Krakatit: Nach uns die Bombe

Mitten in die Nachkriegswirren des Zweiten Weltkrieges fantasiert der tschechische Science-Fiction-Film „Krakatit“ die Erfindung eines neuen hochgefährlichen Sprengstoffes. Bei Studio Hamburg ist das vielleicht beste Werk des tschechischen Regisseurs Otakar Vavra nun in restaurierter Fassung als DVD-Premiere und weltweit erstmals auf Blu-ray erschienen. Auch wenn die Story bisweilen etwas hakt, die einnehmenden Schwarz-Weiß-Bilder brauchen sich nicht zu verstecken. Ein faszinierendes Wiedersehen.

Ein verwirrter, fantasierender Mann irrt durch ein nächtliches Prag. Der fiebernde Mann ist der Physiker Prokop (Karel Höger), der sich am nächsten Tag ohne Erinnerung in der Wohnung eines Studienkollegen wiederfindet. An den Kollegen kann sich Prokop sich zwar auch nicht erinnern, aber was bleibt ihm übrig, er muss sich erholen. Während der Kommilitone Prokop immer wieder vorsichtig ausfragt, vor allem, weil dieser immer wieder „Krakatit“ gemurmelt hat, betritt eine ominöse Schöne das Szenario und bittet Prokop, einen Brief zu übermitteln. Am nächsten Tag begibt sich Prokop aufs Land, weil der Vater seines Freundes dort Arzt ist; und auch um den Brief auszuliefern. In der ländlichen Idylle kommt Prokops Erinnerung Stück für Stück zurück.

Der namensgebende Sprengstoff dieser Romanverfilmung nach der Buchvorlage von Carel Capek, ist von beispielloser Sprengkraft und eben darum nach dem legendären Vulkan Krakatau benannt, dessen Ausbruch verheerende Folgen hatte. Der Autor Capek gilt als einer der wichtigsten tschechischen Literaten und prägte den Begriff „Roboter“ in seinem Schauspiel „R.U.R.“, das als Hörspiel in der Blu-ray-Version des Filmes „Krakatit“ enthalten ist. Aber zurück zu „Krakatit“: Der Roman erschien 1924 in einer Hochphase des tschechischen Expressionismus und die Zukunftsvision bezieht sich eindeutig auf die Gefahren der Atomforschung.

Dass Regisseur Vavra dieses Thema 1947 aufnimmt, solte man indes nicht überbewerten, da Vavra auch während des Krieges mit beständiger Regelmäßigkeit Filme abgeliefert hat. Nur trifft die paranoide Fiebervision in „Krakatit“ den Zeitgeist recht gut. Die Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima haben gezeigt, wozu diese Technologie fähig ist und die Siegermächte sind gerade dabei, in die Phase eines kalten Krieges überzugehen, der in einer Spaltung Europas münden wird. In diese Stimmung hinein entfacht der surreale Fiebertraum, den Otakar Vavra inszeniert, eine zugleich gespenstische wie klaustrophobische Wirkung. Es ist bereits der Beginn des Kalten Krieges, in dem ja auch in den USA anfangs Propagandafilmchen entstehen, um Schulkindern zu zeigen, wie man sich im Fall einer Atombombe hinter dem Tisch versteckt.

Zugleich sind die Annäherungen an die großen Hollywood-Vorbilder klar zu erkennen. Hauptdarsteller Karel Höger beispielsweise ist einem Orson Welles („Citizen Kane“ entstand 1941) optisch gar nicht so unähnlich, „Der Dritte Mann“ ist allerdings noch Zukunftsmusik (1949). Einiges in „Krakatit“ erinnert an berühmte Szenen aus „Casablanca“ (1942) oder an Hitchcocks „Berüchtigt“ (1946). Aber dann hat Vavras Film, der von vielen Kritikern als sein bester befunden wird, auch wieder Szenen erstaunlicher Belanglosigkeit. Das ländliche Idyll mit der sich anbahnenden Romanze würde sich auch in einem Heimatfilm gut machen und bekommt seine irreale und bedrohliche Bedeutung nur durch den Kontext der Amnesie.

Letztlich ist „Krakatik“ sowohl in seiner restaurierten und der deutlich nach 1948 in der DDR ausgestrahlten Fassung eine Überraschung, die außerhalb von Cineastenkreisen kaum bekannt sein dürfte, selbst wenn man die Tradition tschechischer Filmemacher im Hinterkopf hat.

Die Ausstattung dieser „Home Entertainment“-Veröffentlichung auf dem Ostalgica Label bei studio Hamburg Entertainment ist vorbildlich und nutzt die Speicherkapazität der Blu-ray auch dafür, mehr als nur Bilddateien zu speichern. Allein, dass ein Hörspiel eines Capek-Stückes auf der Blu-ray enthalten ist, ist ungewöhnlich und eine wirkliche Bereicherung. Da hat sich jemand bei der Edition des tschechischen Klassikers Mühe gegeben.

Regisseur Otakar Vavra, der bereits zu Beginn der 1930er Jahre Filme drehte, und insgesamt 53 Werke hinterließ als er 2011 im Alter von 100 Jahren verstarb, hat „ Krakatit“ 1980 unter dem Titel „Dunkle Sonne“ noch einmal verfilmt. Bei Publikum und Kritikern fiel die Neuverfilmung allerdings durch und gilt vielen als schlechtester film Vavras, ebenso wie „Krakatit“ als sein Meisterwerk gilt.

Seine inhaltlichen Schwächen ergeben sich bei „Krakatit“ daraus, dass der Film als „Fiebertraum“ angelegt ist. Zugleich ermöglicht gerade das den surrealen Bildern ihre Faszination und Kraft zu entfalten. Eingebettet in eine historische Phase, in der sich Europa in den Folgen des Weltkriegs erst noch zwischen den Machtblöcken finden muss, ist die fiebrige Vision von „Krakatit“ durchaus als Warnruf zu verstehen. Heute bleibt ohne diese Dringlichkeit noch die visuelle Faszination, die sich nicht in den Zeitläuften verloren hat.

Film-Wertung:7 out of 10 stars (7 / 10)

Krakatit
Genre: Science-Fiction, Drama
Länge: 100 Minuten, Tschecheslowakei, Bonus: 200 Min.
Regie: Otakar Vavra
Romanvorlage: Carel Capek
Darsteller: Karel Höger, Florence Marly, Eduard Linkers,
FSK: ab 12 Jahren
Bonus-Material: DDR Fernsehfassung, Bilderschau, Hörbuch R.U.R., Der Regisseur über seinen Film (Kurzinterview), Trailerschau, Einführung zum Film (Texttafeln)

Vertrieb: Studio Hamburg Entertainment
DVD- & BD-VÖ: 27.04.2018