Als ich seinerzeit aus dem Kinosaal kam, war ich mir sicher, einen der besten Filme des Jahres gesehen zu haben. Aber bei den Oscar-Nominierungen ist erstaunlicher, ja fast skandalöser Weise nur eine einzige herausgesprungen, für Kameramann Roger Deakens, der schon zehn Mal nominiert wurde. Der Rest ist Schweigen. Mit seinen rund 150 Minuten ist das Thrillerdrama „Prisoners“ ziemlich episch angelegt, fesselt aber an den Sitz. Die Spannung in diesem Fall von Kindesentführung bleibt von Anfang an hoch und dennoch geht der Film deutlich über die Genre-Grenzen des Thrillers hinaus. Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal überzeugen in einem grandiosen Ensemble und in einem der besten Filme des Kinojahres 2013.
Während die Familien Dover und Birch in einer Kleinstadt in Pennsylvania zusammen Thanksgiving feiern, verschwinden die beiden kleinen Töchter der Familien. Bei der Suche, die zu nichts führt, erinnert sich der Sohn von Keller Dover (Hugh Jackman), dass die Mädchen an einem Wohnmobil gespielt haben, das in der Straße geparkt war. Die eingeschaltete Polizei geht auch dieser Spur nach und auf einem Parkplatz findet Detective Loki (Jake Gyllenhaal) zwar den Camper und seinen Fahrer, aber keine Spur der Mädchen. Alex Jones (Paul Dano) wird nach einer Befragung wieder entlassen, doch Keller Dover verdächtigt den etwas zurückgebliebenen jungen Mann, der noch bei seiner Großmutter (Melissa Leo) lebt, auch weiterhin.
Lokis Ermittlungen führen zu der Leiche eines Mannes, der schon vor Jahren ermordet wurde, gleichzeitig beschließt Dover, selbst zu handeln. Seine Frau (Maria Bello) betäubt ihren Schmerz mit Medikamenten und der verzweifelte Dover entführt Alex Jones, den vermeintlichen Täter. Dazu sind dem rustikalen Naturburschen alle Mittel recht, doch als er seinen Freund Franklin Birch (Trevor Howard), dessen Tochter ebenfalls verschwunden ist, ins Vertrauen zieht, werden die Dinge kompliziert, denn Franklin und seine Frau Nancy (Viola Davis) sind keineswegs bereit, bis zum Äußersten zu gehen.
„Prisoners“ ist ein verdammt spannender und clever konstruierter Thriller, der aus der Feder von Drehbuchautor Aaron Guzikowski („Contraband“) stammt und vom frankokanadischen Regisseur Denis Villeneuve („Incendies – Die Frau die singt“) in Szene gesetzt wurde. Doch „Prisoners“ hält sich keineswegs mit der genreüblichen Dramaturgie auf, sondern schafft es, zugleich ein intensives Psychogramm aller Beteiligten zu schaffen. Das hat bisweilen trotz der vielen falschen Fährten, die der Film in seinen zweieinhalb Stunden legt, etwas Melodramatisches. Die titelgebenden „Gefangenen“ sind dabei nicht nur die verschwundenen Mädchen, viel eher zieht sich das Thema Gefangenschaft als roter Faden durch den Film.
Das (noch immer) hochaktuelle und durchaus politische Thema Folter wird in einer überzeugenden Weise in die Handlung eingebunden und in die spannende Story eingewoben, ohne allzu explizit dargestellt zu werden. Es scheint beinahe nur ein Nebeneffekt dieses emotional beängstigend intensiven menschlichen Dramas. Der Zwiespalt des liebenden Familienvaters, der sich zu einem brutalen Gefängniswärter entwickelt, um das Leben seiner Tochter zu retten, wirft Fragen an die Menschlichkeit und die Grenzen der Zivilisation auf. Das hat auch etwas Grundsätzliches, das dem Thriller „Prisoners“ eine ganz andere Dimension verleiht und ihn von vielen anderen Werken des Genres abhebt.
„Prisoners“ schafft eine beklemmende Atmosphäre mit seiner herbstlichen, kalten Stimmung, der Nähe zu den dunklen Wäldern und dem verlassenen, heruntergekommenen Haus, in dem Dover sein Opfer, das eigentlich (vielleicht) Täter ist, gefangen hält. Kameralegende Roger Deakons findet dafür großartige Perspektiven und Einstellungen. Regisseur Villeneuve hat in Kanada und auf französisch bislang vier Spielfilme und einige Dokus und Kurzfilme gedreht, die allesamt mit Preisen überhäuft wurden. Nun hat der Frankokanadier den Sprung in das amerikanische Filmbusiness gewagt und gleich zwei Spielfilme mit Jake Gyllenhaal abgedreht, die beide auf dem Filmfestival in Toronto zu sehen waren, das experimentelle Ein-Mann-Stück „Enemy“ nach einer Vorlage von Jose Saramago, und eben „Prisoners“. Der Sprung nach Hollywood scheint Denis Villeneuve gelungen zu sein.
Das Bonusmaterial der Blu-ray besteht zum größten Teil aus Interviews mit den Filmschaffenden, die wohl zum überwiegenden Teil beim Toronto Film Fest 2013 geführt wurden. Außerdem kurze Blicke hinter die Fassaden des Drehs und Footage von der Weltpremiere in Toronto und der Deutschlandpremiere in Berlin. Das ist für Fans und Interessierte.
Fazit: Das Thrillerdrama „Prisoners“ ist zugleich hochspannender und intelligenter Thriller und fesselndes Drama mit viel psychologischer Einsicht. Die atmosphärische Inszenierung und die grandiose Besetzung machen „Prisoners“ zu einem fulminanten Filmerlebnis, das lange nachwirkt.
Film-Wertung: (9 / 10)
Prisoners
OT: Prisoners
Genre: Drama, Thriller
Länge: 153 Minuten, USA, Can, 2013
Regie: Denis Villeneuve
Darsteller: Hugh Jackmann, Jake Gyllenhall, Maria Bello, Viola Davis,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Tobis
Kinostart: 10.10.2013
DVD-& BD-VÖ: 13.02.2014