Der 1951 geborene texanische Autor Joe R. Lansdale ist ein umtriebiger Mann und sein umfassendes Werk schert sich nicht groß um Genres und kulturelle Vorbehalte. In Deutschland erscheinen seine Bücher in ganz unterschiedlichen Verlagen. Im Berliner Golkonda-Verlag, wo glücklicherweise einige Lansdale Titel aufgelegt werden, ist nun mit „Wilder Winter“ der erste Hap und Leonard Krimi erschienen, den Lansdale 1990 veröffentlichte. Das ungleiche Paar gerät in eine recht abstruse Schatzsuche – und in einen Haufen Schwierigkeiten. Mit unvergleichlicher Nonchalance hat „Wilder Winter“ nichts von seinem Charme verloren und in Hollywood machen sogar Gerüchte einer Verfilmung von sich reden.
Hap Collins, der Erzähler von „Savage Season“, lebt in der texanischen Provinz und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Der Vierzigjährige hat vor Jahren den Kriegsdienst verweigert, um nicht nach Vietnam zu müssen und landete dafür im Knast. Das hält ihn aber Ende der 1980er nicht davon ab, mit dem schwarzen Vietnamveteranen Leonard Pine befreundet zu sein. Zusammen verdienen die beiden ihr Geld auf den Rosenfeldern, wo gerade winterliche Flaute herrscht. Zeit also, sich mit Kampfsport fit zu halten und sich um Leonards Hunde zu kümmern. Dass der Afroamerikaner auch noch schwul ist, stört die Freundschaft nicht, denn Hap ist einfach nicht Leonards Typ. Trudy hingegen, Haps Verflossene, die ihn verlasen hat als er seinerzeit im Knast saß, kann Leonard nicht ausstehen. Die taucht nämlich unverhofft bei Hap auf, um ihn zu überreden, bei der Suche nach der Beute eines Bankraubs zu helfen. Die liegt irgendwo in der Gegend in einem der Zuflüsse des Sabine River und Hap kennt sich in der Gegend aus.
„Geweckt wurde ich von Vogelgesang und Kälte. Die Stimme des Vogels klang ziemlich jämmerlich und die Kälte war geradezu kriminell.“ (S. 68)
Leonard ist ebenso skeptisch wie Hap, vor allem, weil Trudy, ihr Lover Howard und dessen Kumpel Chub und Paco mit dem Geld den bewafffneten Kampf gegen das Establishment weiterführen wollen, den sie schon in den Sechzigern angezettelt hatten. Aber die Aussicht auf 200 000 Dollar sind ein Argument für winterliche Tauchausflüge und so finden sich Hap und Leonard auf einer absurden Schatzsuche und in kauziger Gesellschaft wieder. Irgendwie absehbar, dass bei der Aktion nicht alles rund läuft.
Wie so häufig bei Joe Lansdale sind die Helden einfache Leute, die dann aus ihrem Alltag gerissen werden, oder sich wie Hap und Leonard dafür entscheiden, ihrem Leben eine Wende zu geben. Im Grunde entspinnt sich daraus rein krimitechnisch gesehen eine hartgesottene Geschichte, die im einfachen Gaunermilieu angesiedelt ist. Darin ähneln Hap und Leonard auch vielen der Protagonisten, die Elmore Leonard („Out of Sight“, „Get Shorty“) ins Rennen schickte. Aber Lansdale hat durchaus einen eigenen Stil, der sich nicht nur darauf beschränkt, texanisches Lokalkolorit zu beschwören, sondern in der lakonischen und vermeintlich naiven Erzählweise ausdrückt, die dann immer wieder im Kontrast zu dem handgreiflichen Geschehen steht. Dabei macht der Erzähltonfall den Charakter des Helden, beziehungsweise bei Hap Antihelden, ausgesprochen lebendig. Das machte auch den Reiz seiner sonstigen, nicht kriminalistischen Prosa aus, wie etwa dem Coming of Age Roman „Das Dickicht“ (auch bei Brutstatt.de vorgestellt).
„Wir haben allerdings nur ein Nummernschild, kein Auto.“ „Es war aber an einem Auto befestigt. Es ist nur abgerissen, weil es verrostet war.“ (S. 120)
Hap und Leonard bereichern die Krimiliteratur noch immer und im Golkonda Verlag ist im vergangenen März schon „Machos und Macheten“ (OT: „Captains Outragous“), der chronologisch sechste Roman der Reihe erschienen, Lansdale hat zuletzt 2013 eine Novelle mit den beiden ungleichen Typen geschrieben. Da gibt es also noch viel zu entdecken. Was den ganz besonderen Charme von „Wilder Winter“ ausmacht, ist die kluge, nachdenkliche und auch krasse Abrechnung mit den Sechzigerjahren, die sich immer wieder an die Oberfläche des Romans arbeitet, sei es in Nebensätzen oder in dem Denken der Charaktere. Von seiner Relevanz hat das auch rund 25 Jahre nach Erscheinen von „Savage Season“ nichts verloren, auch weil die Sixties nach wie vor eine der einflussreichsten Dekaden der Popkultur sind und bis heute ausstrahlen. „Wilder Winter“ ist eine Neuauflage. Der Roman wurde bereits 2006 im Shayol Verlag veröffentlicht und nun glücklicherweise wieder aufgelegt. Dazu wurde die Übersetzung noch einmal durchgesehen und das Ergebnis kann sich lesen lassen.
„Wilder Winter“ von Joe R: Lansdale ist eine absolute Empfehlung für aufgeschlossene Krimileser, die sich nicht nur von Ermittlungslogik durch die Verbrechen tragen lassen. Eigenwillige Charaktere, markante Dialoge und viel Humor machen den ersten Hap und Leonard Roman zu einem schwarzhumorigen Vergnügen, das sich hypnotisch und mit fester werdenden Windungen des Schraubstocks auf eine angekündigte Katastrophe zubewegt.
Roman-Wertung: (7,5 / 10)
Wilder Winter: Ein Hap & Leonard Roman
Autor: Joe R. Lansdale
OT: Savage Season, USA, 1990
Übersetzung: durchgesehene Neuausgabe, Richard Betzenbichler, Katrin Mrugalla
ISBN: 978-3-944720-39-5
Verlag: Golkonda Verlag, Berlin, Klappenbroschur, 204 Seiten
VÖ: 21.11.2014