Mit dem Sozialdrama „Ich, Daniel Blake“ taucht Ken Loach, der filmisch schon immer der Anwalt des kleinen Mannes war, tief ab in das Milieu der „Neuen Armut“. Die gelungene und sehenswerte Sozialstudie bezeichnet zwar britische Verhältnisse, passt aber definitiv auch auf unsere Gesellschaft. Dafür gab es bei den Filmfestspielen in Cannes 2016 die zweite Goldenen für Ken Loach nach „The Wind that Shakes the Barley“. Ob das angesichts der starken Konkurrenz und im direkten Vergleich mit Maren Ades „Toni Erdmann“ gerechtfertigt war, sei mal dahingestellt. Schließlich macht Ken Loach was er am besten kann. Gesellschaftliche Missstände aus Sicht der weniger Privilegierten aufzeigen. Ab 24. November 2016 auch bei ums im Kino.
Eine seiner besten Szenen hat „Ich, Daniel Blake“ gleich zu Beginn des Films, als Blake mit der Dame von Gesundheitsdienstleister telefoniert, die stumpf ihre Fragenliste für Arbeitslose abarbeitet, ohne auf Daniels Einwand einzugehen, dass er einen Herzinfarkt hatte und deshalb momentan nicht arbietne kann. Das alles geschieht als Prolog, während die Leinwand noch schwarz bleibt und ist gerade als Hörspiel von absurder wie entlarvender Komik. Da kann Darsteller Dave Johns, der von Haus aus Komiker ist, schon mal so richtig warmlaufen.
Denn der Zimmermann Daniel Blake hat ein Problem: Nachdem er seine Frau bis zu ihrem Tod gepflegt hat, erlitt er einen Herzinfarkt, und ist nun vorübergehend arbeitsunfähig. Statt sich allerdings auf Reha-Maßnahmen zu konzentrieren, muss sich der Endfünfziger mit den erstaunlich eingefahrenen Sozialbehörden herumschlagen. Eben jenes Telefoninterview mit einem Sozialdienstleister hat Blake nämlich fälschlicher Weise arbeitstauglich befunden. Jetzt beginnen die Mühlen der englischen Behörden stoisch und unpersönlich zu mahlen. Um überhaupt Unterstützung zu bekommen, muss Blake Formulare ausfüllen, die nur online zur Verfügung stehen, absurde Bewerbungstrainings absolvieren und sich Bewerbungen, allerdings nicht einfach mündlich, sondern nachweisbar schriftlich. Zumindest solange, bis er Einspruch einlegen kann gegen die Einschätzung, er sei arbeitsfähig.
Daniel Blake ist nicht der einzige, an diesem System der Sozialbehörden zu scheitern droht: Die Alleinerziehende Katie (Hailey Squires), wurde mit ihren zwei schulpflichtigen Kindern aus London nach Newcastle verfrachtet, einzig, weil dort eine Sozialwohnung frei ist. Doch beim Arbeitsamt bekommt sie kein Geld, weil sie – ortsunkundig – zu spät zum Termin erscheint. Daniel springt ein, appelliert lautstark an etwas Verständnis für die junge Mutter – und wird mit Katie zusammen rausgeschmissen. Aus guter alter Solidarität unterstützt er die junge Mutter so gut es ihm möglich ist und als Handwerker kann Daniel Blake zumindest die heruntergekommene Wohnung ein bisschen herrichten.
„Ich, Daniel Blake“ ist ein typischer Ken Loach Film, erneut von Loachs Langzeit-Drehbuchautor Paul Laverty geschrieben. Das soziale Anliegen wird aus der Perspektive normalen Leute geschildert. Die Story in Ken Loachs neuem Film ist ganz um die Titelfigur gestrickt und treibt den unverzagten Handwerker von einer kafkaesken Absurdität in die nächste soziale Demütigung. Aber Blake hält sich tapfer und mit einem gewissen Witz, der auch schon mal an Sarkasmus grenzt. Mit bodenständigen Darstellern, unaufgeregten Dialogen und einer eindeutigen Haltung, die sich sehr kritisch mit dem unpersönlichen britischen Sozialsystem auseinandersetzt, das dem Unseren seit der Umsetzung der „Agenda 2010“ durchaus ähnelt. Ken Loach dreht filmische vielleicht eine Runde zuviel, hält sich aber mit seinen Pathos eher zurück, um das Milieu „Neuer Armut“ zu beschreiben.
Nachdem der englische Filmmacher Ken Loach 2014 lapidar zu Protokoll gab, „Jimmy’s Hall“ werde wohl sein letzter Film, hat es sich der mittlerweile Achtzigjährige noch einmal anders überlegt, schließlich gäbe es noch viel zu viele Geschichten zu erzählen. „Ich, Daniel Blake“ ist eine davon, die berührt, betroffen macht und Solidarität einfordert. Loachs Kleine-Leute-Drama ein zeitgemäßer, wichtiger und gelungener Film ist.
Film-Wertung: (7 / 10)
Ich, Daniel Blake
OT: I, Daniel Blake
Genre: Drama
Länge: 100 Minuten, GB, 2016
Regie: Ken loach
Drehbuch: Paul Laverty
Darsteller: Dave Johns, Sharon Percy, Hayley Squires
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Prokino
Kinostart: 24.11.2016