Eigentlich wollt der deutsche Filmmacher eine Doku über die fast verlassene Wüstenstadt California City in der Mohave-Wüste drehen, aber in den vier Jahren, in denen der Film wuchs, veränderte sich auch das Konzept. So ist „California city“ am Ende ein sehr poetischer, elegischer Hybridfilm geworden, in dem sich die Grenzen von Dokumentation und Spielfilm auflösen und zu etwas größerem werden – einer emotionalen Annäherung eines erstaunlichen Ortes. Nun erscheint „California City“, der im Sommer in den Kinos lief auch als DVD.
Neben einer Fotostrecke hat die bei Realfiction erschienene DVD als Extra auch ein 20minütiges Interview mit Filmmacher Bastian Günther zu bieten. Darin erklärt er wie sich das Konzept entwickelt und verändert hat, wie er mit Schauspieler Jay Lewis in Kontakt kam und was es mit der ätherischen Erscheinung Chelseas auf sich hat. Nur ein Thema wird leider nicht erfasst und das ist die Musik des Films.
Es gibt nämlich Filme, die erschließen sich am ehesten über ihren Soundtrack und Bastian Günthers dritter Langfilm „California City“ ist so einer. Gerad zu kongenial untermalen die melancholischen und ruhigen Gitarrenklänge von Howie Gelb, seines Zeichens Mastermind der alternativen Country-Truppe Giant Sand die elegische Mischung aus Dokumentarfilm, Essay und Fiktion. Im Abspann des Filmswird eigens eine California City Band aufgeführt und gerade die Stimmung trägt den Film. Die Wüste ruft und wer sich der dem heißen Wind hingibt und kann die verlassenen Gebäude von „California City“ klagen hören.
Der namenlose Protagonist (Jay Lewis) in „California City“ steht auf verlassenem Posten. Als Insektenbekämpfer einer großen Firma ist er dafür zuständig, in der nahezu verlassenen kalifornischen Wüstenstadt „California City“ dafür zu sorgen, dass sich in den Swimmingpools und Pfützen keine Moskitos vermehren, die sonst möglicherweise als Krankheitserreger zu einer unkontrollierbaren Gefahr werden könnten. Die Firma sitzt unerreichbar in irgendeiner Großstadt und gibt Aufträge und Einsatzorte per Mobiltelefon durch.
Fast alle Bewohner haben „California City“ verlassen, weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten. Außer dem Schädlingsbekämpfer und seinem „Freund“, einem Immobilienmakler, der darauf achtet, dass in der modernen Geisterstadt die Häuser halbwegs intakt bleiben, sind nur ein paar Unverdrossene geblieben. Einige dieser bizarren Sonderlinge und gesellschaftlichen Randgestalten trifft Der Insektenbekämpfer unterwegs. Ansonsten verrichtet er seine trostlose Arbeit, leidet an der trockenen Hitze, stetig schlechter werdendem Telefonempfang und trauert seiner Liebe Chelsea nach, die ihn verlassen hat. Ein weiteres wiederkehrendes Filmelement sind absurd anmutende Telefonate vom Hotel aus, die sich um Gott und die Welt, nichts und wieder nichts drehen.
Es ist seltsam sich auf die existentielle Leere in Bastian Günthers „California City“ einzulassen, auch wenn der digital aufgenommene Film auf dem TV-Bildschirm ein wenig von seiner Weite und Wirkung einbüßt. „California City“ zelebriert in gewisser Weise eine Postapokalypse, in der die Zukunft schon in der Gegenwart angekommen ist. So wie seinerzeit auch in Alma Ha’rels Hypridfilm „Bombay Beach“ (2011), mit dem Günthers filmisches Endzeitessay stimmungsmäßig einiges gemeinsam hat.
California City existiert tatsächlich und liegt inmitten der Mohave-(oder auch Mojave geschriebenen) Wüste. Ende der 1950er Jahre wollte ein ehrgeiziger Stadtentwickler hier die Idee der flächenmäßig drittgrößten Stadt Kaliforniens realisieren. Allerdings kam das Besiedelungsprojekt von Anfang nicht recht in die Gänge. Spätestens nach dem Platzen der US-Immobilienblase 2008 wurde California City tatsächlich zu einer Ghost Town. Heute leben auf dem riesigen Areal noch rund 3000 Menschen.
Filmmacher Bastian Günther hat die Stadt besucht und war ebenso fasziniert wie verstört und fand so die Idee für seinen dritten Langfilm nach „Autopiloten“ (2007) und „Houston“ (2013, mit Ulrich Tukur). Und selbstverständlich ist „California City“ auch eine Beschäftigung mit den Auswirkungen der Krise. Aber in seinem Ansatz geht der Hybridfilm weit darüber hinaus und findet auch seine eigentliche Stärke, indem der Ort selbst lebendig und emotional erlebbar wird.
Ebenso poetisch wie bizarr und melancholisch ist die Verschmelzung des Dokumentarischen in „California City“ mit der absurd erscheinenden, fast kafkaesken Geschichte des Insektenbekämpfers. Dessen persönlicher Liebeskummer führt zu existentiellen Betrachtungen des Daseins. Als Zuschauer muss man sich mit den scheinbar ziellosen Fahrten des Protagonisten treiben lassen, um die karge Faszination der Wüste erleben zu können. Kameramann Michael Kotschi, der schon bei „Houston“ mit Günther zusammenarbeitete – wie auch Cutterin Anna Fabini -, findet wunderbare weitschweifende Totalen und bizarre Perspektiven um den Geist der Wüste zu fassen. Der wird allerdings wie eingangs erwähnt wird auch hervorgezaubert durch die großartigen, melancholischen Gitarrenklänge von Wüstenrocker Howie Gelb.
„California City“ ist ein Film, der sich nicht nur an den Ruinen weidet, sondern auch auf surreale Weise eine existentielle Leere vergegenwärtigt. Wunderschön poetisch und melancholisch. Hier in der Wüste, wo Zeit keine Rolle spielt, weil es sowieso nichts zu tun gibt, gibt der Wind die Melodie des Tages vor. Einige hören sie, andere nicht.
Film-Wertung: (8 / 10)
California City
Genre: Hybridfilm,
Länge: 80 Minuten, D/USA 2015
Regie: Basian Günther
Darsteller: Jay Lewis, Chelsea Williams
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Realfiction
Kinostart: 20.08.2015
DVD-VÖ. 09.09.2016