In Paul Thomas Andersons neuem Epos „The Master“ kommt ein Ex-Marine nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zurecht und gerät an einen charismatischen Philosophen. Man kann „The Master“ als Film über Scientology lesen, aber im Mittelpunkt steht eine orientierungslose Gesellschaft im Umbruch.
Freddy Quill (Joaquin Phenix) hat ein Alkoholproblem; und das nicht erst, seit der Krieg vorbei ist. Schon in seiner aktiven Zeit hat der Matrose quasi aus allem, was ihm in die Finger kam, Alkohol destilliert. Mit hilfloser Getriebenheit versucht er die innere Leere zu füllen. Nach seiner Entlassung schlägt er sich eher schlecht als recht als Kaufhausfotograf durch und findet keinen Anschluss an die Gesellschaft mehr.
Dann wacht Quill nach durchzechter Nacht auf einer Jacht auf. Die gehört dem selbsternannten Philosophen und Wissenschaftler Lancester Dodd (Philip Seymour Hoffman). Der nimmt den ehemaligen Matrosen unter seine Fittiche und in seine neu gegründete quasi-religiöse Gesellschaft auf. Während Dodd für seinen neuen Schützling zu einer Art Ersatzvater wird, sieht der Wissenschaftler in Quill eine Lebensaufgabe und eine Prüfung für seine Theorien. Mit aller Macht versucht er, den ehemaligen Matrosen auf den rechten Pfad zu bringen. Doch so sehr Quill auch zu Versuchskaninchen und Forschungsobjekt wird, so wenig kann er von den alten Gewohnheiten und dem Hang zum Rausch lassen.
Fünf Jahre hat es gedauert, bis Paul Thomas Anderson nach dem hochgelobten „There Will Be Blood“ einen neuen Film vorlegt. Dieser wurde als Kommentar über Scientology erwartet, bleibt aber gerade die von vielen erhoffte kritische Auseinandersetzung schuldig. Stattdessen portraitiert „The Master“ anhand zweier grandios dargestellter Charaktere das, was der Regisseur und Autor für die vorherrschende gesellschaftliche Stimmung in den USA nach dem zweiten Weltkrieg hält. Viele der Soldaten finden sich nicht mehr in der Zivilgesellschaft zurecht, auch weil diese sich rasant verändert: Familiäre Zusammenhänge, gesicherte, bürgerliche Verhältnisse und wirtschaftliche Zuversicht verschwinden zunehmend und der Bedarf nach metaphysischer Orientierung und Sicherheit ist groß.
Eine Nische, die der charismatische und höchst manipulative Lancester Dodd auszufüllen versucht, indem er den Menschen eine neue Perspektive bietet, die sich gleichsam aus religiösen, quasireligiösen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammensetzt. Damit stößt er beim Establishment auf wenig Gegenliebe, was die Faszination seiner neuen Gemeinschaft für andere Menschen nur erhöht. Quill andererseits sucht im Grunde keine Erweckung, sondern einfach nur ein Zuhause, geistige Ruhe und Freundschaft. All das findet er in Dodd und seiner zusammengewürfelten (Wahl-)familie, auch wenn Dodds Ehefrau (Amy Adams) mit dem Säufer nichts anfangen kann und überhaupt nicht versteht, was denn ihr Gatte an diesem dahergelaufenen ehemaligen Matrosen so faszinierend findet. Die seltsame und ungleiche Männerfreundschaft entwickelt sich zu einer Art Hassliebe, aus der beide kaum entrinnen können.
Regisseur und Drehbuchautor Anderson hat einen Hang zu langen Filmen und von seinen bisherigen sechs Arbeiten sind nur sein Spielfilmdebut „Sydney“ und „Punch Drunk Love“ kürzer als 140 Minuten. Das birgt immer die Gefahr, zu langatmig zu werden, und im Gegensatz zu „Magnolia“ oder auch „There Will Be Blood“ hat „The Master“ so seine Längen, die nur von der grandiosen Filmmusik des Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood gemildert werden, der nach „There Will Be Blood“ erneut einen großartigen Score abliefert. Dramaturgisch lässt das weitläufige Script den furios aufspielenden Hauptdarstellern Raum, ihre Charaktere bis ins Detail auszuleuchten, ohne dass die Handlung sich wesentlich entwickeln würde. Konsequenter Weise sind die Oscar-Nominierungen für „The Master“ auch die der Schauspieler.
Fazit: Als Drama und Gesellschaftspanorama der USA nach dem Zweiten Weltkrieg ist „The Master“ deutlich zu lang ausgefallen, was durch das Aufeinandertreffen zweier brillanter Charakterstudien mit den grandiosen Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix abgemildert wird. Unterm Strich ist Andersons „The Master“ noch immer höchst sehenswert.
Film-Wertung: (7 / 10)
The Master
OT: The Master
Genre: Drama
Länge: 144 Minuten, USA 2012
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Senator
Kinostart: 21.02.2013