Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? – Gegen den bösen Blick

Der georgische Spielfilm „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen“ konnte nicht nur auf der Berlinale 2021 das Publikum begeistern. Alexandre Koberidze erzählt in seinem zweiten Film auf versponnenen und poetische Weise von einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Dabei entstehen auf ganz erstaunliche Weise ein Stadtporträt, ein Lebensgefühl und eine wunderbare Beziehung zu allen Dingen. Zuschauer:innen sollten aber nicht alles glauben, was der Erzähler in den 150 Minuten so von sich gibt. Grandfilm bringt den Film ab 7. April 2022 in die Kinos.

Zufällig laufen sich Lisa und Giorgi über den Weg. Doch die Liebe auf den ersten Blick verwirrt die beiden so sehr, dass sie vergessen, wohin sie unterwegs sind. Zufällig laufen sich die beiden am Abend wieder über den Weg und verabreden sich diesmal für den folgenden Tag, vergessen allerdings sich ihre Namen zu verraten. Oder wie Lisa meint: „Zufälle sind zuverlassig.“

Und weil Lisa von einem bösen Blick getroffen wurde, der sie verflucht, beschließen vier Objekte an einer Kreuzung mit der jungen Frau zu reden. Doch die Warnung vor dem Fluch bleibt unvollständig, und so weiß Lisa nicht, das auch Giorgi verflucht ist und wie sie am Morgen in neuer Gestalt aufwacht.

Vier Freunde an einer Kreuzung

Konsequenter Weise erkennen sich die beiden nicht. Doch beide haben größere Sorgen, denn ihre hauptsächlichen Talente hat der Fluch ebenfalls genommen. Die Apothekerin verliert ihr Wissen über Medizin und der Fußballer kann den Ball nicht mehr treffen. Beide müssen sich eine neue Existenz aufbauen.

Später dann beschließen zwei Filmemacher:innen einen Film über Liebespaare zu machen. Sie beauftragen eine Fotografin ihnen 50 Paare vorzuschlagen, die an dem Filmprojekt mitmachen könnten. Und dann ist da noch die Fußball-Weltmeisterschaft, die auch in Kutaissi, Georgiens drittgrößter Stadt intensiv verfolgt und öffentlich geschaut wird.

Der Setzling, die Überwachungskamera,…

In dem Moment als sich ein Erzähler aus dem Off in den Film einschaltet, sollte klar sein, dass dieser Geschichtensammler nicht allzu zuverlässig ist. Denn Filmmacher Alexander Koberidze hat schon von Filmbeginn an mittels der Bilder für einige Verwirrung und falsche Fährten gesorgt. Die geschäftige Anfangsszene eines mittäglichen Schulschlusses ist nur ein Prolog. Ein Vorspiel für die etwas später an derselben Stelle stattfindende schicksalhafte Begegnung zwischen Lisa und Giorgi. Und auch dann gibt es zunächst nur die Füße der Personen zu sehen.

Überhaupt gefällt sich „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ in der poetischen Betrachtung von Details, die im Beruf, im Alltag im normalen Leben niemand wahrnimmt. Hier die Hände, dort die zum Wäschestapel geworfenen Trikots, hier Stadtimpressionen, dort Tiere in der Stadt und dann wieder Gegenstände, Details und gestohlene Beobachtungen der Charaktere.

…die Regenrinne und der Wind

In den vergangenen Jahren kommen immer mal wieder Filme aus Georgien in die Kinos. Zumeist handelt es sich um internationale Koproduktionen, weil es eine Filmindustrie in der Form in Georgien nicht gibt. Doch die wenigen Filme haben immer auch etwas sehr Eigenständiges zu bieten. Das liegt nicht nur an der vielleicht unbekannteren georgischen Kultur, sondern vor allem daran, dass die Filmmacher:innen kraftvolle Bilder heraufbeschwören können, die die oftmals erstaunlich erdverbundenen Geschichten zu tragen vermögen. Sei es „Die Maisinsel“, sei es „Meine glückliche Familie“ oder das großartige und hochgelobte Coming-Of-Age-Drama „Die langen hellen Tage“. Immer werden die kraftvollen Stories von eindrücklichen Bildern transportiert.

