New Life: Verzweifelt nach Norden

Weglaufen nützt nichts!, möchte mensch meinen angesichts der jungen Frau, die in dem amerikanischen Indie-Mystery-Thriller vom Start weg gejagt wird. Erstaunlicher Weise nimmt das Spielfilm-Debut „New Life“ des jungen Filmmachers John Rosman dann doch die eine oder andere unerwartete Wendung. Drop-out Cinema bringt „New Life“ ab dem 5.September 2024 hierzulande in die Kinos.

Mit Blut am Kopf streift eine junge, unbekannte Frau (Hayley Erin) durch die Vororte in eine nicht benannte Stadt. Scheinbar kennt sie sich doch aus, denn sie findet den Schlüssel zu einem Haus, wäscht sich knapp, sammelt Klamotten zusammen und macht sich wieder auf den Weg. Vor einem Motel versteckt sie sich auf der Ladefläche eines Pickups und am kommenden Morgen ist sie als blinder Passagier unterwegs.

Die Agentin Elsa Grey (Sonya Walger) bekommt unerwartet Besuch von ihrem Vorgesetzten Raymond (Tony Almendola). Der hat einen dringenden Fall. Eben jene junge Frau muss dringen aufgespürt werden und darf auf keinen Fall die Grenze zu Kanada erreichen. Das Warum lässt Raymond im Dunkeln.

Elsa nimmt den Auftrag an, obwohl sie noch nicht wieder ganz gesund ist. Doch so bietet sich der alleinstehenden Frau eine Chance, ihrer Situation zu entfliehen. Das Team wird absichtlich überschaubar gehalten. Neben Raymond und Elsa ist noch ein IT-Spezialist mit dabei. Und während sich Elsa zu Bob Dylans „Like a Rolling Stone“ an die Fersen einer Frau namens Jess(ica) heftet, findet diese in der Einsamkeit der weiten Landschaft eine scheinbar unbewohnte Farm.

„Durch Freiheit und Neuanfänge ist dieses Land groß geworden.“

Selbst wenn der Trailer und auch die Ankündigung vom Verleih mehr Infos über den Debutfilm „New Life“ von John Rosman offenlegen, macht es deutlich mehr gruselig spannenden Spaß die Sachen vor der Leinwand selbst herauszufinden. Denn tatsächlich ist der Thriller mit seinen Infos extrem sparsam. Was auch dazu führt, dass die eine oder andere Wendung überraschend stattfindet.

Anfangs freilich ist die Sache klar: Eine ressourcenmächtige Organisation hetze eine Flüchtige. Die muss wohl zu Recht gesucht werden, denkt der brave Bürger. Sie ist definitiv das klassisches Opfer eines Überwachungsstaates, denkt der Film-Nerd. Beide dürfen sich später noch wundern. „New Life“ kann die Tatsache kaum verbergen, dass es sich um eine Filmproduktion mit überschaubarem Budget handelt. Dennoch wissen John Rosman und sein Team ihre Mittel nicht nur effektiv, sondern auch sehr stimmungsvoll einzusetzen. Das ist schon toll anzusehen.

An dieser Stelle vielleicht eine kurze Bemerkung zum Independent-und Budget-Film. Selbstredend kann „New Life“ zu keiner Zeit und an keiner Stelle mit der aufpolierten Optik und dem Sounddesign einer Hollywood-Produktion mithalten. Aber das ist auch gar nicht notwendig (und nicht beabsichtigt), denn das sorgsame Location Scouting, das begrenzte Personal und die Lichtqualität haben eine cineastische Qualität an sich. Das muss das Publikum beachten und möglicherweise auch mögen um an „New Life“ und ähnlichen Filmen Kinospaß zu haben.

„Die Informationen werden strategisch eingesetzt.“

Sinnstiftend ist die Spiegelung der beiden Frauen, deren Schicksal miteinander gekoppelt ist. Für mein Dafürhalten ist der Bob Dylan Song „Like a Rolling Stone“ als filmisches Motiv etwas zu offensichtlich ausgefallen. Das Lied, das von der Musikzeitschrift „Rolling Stone“ zum besten Song aller Zeiten gewählt wurde, beschreibt Heimatlosigkeit, Obdachlosigkeit und das Fallen aus gut behüteter Gesellschaft. So ist eine weitere Verbindung der beiden Frauen geschaffen, aber auch eine darüber hinaus gehende Deutungsebene, die das Publikum selbst entdecken mag.

Ganz allgemein gesprochen nimmt „New Life“ ziemlich aktuelle Themen der amerikanischen Gesellschaft auf und macht daraus packendes Genrekino, das auch keine Hemmungen hat, die Erwartungshaltung des Publikums umzukrempeln und zu unterlaufen. So sind neben Vereinsamung und sozialem Gefälle auch der Überwachungsstaat und die grundsätzlich verstörende unsichere Ahnungslosigkeit Aspekte dieser kleinen Dystopie, die das Potential einer Apokalypse in sich trägt mag. Hinzu kommen für beide Frauen das Thema Krankheit. Wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.

So darf Kino gerne öfter sein. Wer auf innovative Horror- und Thrillerthemen steht, sollte sich „New Life“ nicht entgehen lassen. Mit überschaubaren Mitteln und starken Darstellerinnen zaubert das Filmdebut von John Rosman einige räudige Karnickel aus dem Hut. Stimmungsvoll, wendungsreich, clever und verstörend.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

New Life
OT: New Life
Genre: Thriller, Horror, Mystery
Länge: 85 Minuten, USA, 2023
Regie: John Rosman
Darsteller:innen: Hayley Erin, Tony Amendola, Sonya Walger
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Drop-Out Cinema
Kinostart: 05.09.2024

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