Wieder was gelernt. Als ich Sommerregen googelte, lehrt mich die KI, dass der Geruch von Sommerregen „Petrichor“ genannt wird und so typisch aromatisch duftet, weil Bodenbakterien Geosmin produzieren, das dann in der Luft wahrnehmbar wird. Wieso das wichtig ist? Weil Ida nur bei Regen mit ins Freibad kommt. Zu sehen in der Bestseller-Verfilmung „22 Bahnen“, die ab dem 4. September in die Kinos kommt.
Tilda (Luna Wedler) schwimmt jeden Tag 22 Bahnen im Freibad. Die junge Frau studiert Mathe und finanziert sich mit einem Job an der Supermarktkasse. Tilda hat noch eine 11jährige Schwester, Ida (Zoë Baier), und eine alleinerziehende Mutter (Laura Tonke) mit Alkoholproblem. Daher ist Tilda die Erwachsene in der Familie und versucht alles zusammenzuhalten.
Das klappt auch halbwegs, mit unvorhersehbaren Aussetzern und Ausfällen der Mutter. Bis Tildas Prof sie fragt, was sie denn nach dem Abschluss vorhat? Es gäbe da eine Doktorantestelle in Berlin, die genau ihr Ding wäre. Tilda kann das nicht denken. Erstmal die Sommerferien mit Ida. Und dann taucht Viktor (Jannis Niewöhner) auf, der große Bruder von Tildas Kumpel Ivan, Mathe-Überflieger und Ritter von der traurigen Gestalt.
„Du machst mich verrückt mit deinen Zahlen!“
„Du machst mich verrückt mit deinem Trinken!“
Es ist das Vorrecht der Jugend intensiv in Gefühlen zu schwelgen und sich von Adrenalin tragen zu lassen. Da geht’s eigentlich im Grund konstant dramatisch, existentiell und pathetisch zu. Nicht, dass das später im Leben nachlassen muss. Aber die jungen, neuen Impulse und Situationen wollen ausgekostet und gelebt werden. Auch wenn’s wehtut. Oder wenn’s schön ist. Und alles ist federleicht, wenn es schön ist. Und alles ist grabesschwer, wenn es schmerzt.
Will mensch dabei teilhaben, lässt sich davon vielleicht nur erzählen, als wäre das Publikum die Person, die da lebt. Ich bin kein Freund von Ich-Erzählern und Off-Erzählern im Film. Selten genug ist da tatsächlich Mehrwert. In Literaturverfilmungen ist das immer wieder ein Vehikel um das Individuelle der Sprache einzuweben in eine Bilderwelt. In „22 Bahnen“ ist Tildas Erzählung alternativlos, denn auch der Roman von Caroline Wahl ist so geschrieben. Mitten raus aus Tildas Leben und mittenrein in Tildas Existenz. Nach zwei Bahnen Film geht’s.
„22 Bahnen“ fängt den flotten, flirrenden Sound des Romans ein und spiegelt ihn unter Wasser an die Oberfläche des Freibad-Beckens. Und das Freibad an sich ist schon kein Badesee, eine namenlose Kleinstadt ist keine Metropole und eine Schwestern-Gemeinschaft nur ein Teil einer Familie. Und dennoch erzählt Tilda nicht vom trostlosen Leben im traurigsten Haus in der Fröhlichstraße, sondern von Aufbruch und Ausbruch.
„Ist „Nein“ Teil einer möglichen Ergebnismenge?“
„22 Bahnen“ erzählt von einer Kriegerin, die sich auf dem Kampf vorbereitet. Und die auch ihre Ein-Mädchen-Truppe trainiert in Überlebensfähigkeit. Systematisch; und genauso eigennützig wie mitfühlend. Und genauso kommt das Selbstverständnis der Verantwortung für ein anderes Leben an die Grenze dessen, was ein Mensch zu leisten vermag. Eine eigene, zugewandte Gruppe zu finden, mag helfen. Wahlverwandschaften als Bodensatz für zarte Pflanzen aus harten Kernen.
Nicht alles glänzt und funkelt in „22 Bahnen“, aber die Schlagzahl stimmt in der eigenen Wahrhaftigkeit. Den Rest spült die Bugwelle fort. Den eigenen Rhythmus finden und bis zum Ende durchziehen – die ganze Strecke. Aber ohne die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Regisseurin Mia Maariel Mayer hat zuvor neben dem Drama „Die Saat“ vor allem Serien gefilmt. Drehbuch-Autorin Elena Hell war für die kaiserlichen Episoden der Serie „Sisi“ mitverantwortlich. Beiden gelingt eine stimmige Umsetzung des beliebten Bestsellers. Während Laura Tonke und Janis Niewöhner in ihren Rollen souverän aufspielen, sind es vor allem die beiden Schwestern, auf denen der Film lastet. Und Luna Wedler in der Hauptrolle rockt das Haus, eher das Schwimmbecken, mit ihrer kraftvollen Tilda.
„22 Bahnen“ ist eine starke Romanverfilmung geworden. Wo der Roman eine ganz eigene Stimme hat, findet der Film stimmige Bilder und vor allem eine pulsierende Erzählung über das Leben mit seinen Pflichten und Freuden, Ängsten und Sehnsüchten. Noch ist die Freibad-Saison nicht beendet.
22 Bahnen
OT: 22 Bahnen
Genre: Drama
Länge: 102 Minuten, D, 2025
Regie: Mia Maariel Meyer
Vorlage: Roman „22 Bahnen“ von Caroline Wahl
Schauspiel: Luna Wedler, Laura Tonke, Jannis Niewöhner, Zoë Baier
FSK: ab 6 Jahren
Verleih: Constantin Film
Kinostart: 04.09.2025