Paterson: Poetry in Motion

PATERSON_D06_0133.ARWIn gewisser Weise wurde ich mit den Filmen von Jim Jarmusch sozialisiert und es fällt mir nicht immer leicht, bei der Vorstellung seiner neuen Werke die kritische Distanz  zu wahren.  In seinem jüngsten Werk „Paterson“ erzählt Jarmusch aus dem beschaulichen Leben eines dichtenden Busfahrers und packt dabei so viele Verweise und Anspielungen in den Film, dass ich beim – durchaus unterhaltsamen- Schauen in etlichen Momenten „Meta“-Jarmusch-Eindrücke hatte.  Ein bisschen zu gefällig ist mir die Alltagspoesie und das Loblied auf die New Yorker Lyrik-Schule dann doch ausgefallen. Aber „Paterson“ hat auch tolle Momente – und bei Jarmusch immer wichtig – wunderbare Schauspieler zu bieten.

PATERSON_D25_0077.ARWBusfahrer Paterson (Adam Driver) heißt nicht umsonst so wie die Stadt, in der er auf der Buslinie 23 tagein, tagaus das öffentliche Verkehrsmittel steuert und dabei den Fahrgästen lauscht, um Inspiration für sein Hobby, die Dichtkunst, zu finden. Paterson in New Jersey, hat rund 150 000 Einwohner und mehr als eine Verbindung zu der modernen amerikanischen Lyrik. Beat-Poet Alan Ginsberg hat hier eine Zeitlang gelebt, Nelson Algren („Der Mann mit dem goldenen Arm“), Mad-Cartoonist Don Martin ebenso wie William Carlos William, der den fünfbändigen Gedichtzyklus „Paterson“ über seine Heimatstadt verfasste.

PATERSON_D02_0015.ARWEs trieft sozusagen an jeder Ecke in Jarmuschs neuem Spielfilm vor Poesie und als wäre dann noch nicht genug, verfasst Jarmuschs erklärter Lieblingsdichter Ron Padget, ein Vertreter der New Yorker Schule, eben jene Gedichte, die Paterson zu Papier bringt (teilweise exklusiv für den Film) und die dann zur sonoren, naiv-neugierigen Stimme von Shootingstar Adam Driver auch noch animiert über die Leinwand wehen. Das ist schön, beruhigend und filigran durchdacht, aber eben auch ein bisschen selbstgefällig und so unglaublich harmonisch, dass es auch ein wenig angestrengt wirkt. Es lohnt sich aber den „Paterson“ im Original anzuschauen. So streng wie früher ist Filmmmacher Jarmusch allerdings nicht mehr, so dass seine jüngeren filme auch synchronisiert in die Kinos kommen.

Die strenge Form des Films, eine Woche im Leben des Busfahrers Paterson (Adam Driver) zu zeigen, folgt immer wieder mit dem alltäglichen Tagesablauf: Reden über die Träume der letzten Nacht, vor der Busschicht noch ein paar Gedanken zu Papier bringen, nach der Arbeit die neuen Einfälle und Schwarz-Weiß-Dekors der hinreißenden Gattin Laura (Golshifteh Farahani) bewundern, nach dem Essen eine Runde mit der englischen Bulldogge Marvin und dabei in Doc’s Bar noch ein Bier und lockere Tresengespräche.

Auch in „Paterson“ geht es Jim Jarmusch weniger um Handlung als vielmehr um Beobachtung, Charaktere, Rhythmus und leichte Variationen. Die Alltagsimpressionen des dichtenden Busfahrers fügen sich da nahtlos ein und fließen undramatisch, flockig groovend und mit heiterer Gelassenheit durch den zweistündigen Film. Paterson hat so ecken zu bieten, die an den verfallenen Charme von Detroit erinnern, so wie es in „Only Lovers Left Alive“ zu bestaunen war.

PATERSON_D20-0165.ARWDie Kneipenszenen kann man auch als Reminiszenzen an  das Frühwerk Jarmuschs verstehen, oder eben als oevre-übergreifende Running Gags, so wie etwa auch die Kurzfilmserie „Coffee And Cigarettes“. Es ist eigentlich egal, ob Sreaming Jay Hawkins in „Mystery Train“ hinter dem Hoteltresen Fliegen klatsch, oder Barry Shabaka Henry als Kneipier gegen sich selbst Schach spielt, es sind Szenen lakonischen Humors, die das Werk Jarmuschs prägen. Dass Bulldogge „Marvin“ in Cannes einen Extra-Preis bekommen hat, muss wohl an dem grummeligen Gesichtsausdruck liegen und an der renitenten Ader seinem Herrchen gegenüber, die im Lauf des Films zu Tage tritt.

Adam Driver, der sonst auch gerne den Dampfplauderer gibt („Gefühlt Mitte Zwanzig“, wenn er nicht gerade in der neuen „Star Wars“-Saga unterwegs ist, hält sich als Paterson extrem zurück und ist dennoch so präsent, dass man noch großes von diesem begabten Darsteller erwarten darf. Auch Golsshifteh Farahani hat schon bewiesen, was für eine begnadete Schauspielerin sie ist („My Sweet Pepperland“, „Stein der Geduld“), allerdings ist sie in der von Jarmusch zugedachten Rolle deutlich unterfordert: Nur Cupcakes backen, Stoff betupfen und von einer Kariere als Country-Sängerin träumen ist dann doch ein recht altbackenes Frauenbild. Altbacken kommt einem auch Patersons Verzicht auf neue Medien und Mobiltelefon vor und so gerät der Film auch zu einem etwas arg überzogenen Statement gegen die amerikanischen Filmtrends im Aktionkino und der überzeichneten Dramen.

Also Höhen und Tiefen für Jarmuschs Ode an die amerikanische Lyrik, keine esoterischen Experimente wie in „The Limits of Control“, keine lebensmüden Vampire wie in „Only Lovers Left Alive“ und auch keine durchgeknallten Zellengenossen wie in „Down by Law“ und vor allem kein herausragender Soundtrack, der einem im Ohr hängen bleibt. Und das ist vielleicht das größte Manko in „Paterson“. Aber dafür hat Jim Jarmusch in diesem Jahr ja auch noch die Stooges-Doku „Gimme Danger“ gedreht, die im Frühjahr 2017 in die Kinos kommen soll.

„Paterson“ ist ein typischer Jim Jarmusch Film, der mit lakonischem  Humor, gestylten Szenen und charakteristischen  Running Gags aufwartet; eine sehr sinnliche Ode an die Schönheit alltäglicher Kleinigkeiten. Und wie so häufig in Jarmuschs Filmen offenbart sich ein Kosmos voller Bezüge zum Thema moderne amerikanische Dichtung.

Film-Wertung:7 out of 10 stars (7 / 10)

paterson_plakat_rz_dina3_300dpi„Paterson“
OT: „Paterson“
Genre: Komödie, Drama,
Regie und Drehbuch: Jim Jarmusch
Gedichte: ron Padgett
Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani,
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Weltkino
Kinostart: 17.11.2016

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