Hierzulande ist man meist skeptisch, wenn Künstler sich in anderen Disziplinen versuchen. Der Country-Rock Gitarrist und Sänger Steve Earle hat gerade seinen Debütroman „I’ll never get out of this world alive“ vorgelegt. Die Geschichte von Doc weiß zu gefallen und ist kurzweilig erzählt. Steve Earle hat schon zuvor Kurzgeschichten und Gedichte geschrieben und der Schritt vom Songwriter zum Autor ist nur konsequent: Der Mann hat was zu erzählen.
Joseph Alexander Ebersole III wurde 1910 geboren und entstammt einer Familie von Medizinern. Doch weil Doktor Ebersole eine Leidenschaft für illegale Substanzen kultiviert hat, entzog man ihm die Approbation. Nun, Anfang der 1960er, lebt Doc schon seit einigen Jahre in einem heruntergekommenen Stadtteil von San Antonio, Texas, und finanziert seine Drogensucht, indem er der Unterwelt und den Prostituierten und allen, die sonst noch bedürftig sind, seine medizinische Fachkraft zur Verfügung stellt. Meistens besorgt Doc die illegalen Abtreibungen.
There’s a tear in my beer
Außerdem ist Doc ständig in höchst zweifelhafter Begleitung, die allerdings nur er wahrnimmt – und das auch nur, wenn er zugedröhnt ist. Rund ein Jahrzehnt zuvor war Doc mit dem berühmten Countrysänger Hank Williams unterwegs und dafür zuständig, nicht nur die ewigen Rückenschmerzen des Stars zu kurieren. Seit Hanks tödlichem Herzinfarkt im Auto auf dem Weg zu einem Gig in Ohio, wartet Hanks Geist geduldig auf der anderen Seite, dass Doc endlich hinterherkommt. Das begründet wohl auch Docs Abneigung gegen Jukeboxes mit Hank Williams Songs.
Eines Tages kommt ein junges mexikanisches Pärchen zu dem Quacksalber. Das Mädchen ist schwanger und der Kerl genervt. Sobald er sie bei Doc abgeliefert hat, macht er sich auf Nimmerwiedersehen vom Acker. Bei dem Eingriff verblutet das Mädchen, Graciella, fast und braucht Wochen der Regeneration in der Hurenpension, in der Doc logiert und sein Geschäft betreibt. Doch Graciella erkennt in Doc einen Seelenverwandten und bleibt bei ihm. Außerdem kann auch sie Hank sehen, wenngleich sie nie darüber spricht. Die gläubige Katholikin scheint eine wundersame Begabung für das Heilen zu haben und für eine Weile wenden sich die Dinge in am South Presa Strip in San Antonio zum Besseren. Dann wird der örtliche Priester auf die „Wunderheilerin“ Graciella aufmerksam.
I’m a long gone daddy
Steve Earles Debütroman „I’ll never get out of this world alive“ gibt schon im Titel die Fahrtrichtung dieser Geschichte vor. Der Titel zitiert einen Hank Williams Song und das Szenario der gesellschaftlichen Randexistenzen lebt zielstrebig auf dieses alberne, selbstverständliche Motto zu. Doc macht da keine Ausnahme und doch scheint die Aussicht, dass niemand hier lebend rauskommt, einen tröstlichen Aspekt zu beinhalten, der mit Glauben oder Hoffnung nur ungenügend umrissen wäre.
Die Story um den abgehalfterten, süchtigen Arzt entfaltet ein Panorama einer fast abgeschlossenen eigenen Randgesellschaft, die im Zwielicht des Bieder-Bürgerlichen der frühen Sechziger Jahre ihre Nische gefunden hat. Mit unaufgeregtem Tonfall schildert der Autor Schicksale und Situationen wie sie auch in seiner Musik und in jeder Countrymusik vorkommen könnten, ohne dabei oberflächlich zu sein. Der Fokus des Buches liegt in der absurden Dreierkonstellation aus Hanks Geist, Doc und Graciella, doch auch die übrigen Charaktere sind liebevoll gezeichnet, selbst wenn sie nicht weiter ausgeführt werden als notwendig.
Als Erzähler geht Earle seine mitfühlende, poetische Geschichte mit wohl dosiertem bisweilen bissigen Humor an, wobei die Geisterscheinung mit der gleichen Selbstverständlichkeit abgefrühstückt wird, wie sie Doc selbst im Umgang mit Hanks unsterblichen Überresten an den Tag legt. Die Übergestalt des Country-Stars kommt als dauernörgelnde, eifersüchtige Spukgestalt ohne jeden Schrecken daher und ist ebenso auf Doc angewiesen, wie der auf den Geist.
I saw the light
Steve Earle weiß, wovon er erzählt, und es wirkt beinahe, als hätte der Songwriter und Dichter hier auch seine eigenen Dämonen ausgetrieben. Wenngleich man sich hüten sollte, „I’ll never get out of this world alive“ allzu biografisch deuten zu wollen. Dass Steve Earle quasi in San Antonio aufgewachsen ist, verhilft der Szenerie zur Glaubhaftigkeit. Auch Earles Drogenkarriere, die im Knast endete und ihm einen gelungenen Neuanfang ermöglichte, fließt in die Geschichte ein. Gleiches gilt für seine musikalische Karriere als Americana-Vorreiter, das Erbe Hank Williams lauert überall und wird zum Klischee eines Maßstabs. Vielleicht mag das katholische Element des Romans auf die Herkunft seiner Mutter deuten. All dies verhilft „I’ll never get out of this world alive“ zu einer Tiefe und Aufrichtigkeit, die das Buch höchst lesenswert machen. Der biografische Subtext fügt nur eine besondere Würze hinzu.
Fazit: Mit seinem Debütroman „I’ll never get out of this world alive“ ist dem Songwriter Steve Earle ein mehr als überzeugender Einstand in der Welt der Geschichten gelungen. Die Geschichte vom heruntergekommenen, drogensüchtigen, von einem Geist gejagten Abtreibungsarzt ist voller Hoffnung und Mitgefühl, auch wenn sicher ist, dass wir diese Welt nicht lebend verlassen. Wo ich gerade dabei bin: Im Oktober und November ist Steve Earle auf Europatour: Der einzige Deutschlandtermin ist am 20.10.2011 in Hamburg.
Buch-Wertung: (8 / 10)
Steve Earle: „I’ll never get out of this world Alive“
(ist auch der Originaltitel)
Genre: Gesellschaftsroman,
Übersetzung: Gunnar Kwisinski
Verlag: Blessing Verlag,284 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-89667-463-0
VÖ: 26.07.2011
Weiterführende Links:
Verlagsseite mit Leseprobe:
Offizielle Steve Earle Homepage
Steve Earle bei Myspace
englischer Wikipedia-Eintrag zu Steve Earle