etwas anderes für das Abenteuer ausdenkt.
Der Stuntman verzweifelt inzwischen an seinem gebrochenen Herzen und will nicht mehr leben. Er benutzt Alexandria, um sich Morphium zu verschaffen, mit dem er sich umbringen will. Das Märchen wird an dieser Stelle interaktiv.
In Tarsem Singhs Meisterwerk verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität wie schon in „The Cell (2000, mit Jennifer Lopez). Gekonnt und visuell spektakulär inszeniert der Regisseur seine epischen Bilder. Das erinnert phasenweise an Terry Gilliam („Brazil“, „12 Monkeys“) und ist kollosssal choreografiert und mit stilvoller Musik unterlegt. Auch mit der Besetzung liegt Tarsem Singh goldrichtig: Allein das Zusammenspiel von Catinca Untaru und Lee Pace („Pushing Daisies“) ist wunderbar fesselnd und grandios nuanciert.
Im Gegensatz dazu steht das reale Setting des Films. In den Anfangstagen der Filmindustrie, am Rande von Los Angeles beginnt die aufkommende Magie der bewegten Bilder sich gerade erst zu entfalten. Roys hanebüchene Geschichte und seine zusammengewürfelte Heldentruppe sind ein Hinweis darauf, was in diesen Tagen alles möglich schien. Doch im Grunde hat sich Hollywood noch nicht einmal erfunden, und die dörfliche Umgebung des Hospitals wirkt trostlos und armselig.
„The Fall“ ist vor allem ein visueller Höhenflug, der einen mitreißt, sobald Roy seine Geschichte zu erzählen beginnt. Dennoch geht es nicht nur um die Macht der Bilder, sondern auch darum, wie einfach es sein kann, ein wenig Licht in das Grau des Alltags zu bringen. Wie wenig es braucht, um sich gegenseitig „die Seele zu retten“, wie Roy in einer Szene des Films feststellt. Der Stuntman und das arme Arbeitermädchen sind im Grunde ein ebenso seltsames Gespann wie die fünf fantastischen Helden.
„The Fall“ bezaubert und entführt den Zuschauer mit purer Schönheit der Bilder. Doch anders als etwas „The Watchmen“ tritt man direkt nach dem Film nicht erschlagen, sondern enorm angeregt aus dem Dunkel des Kinosaals hervor.
Film-Wertung: (9 / 10)
The Fall
OT: The Fall
Genre: Fantasy, Drama,
Länge: 111 Minuten, USA, 2006
Regie: Tarsem Singh
Darsteller:innen: Lee Pace, Catinca Untaru, Justine Wadell,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Capelight, Alive
Kinostart: 06.03.2009
DVD- & BD-VÖ: 28.08.2009