Es ist absolut zu begrüßen, dass aus Indien – immerhin mit einer großen und traditionsreichen Filmindustrie – nicht immer nur typische Bollywood–Feelgood-Movies zu uns herüberschwappen. Mit „Psycho Raman“ – wie der deutsche Titel von „Raman Raghav 2.0“ lautet – wurde der international renommierte Filmmacher Anurag Kashyap bei diesjährigen Filmfestival in Cannes zur renommierten Quinzaine des Réalisateurs eingeladen. Anschließend war der indische Psychothriller das Center Piece des diesjährigen Fantasy Filmfest. Nun hat Rapid Eye Movies das sehenswerte Portrait eines Serienkillers auch für den Home Entertainment Markt herausgebracht.
Im Mumbai der Gegenwart streunt der psychopathische Mörder Ramanna (Nawazuddin Siddiqui) durch die Slums und tötet Menschen. Er selbst hält sich für die Reinkarnation des legendaren und berüchtigten Serienkillers Raman Raghav, der in den 1960er Jahren in Mumbai sein Unwesen trieb.
Der Kommissar Ragavahn (Vicky Kaushal) soll eine scheinbar wahllose Mordserie aufklären. Doch der Polizist hat selbst Drogenprobleme und gerät aufgrund der damit verbundenen Schlaflosigkeit immer tiefer in einen dunklen Sog. Zudem hat der Killer den Cop als seinen Seelenverwandten erkannt.
Eigentlich wollte Regisseur Anurag Kashyap („Gangs of Wasseypur“) in Biopic über den realen Serienkiller drehen, aber die historische Ansiedelung des Films hätte das Budget gesprengt. Daher greift der Filmmacher zu dem Kunstgriff, die Handlung ins heutige Mumbai (früher auch Bombay genannt) zu verlegen. Die Handlung folgt allerdings, soweit es Ramanna angeht, ziemlich genau den damaligen Morden.
Erzählt wird „Psycho Raman“ in mehreren Kapiteln, die auch Perspektivwechsel erlauben, die beiden Protagonisten aber zielstrebig aufeinander zu führen. Dabei erkennt Ramanna schon bei seinem ersten Mord heimlich die Seelenverwandtschaft zu dem drogensüchtigen Cop. Später stellt sich Ramanna wiederholt der Polizei und gesteht freimütig all seine Verbrechen, nur glaubt ihm keiner und statt in einer Zelle, landet der Psychopath verprügelt in einem leer stehenden Gebäude. Zu spät geht dem Kommissar auf, dass er den gesuchten Mörder schon längst in seinen Fängen hatte.
„Psycho Raman“ ist von beeindruckender Düsternis und sehr lebendigem Dreck der Armenviertel von Mumbai durchsetzt. Dabei geht es zwar ziemlich brutal zu, aber die indische Filmtradition ist bei weitem nicht so voyeuristisch wie unsere westliche; kaum einmal sieht man die Gewalt tatsächlich im Bild. Doch gerade diese Auslassung steigert die Imagination des Zuschauers nur noch, wie auch Alfred Hitchcock wusste, als er seine berühmte „Psycho“-Duschszene drehte.
Sehr spannend zu beobachten ist das psychologische « Duell » vom Mörder und Polizist. Während Nawazuddin Siddiqui („Luchbox“) mit beängstigender Intensität und fiese geschminkter Narbe auf der Stirn, seinen Mörder mit verstörender geistiger Klarheit und schierer Lust am Töten und der Gewalt ausstattet, gibt Vicky Kaushal einen gequälten und getriebenen Kommissar, der seine Obsessionen nicht ausleben kann, sich vor dem gesellschaftlichen und familiären Druck in Drogen und Sex flüchtet und die stinkende Stadt Mumbai nur mit Sonnenbrille ertragen kann.
Erst im finalen Showdown zeigt sich die Seelenverwandtschaft auch als Liebe, die durchaus als sexualisiert aufgefasst werden kann. Dies ist eine zweite deutliche Kritik an der indischen Gesellschaft, in der Homosexualiät nach wie vor strafbar ist. Zuvor kritisierte einer von Ramannas Monologen bereits die gewalttätigen, religiösen Lynchmobs. Das Gesetz über die Homosexualität stammt aus der Kolonialzeit (1866). Es kommt zwar seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr aktiv zur Anwendung, aber das gesellschaftliche Stigma ist nach wie vor präsent.
Der indische Psycho-Thriller „Psycho Raman“ erzählt fesselnd und fiebrig von den Abgründen der menschlichen Seele und entführt den Zuschauer auf einen irritierenden Trip.
Film-Wertung: (7 / 10)
Psycho Raman
OT: Raman Raghav 2.0
Genre: Psycho-Thriller, Drama
Länge: 128 Minuten, IND, 2016
Regie: Anurag Kashyap
Darsteller: Nawazuddin Siddiqui, Vicky Kaushal, Sobhita Dhulipala
Bonusmaterial: Making-of, Deleted Scenes & Kinotrailer (ca. 70 minuten)
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Rapid Eye Movies (Al!ve)
Kinostart: 24.06.2016 (Limitiert)
DVD- & BD-VÖ: 28.10.2016