Am 9. Oktober ist einer der Altmeister des polnischen Kinos verstorben: Andzej Wadja. Der Achzigjährige war bis in seine letzten Jahre hinein als Theater- und Filmregisseur aktiv und hat erheblich zur Filmischen Aufbereitung der jüngeren polnischen Geschichte beigetragen. Viele seiner Werke, wie etwa „Der Mann aus Marmor“ (1977) und „Der Mann aus Eisen“ (1981) fanden auch international Beachtung. Mit „Das Massaker von Katyn“ widmete sich Wadja 2007 einem polnischen Trauma und der Historienfilm wurde auch für den Auslandsoscar nominiert.
Hierzulande wird nur Geschichtsbewussten und Älteren der Name Katyn etwas sagen. Doch in Polen ist der russische Ort nahe Smolensk ein Synonym für Kriegsgreuel und Propaganda. Nach der Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes zwischen Hitler und Stalin besetzte die Sowjet-Armee große Teile im Osten Polens. Dabei wurden mehr als 10.000 Polnische Offiziere und Soldaten gefangen genommen und deportiert. Wohin wusste niemand.
Anna (Maja Ostaszewska) macht sich auf die Suche nach ihren Mann Andrej (Artur Żmijewski). Auf dem Fahrrad und mit ihrer kleinen Tochter fährt sie der Front entgegen und findet Andrzej endlich in einem Gefangenenlager. Doch die Deportation beginnt und Anna ist vom Rest ihrer Familie abgeschnitten, denn die lebt in Krakau unter deutscher Zwangsregierung. Anna und ihre Tochter dürfen das russische Einflussgebiet nicht verlassen. Letztlich gelingt es ihnen, sich zu ihrer Familie durchzuschlagen. Von ihrem Mann hört Anna nichts und auch in Krakau, bangen viele Familien, deren Söhne, Männer und Vater in russische Gefangenschaft geraten sind.
Während die internierten polnischen Offiziere immer noch an ihre Freilassung glauben, ergeht im Kreml der Befehl die polnischen Gefangenen systematisch zu exekutieren. Das Verbrechen bleibt jahrelang geheim. Erst 1943 entdeckt die Deutsche Wehrmacht die Massengräber und prangert die Rote Armee an. Für die polnischen Angehörigen beginnt nun das Bangen, um die vermissten Soldaten, während die Nazis das Geschehen propagandistisch bis zum Äußersten ausschlachten.
Nach Kriegsende dann befreit, besser besetzt, die Sowjet-Armee Polen von den Deutschen. Damit einher geht eine Umdeutung des Massakers von Katyn. Die Kommunisten schieben die Exekutionen nun der deutschen Wehrmacht in die Schuhe, indem sie die Erschießungen auf 1941 datieren. Doch die betroffenen polnischen Familien wissen, dass dies nicht stimmen kann. Systematisch rückt die russische Amtsgewalt gegen jene vor, die sich der angeordneten Umdeutung der Geschichte widersetzten. Doch für viele Polen ist es ein Akt der Identitätsbehauptung, sich dem Willen der Besatzer nicht zu beugen. Etliche Polen büßen so ihre Karriere, ihre Existenz oder ihr Leben ein.
„Das Massaker von Katyn“ ist ein guter, ein wichtiger Film in dem es weniger darum geht, die historische Wahrheit aufzuzeigen. Die ist inzwischen nicht nur unter Historikern bekannt, seit Gorbatschow 1990 öffentlich die sowjetische Verantwortung für die Greueltaten anerkannte. Dem Regiealtmeister Andrzej Wadja, geht es vielmehr darum zu zeigen, wie es den Hinterbliebenen ergangen ist. Wie man die Ungewissheit und die offizielle Lüge aushalten kann, um nicht selbst zugrunde zu gehen.
Wadja verarbeitet damit nicht nur ein nationales Trauma und einen wesentlichen Grund warum das Verhältnis der Polen zum russischen Nachbarn so belastet ist, sondern auch eigene Erfahrungen. Sein Vater gehörte zu den in Katyn Ermordeten. Schon mit seiner Langfilmdebüt „Eine Generation“ (OT: „Pokolenie“, 1955) beschäftigte sich der Filmmacher mit der jüngsten Historie und schuf ein Portrait polnischer Jugendliche, die in der deutschen Besatzungszeit aufgewachsen sind. Schon dieses Thema ist dem Lebenslauf des Regisseurs nahe und zeigt dessen Auseinandersetzung mit der eigenen Generation, die nicht nur den Krieg, sondern auch den Kommunismus erlebt und zum Teil mitgestaltet hat. Wadjas Filme waren häufig nahe am Zeitgeschehen und haben auch immer die akteulle polnische Gesellschaft reflektiert.
In „Das Massaker von Katyn“ zeigt der Filmmacher, der auch das Drehbuch mitentwickelte, seine ganze Kunstfertigkeit und überträgt die historischen Gegenbenheiten in empathisches Erzählkino. Die Filmhandlung wird dabei nicht nur von wenigen Figuren getragen, sondern, verteilt sich auf einige Schultern, gekonnt verwoben und doch kreuzen sich beinahe episodenhaft die Wege der Figuren immer wieder. „Katyn“ ist episches Kino, das sich im internationalen Vergleich nicht zu verstecken braucht. Im Gegenteil: Verglichen mit beispielsweise „Defiance – Unbeugsam“, der Hollywood-Auseinandersetzung mit jüdischem Widerstand und den Bielski-Brüdern, wirkt „Katyn“ deutlich eindringlicher, gerade durch Verzicht auf Stereotypen und leichte Erlösung.
„Das Massaker von Katyn“ ist eindringliches Kino, das episch und frisch wirkt, auch weil (leider) die polnischen Schauspieler international kaum bekannt sind. Andrzej Wadja legt keineswegs ein bequemes Alterswerk vor. Für seine Filmbiografie von „Lech Walesa“ (2013) musste der Regisseur zwar auch viel Kritik einstecken, aber bis zuletzt blieb Andrzej Wadja ein streitbarer Filmmacher.
Film-Wertung: (7 / 10)
Das Massaker von Katyn
OT: „Katyn“
Genre: Historienfilm, Kriegsfilm,
Länge: 122 Minuten, Polen, 2007
Regie: Andrzey Wadja
Darsteller: Maja Ostaszewska, Artur Żmijewski, Joachim Paul Assböck, Andrzej Chyra
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Ascot Elite
Kinostart: 17.09.2007
DVD-VÖ: 15.04.2010