Nach den saisonal bedingten, eher unvollständigen Empfehlungen der letzten Wochen bringt der September wieder die volle Breitseite: unglaubliche Mengen an guten Filmen, Live-Acts und lang erwarteten Alben gehen an den Start und buhlen um eure und meine Gunst. In dem Wirrwarr, gerade auf dem Musikmarkt, ist es nicht immer leicht, die tatsächlichen Veröffentlichungstermine der Neuerscheinungen auch punktgenau zu treffen; da wird kurzfristig hier und da was um ein paar Tage verschoben, die Labelangaben unterscheiden sich von den bei Amazon veröffentlichten Daten und dann kommen die Sachen auch nicht weltweit gleichzeitig heraus. Soviel zum Gejammer aus dem Nähkästchen – wird Zeit, sich dem Wesentlichen zuzuwenden: Hier sind die Wochentipps für die ersten Septembertage:
LIVE: Die Wüste als extremer Lebensraum. Die Wüste als Lebenserfahrung. Die Wüste als musikalische Inspiration. Die Tuareg-Band Tinariwen hat aus der musikalischen Verknüpfung ihrer Tradition mit dem bluesigen Sound moderner Instrumente eine hypnotische Faszination geschaffen. Nun, mit dem frischen Album „Tassili“ im Gepäck, ist die Gruppe auf ausgedehnter Welttour. Was vor dreißig Jahren als politischer Protest begann, hat sich auch in einer ganz eigenen Musik niedergeschlagen. Der rootsorientierte Musikfan kennt bluesige afrikanische Sounds aus Mali, wenn der selige Ali Farka Toure seinen Sehnsucht in Songs packte. Als erster Orientierungspunkt für die musikalische Ausrichtung von Tinariwen mag das genügen. Aber der Sound der Tuareg geht darüber hinaus und nachdem ich die Wüstenpoeten mehrfach live gesehen habe, freue ich mich auch diesmal auf den garantiert grandiosen Gig in der Hamburger Fabrik am 6. September.
Keine Ahnung wer Tinariwen den Terminplan gestaltet, aber die Band ist kreuz und quer unterwegs: Von England geht’s via Hamburg nach Wien, von dort nach Norwegen und dann nach Paris, anschließend Istanbul, Kroatien und die USA (für ein Konzert!), nur um ein paar Tage später wieder in Portugal zu spielen. Irgendwann (6.10.2011) kommt auch noch Köln in den Konzertgenuss. Die Tuareg sind eben ein Nomadenvolk.
KINO: Nach der Flaute in den vergangenen Wochen, gibt’s auch auf der Leinwand wieder sehenswerte Neuheiten. Die amerikanische Klamauk-Komödie „Kill the Boss“ macht schlicht Spaß, aber die beiden Highlights kommen aus anderen Sphären:
Das russische Drama „How I Ended This Summer“ räumte schon auf der Berlinale 2010 ab und lohnt den Gang ins Kino. In der Abgeschiedenheit einer arktischen Wetterstation fristen Pavel und Sergej ihre eintönigen Tage. Als Sergej für ein paar Tage zum Fischen fährt, muss sein junger Kollegen die Station alleine führen. Ausgerechnet jetzt kommt der Funkspruch, dass Sergejs Frau einen schweren Unfall hatte. Doch Pavel verheimlicht seinem Kollegen die Nachricht. Die Spannungen in der arktischen Einöde spitzen sich zu, als Pavel auch noch einen Lagerkoller bekommt. Im Grunde ist „How I Ended This Summer“ eine Kammerspiel in der endlosen subpolaren Weite. Stimmungsvoll, intensiv und großartig gefilmt.
Film-Wertung: (7,5 / 10)
Für Freunde des gepflegten Dokumentarfilms und Science-Fiction Fans bietet „Perry Rhodan – Unser Mann im All“ einen unterhaltsamen Einblick in ein literarisches Paralleluniversum. Dieser Tage wird „Perry Rhodan“ 50 und der Dokumentarfilmer André Schäfer blickt mit viel Humor in das Perryversum und trifft Autoren, Zeichner und Fans. Das Ganze ist sehr liebevoll und originell aufbereitet und macht als Film einfach Spaß. Mehr dazu in der Filmbesprechung. Hamburger, die heute noch nichts vorhaben, können versuchen, die Veranstaltung im Literaturhaus zu besuchen, dort gibt’s die kürzere Vorschau der TV-Version und anschließend einen fantastischen Abend zum Thema „Perry Rhodan“, ob’s überhaupt noch Karten gibt, kann ich allerdings nicht versprechen.
Film-Wertung: (8,5 / 10)
DVD: Für Sofakartoffeln bietet sich aus der Vielzahl an DVD-Veröffentlichungen Oscar-prämiertes und Star-gespicktes Kino an:
„The King’s Speech“ erzählt nach wahrer Geschichte von den Stotterproblemen des späteren britischen Königs George VI. Erst als er den eigenwilligen australisch-stämmigen Sprachtherapeuten Lionel Louge trifft und nach anfänglichen Vorbehalten mit ihm arbeitet, bekommt der Thronfolger wider Willen seine Sprachprobleme in den Griff. Die Besetzung um Colin Firth und Geoffrey Rush ist grandios und allein Grund genug, den Film zu sehen. Aber auch die Story ist großartig umgesetzt: Im Stil eines Kammerspiels mit großartiger Dramaturgie und einer subtilen Mischung aus Ernst und Humor. In jeder Hinsicht ein toller Film.
Film-Wertung: (8 / 10)
MUSIK: Die beiden Alben der Woche haben eine große Gemeinsamkeit: Sowohl Tom Morello als auch Ry Cooder beschäftigen sich auf ihren neuesten Outputs mit Gesellschaftskritik.
Tom „The Nightwatchman“ Morello, der Gitarrist von Rage against the Machine, macht sich mit „World Wide Rebel Songs” auf gelungene Weise um anderer Leute Liedgut verdienet und nähert sich den Songs in musikalisch abwechslungsreicher Weise. Über allem steht dabei die Solidarität mit der Arbeiterklasse, die sich der Nachtwächter auf die Fahne geschrieben hat. Auch wenn nicht alle Coverversionen richtig toll gelungen sind, bezieht Morello Position und holt einige feine Lieder aus der Versenkung. Wenn damit noch ein junges Publikum erreicht wird, erfüllt das Album einen doppelten Nutzen. „World Wide Rebel Songs“ ist momentan noch bei aol im Stream zu hören. Also checkt das selbst, bevor ihr das Portemonnaie zückt.
Über Ry Cooder noch viele Worte zu verlieren verbietet sich irgendwie. Der Mann ist seit den 60ern als Gitarrist unterwegs und wohlbekannt als „Mister Slide Guitar himself“. Mehr Infos über Ry Cooder findet ihr auf der Künstlerseite des Labels Nonesuch. Als Songwriter mag Ry Cooder konstant unterschätzt werden, aber „Pull up some dust and sit down“, das neue Album, ist ein abwechslungsreicher Ausflug in amerikanische Musikwelten: Folk, Country, Blues und Rock in einer feinen, zeitlosen Mischung. Die Songs sind absolut gelungen und wirbeln textlich ein bisschen vom gesellschaftlichen Staub auf. Nun kann sich der Hörer also hinsetzen, ohne sich den Hosenboden schmutzig zu machen. Tolle Scheibe, die bei publicradio.org noch im Stream zu hören ist.
Insofern verabschiede ich mich diesmal mit einem sehr vorfreudigen Grinsen.
Kommt sicher durch die Woche.