Auf der Bahnreise in die Schweiz wird ein Mann verhaftet und für jemanden gehalten, der wegen Mordes verdächtig ist. Der Verhaftete bestreitet der Gesuchte zu sein. Es beginnt eine Feststellung der Identität. „Stiller“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Max Frisch. Im Kino ab dem 30. Oktober 2025.
„Ich bin nicht Stiller.“ so spricht der US-Amerikaner James Larkin White (Albert Schuch) der in den 19+50er Jahren nach Zürich reist. Bei einer Kontrolle wird der Amerikaner festgesetzt und polizeilich registriert. In der Zelle bekommt er Besuch vom Advokaten Dr. Bohnenblust (Stefan Kurt). Der Pflichtverteidiger erläutert White die Vorwürfe, die zu seiner Verhaftung geführt haben.
In den 1930er Jahren hat in Zurich ein Künstler namens Anatol Stiller gelebt. Der soll einen Mann ermorde haben. Zumindest ist die Gleichzeitigkeit des Mordes und des Verschwindens Stillers verdächtig. Nun muss James Larkin White nachweisen, das er nicht Stiller ist. Der Anwalt lässt ihm ein Notizheft da, um sich Notizen über den fraglichen Tatzeitraum zu machen. Aufenthalte, Zeugen, was sonst wichtig sein könnte.
Während White wartet, dass sich die Angelegenheit klärt, kontaktiert Bohenblust die ehemalige Gattin Stillers, die heute eine Ballettschule in Paris leitet. Die ehemalige Ballerina Julika Stiller (Paula Beer) kommt nach Zurich zurück und erkennt den Mann nicht wieder. Oder doch?
„Wie soll man denn beweisen, das man jemand nicht ist?“
Währenddessen hat Staatsanwalt Rolf Rehberg (Maximilian Simonitschek) ein besonderes Interesse an dem Fall und auch dessen Frau Sybille (Marie Leuenberger) wird hellhörig. Man erinnert sich an damals und daran wie sich Julika und Anatol (Sven Schelker) kennenlernten.
Während etliche de Werke des Schweizer Autors Max Frisch (1911 bis 1991) bereits mehrfach Adaptiert wurden ist dieser „Stiller“ von Regisseur Stefan Haupt die erste Umsetzung des einflussreichen Romans. Was thematisch aufgrund der Identitätsfeststellung anfangs an „Die Wiederkehr des Martin Guerre“ erinnern mag, entwickelt sich schnell zur Frage, wer mensch sein will.
Zur Erinnerung: Martin Guerre war ein französischer Bauer im 16. Jahrhundert, der spurlos verschwand. Jahre später tauchten sowohl er als auch ein Hochstapler, der sich für ihn ausgab, wieder auf. Ein Gerichtsverfahren sollte klären, wer de echte Guerre war. Der Fall wurde mehrmals verfilmt. Unter anderem populär mit Gerard Depardieu 1982 und als amerikanisches Remake mit Richard Gere in „Sommersby“ (1993).
In „Stiller“ allerdings kehrt sich die Beweislast um. Der vermeintliche Amerikaner muss nachweisen, dass er nicht der Gesuchte ist. Das ist souverän in Szene gesetzt und mit viel Zeitkolorit ausgestattet. Der Film findet auf drei Erzählebenen statt, der aktuellen Zeit der Inhaftierung, der Erinnerung an Stiller und der scheinbar objektiven Schilderung der damaligen Geschehnisse. Freilich trägt zur Verwirrung bei, dass der Junge Anatol von einem anderen Darsteller verkörpert wird als der beschuldigte White, während die übrigen Charaktere personengleich besetzt sind.
„Du dummer Mensch.“
Für viele, gerade ältere Zuschauer:innen gehörten die Werke von Max Frisch – und gerade Stiller – zur Schullektüre. Übrigens gibt es auch Unterrichtsmaterialien zum Film. Das mag für den Filmgenuss ebenso hinderlich wie förderlich sein. Denn Filmmacher Stefan Haupt erzählt nahezu klassisch als „Period Piece“ mit klar erkennbarer linearer Handlung. Darin werden Erinnerungen, wahre oder behauptete, eingebettet und der Erzählung lässt sich leicht folgen.
Tatsächlich besticht die Szenenausstattung mit klaren architektonischer Kontur und die Kamera weiß gerade in der Zelle erstaunliche geometrische Blickwinkel einzufangen. Etwa wen auf Stiller gehalten wird und sich in der Zellentür im Hintergrund eine Sichtluke geöffnet. Das mag offensichtlich symbolisch scheinen, es wirkt dennoch eindrücklich.
Es zeigt sich einmal mehr, dass es sich lohnt die literarischen Klassiker zu bemühen, denn in ihnen verstecken sich oft auch starke Geschichten, die zu packen wissen und häufig eine zeitlose Thematik beinhalten. So auch die in Stiller gestellte Frage, ob mensch sein darf, wer mensch sein will? Oder ob mensch sein und bleiben muss, wer mensch immer war. Möglicherweise mit jurstischen Konsequenzen.
Albrecht Schuch und Sven Schelker ähneln sich gerade genug, dass sie derselbe Mann sein können, aber nicht müssen. Beiden Darstellern wohnt aber eine Intensität inne, die eine charismatische Präsenz hervorbringt. Das trägt psychologisch durch den Film, der vor allem mit starker Besetzung und zeitgenössischer Ausstattung punkten kann, und der literarischen Vorlage genüge tut.

Stiller
OT: Stiller
Genre: Drama
Länge: 99 Minuten, D, 2024
Regie: Stefan Haupt
Vorlage: Roman „Stiller“ von Max Frisch (1954)
Schauspiel: Albert Schuch, Marie Leuenberger, Paula Beer,
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 30.10.2025