Allein die Erzählhaltung in „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ sorgt bereits für eine seltsam gelassene Distanz, die sich auch in Handeln der Figuren zeigt. Die Musik sorgt für eine weitere heitere Betrachtungsebene. In dieser Gesellschaft müssen der Schutzmaßnahmen gegen den Bösen Blick noch bis ins 21. Jahrhundert reichen. Da verwundert es den Fußball-Fan im Kinosaal auch nicht, dass das Wissen um die Weltmeisterschaften nicht hinreicht um dieses Film-Turnier zeitlich zu verorten.

„Die Zeit der Flüche ist vorbei.“

Kein Wunder, denn „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ ist in einer zeitlosen, techniklosen Gegenwart angesiedelt. Eine Zeit von Greultaten und Verbrechen, nach denen zumindest der Erzähler nicht von seinen Kindern und Enkeln gefragt werden möchte. Die Arglosigkeit von Lisas Freundin Mina hallt nach: „Die Zeit der Flüche ist vorbei.“, beruhigt sie ihre Freundin, gibt ihr vorsichtshalber aber doch den eigenen steinernen Talisman. Nur um am nächsten Morgen eines Besseren belehrt zu werden.

So ist das. Wenn man liebt, sorgt man sich.

Vielleicht ist dieser verschlungene, magisch-realistische Liebesfilm bisweilen ein wenig zu selbstverliebt, wenn es wieder auf Abwege geht, in denen Hunde sich zum Public Viewing verabreden, oder im Cafe an der weißen Brücke keine Gäste erscheinen. Vielleicht ist die Arbeit an dem Filmprojekt im Film zu offensichtlich als mögliche Liebes-Erlösung angelegt. Vielleicht hat Koberidzes Film in den 150 Spielminuten schlicht und detailverliebt seine Längen.

Doch es sind schöne Längen, verstohlenen Auszeiten aus einem zu geschäftigen, funktionsgesteuerten Alltag. Vielleicht geht es in „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ genau darum, Emotionen laufen zu lassen. Den Dingen wieder eine Seele zuzugestehen. Wenn im Film dazu ein Warnhinweis nötig ist, die Augen zwischen zwei Signaltönen zu schließen, sollten sich die Zuschauer dem unzuverlässigen Erzähler einlassen. Es gibt genug Treppen zu erklimmen und von Oben ist die Aussicht immer weiter als am Boden.

Wenn einem die eigene Ungeduld nicht im Weg steht, eröffnet der Georgische Liebesfilm „Was sehen wir, wenn wir in den Himmel schauen?“ hinreißende Antworten auf wesentliche Fragen des Lebens: Fußball, Liebe, Kino, Kinder und streunende Hunde. Bei mir zerrte die Ungeduld bisweilen an den lyrisch eingefangenen Details, vor allem dann, wenn ich das Gefühl hatte, zu wissen, wohin der Film gerade will. Aber letztlich ist auch das eine Erkenntnis aus Koberidzes schönem Film: Gelegentlich braucht es keine Richtung und keine forschen Schritte um anzukommen, wohin man oder frau schon immer wollten.

Film-Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?
OT: რას ვხედავთ, როცა ცას ვუყურებთ (ras vkhedavt, rotsa tsas vuq’urebt?)
Genre: Drama, Romanze
Länge: 150 Minuten, GO/D, 2021
Regie: Alexandre Koberidze
Darsteller:innen: Ani Karseladze, Oliko Barbakadze Giorgi Ambroladze Giorgi Bochorishvili
Vertrieb: Grandfilm
Kinostart: 07.04.2022

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