#FFHH19: Filmfest Hamburg 2019 – Festival-Tagebuch Teil 1

Wer dieser Tage in der norddeutschen Metropole Hamburg unterwegs ist, wird sicherlich über die Ankündigungen zum 27. Filmfest Hamburg gestolpert sein. Seit dem 26. September 2019 werden mehr als 140 Filme aus aller Welt gezeigt. Das Filmfest Hamburg versteht sich seit je her als Publikumsfestival und so sollte mit dem anstehenden Feiertag und dem ersten Ferienwochenende in der Hansestadt bis zum 5. Oktober noch ein gehöriger Schub Kino-Zuschauer zu erwarten sein. Schietwetter treibt schließlich ins Warme und Trockene, also in die Kinos. Hier nun der erste Teil meiner Festivalbetrachtungen und Vorstellung einiger Filme.

Es scheint fast als wäre mein Festivalauftakt am Freitag Morgen zumindest wettertechnisch mehr als prophetisch. In der Akkreditiertenvorstellung von Lav Diaz neuem Werk „Ang Hupa“ aka „The Halt“ regnet es quasi ohne Unterlass. Darin unterscheiden sich die dystopischen Philippinen im Jahr 2034 nicht vom Hamburg der Gegenwart. Die Handvoll versprengter Zuschauer, die sich in den fast 280 Minuten langen Film verloren hat, verzichten auf die offizielle Vorstellung, zu der immerhin filmschaffende Gäste erwartet werden und zu der eventuell der Filmmacher selbst anreist. Immerhin wird eine Retrospektive seiner ausufernden Werke gezeigt.

„The Halt“ also erzählt von einem durchgedrehten egomanischen Diktator, der sich für gottgesandt hält, und von diversen versprengten Versuchen, Widerstand gegen das System zu leisten. Das ist mit einer Kamera, die sich mit infantiler Freunde scheinbar immer im nächstlegenden Busch versteckt, wunderbar in Schwarzweiß gefilmt und hat auch etliche bemerkenswerte Aspekte und Figuren zu bieten. Außer den einleitenden Zwischentiteln und den gelegentlich durchs Bild fliegenden Dronen deutet aber wenig auf eine vertane Zukunft hin. Das Setting könnte auch in der Gegenwart stattfinden. Auch die massive Kritik an Gesellschaft und Vergangenheitsbewältigung ist eine jetzige. Nicht umsonst fällt immer wieder der Name Marcos als Referenzpunkt und Idol des Filmdiktators. Gleichwohl legitimiert – skeptisch betrachtet – Weniges zwingend eine Filmlänge von mehr als 4 1/2 Stunden – außer der überbordenden, maßlosen Art des Regisseurs Lav Diaz.

Nicht nur für das Fachpublikum besteht jedes Festival – nicht nur ein filmisches – aus Entscheidungen: Was guckt man, was lässt man weg? Bei über 140 Filmen sind es vor allem die Auslassungen, die sorgsam gewählt werden wollen. Jene Filme, die bereits einen avisierten offiziellen Kinostart haben, könnte man auslassen, quasi vertagen. Dann findet man sich aber doch bei der Weltpremiere der Literaturverfilmung „“Deutschstunde“ nach Siegfried Lenz, der ohnehin am 3. Oktober anläuft. Und siehe da, das ist tolles Kino, in dem nicht dialoglastig und verkopft Seite um Seite nacherzählt wird, sondern die Bilder Wucht und Kraft haben und einen hineinsaugen in die vor Ort gefilmte Küstenlandschaft des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres.

Auch das britische Feel-Good-Movie „Wild Rose“ hat diese Qualität, den Zuschauer ganz für sich einzunehmen. Die Geschichte einer alleinerziehenden schottischen Country-Sängerin, die um jeden Preis Karriere machen will, folgt zwar einer typischen Dramaturgie, lebt aber von der furios aufspielenden Hauptdarstellerin. diese sang so furios, dass sie die Filmsongs sogar live beim Glastonbury Festival performte. Jessie Buckley hat tatsächlich alle Parts selbst eingesungen und rockt die Leinwand. „Wild Rose“ ist wie etwa „Ganz oder gar nicht“ ein typisch britischer Crowd Pleaser, der viel Sympathie für seinen Figuren hat. Hier gibt es Hoffnung für jene, die meinen, nichts mehr zu verlieren zu haben.

Wer sich hingegen auf eine andere Festivalschiene begibt, erlebt und beäugt Abseitiges. Kleine Budgets, experimentelle Herangehensweisen oder derart persönliche Geschichten, dass sie wohl niemals genug kommerzielles Potential entfalten, um außerhalb des globalen Festival-Zirkus existenzfähig zu sein. Kunstkino, das sich selbst und seinen aussterbenden Liebhabern genug zu sein scheint. Klar wollen alle diese Filmschaffenden auch breite Anerkennung und Ruhm, aber die Sujets sind häufig genug zu wenig breitenwirksam.

Bei der Gaunerstory „Resagate“ aka „Redemption“ aus Mosambik liegt es im Wesentlichen an der afrikanischen Independent-Produktion, dass die actionwirksamen Effekte nicht sonderlich opulent ausgefallen. Alles wurde im ostafrikanischen Land selbst finanziert und entwickelt. Als Filmnation ist der Küstenstaat nicht bekannt und dennoch entwickelt Mickey Fonsecas „Redemption“ seinen Charme. Die Geschichte eines Gauners, der nun nach seiner Knastentlassung ehrlich werden will, weil er jetzt eine Familie hat, ist nicht gerade revolutionär für das Genre, aber es gibt schöne Momente, einige tolle Kamerafahrten, und kunstvoll montierte zusammenfassende Passagen, die die Kunstfertigkeit des Filmmachers zeigen.

Wer Experimentalfilme dreht, kalkuliert das Scheitern mit ein. Zumindest würde ich das mal behaupten und mir ist ein missglücktes Experiment, das mit Pauken und Trompeten und vielleicht kontroverser Rezeption untergeht, allemal lieber als lauwarme Bebilderung wandernder Gedanken. „Nona. Si me mojan, yo los quemo” aka „Nona. If The Soak Me I’ll Burn Them“ von Camilla José Donoso ist so ein Fall. Angekündigt als Hybridfilm, der mit der Glaubwürdigkeit der Bilder an sich spielt, ist das Werk der Filmmacherin wenig mehr als eine sehr persönliche Annäherung an die eigene Großmutter. Alltagsszenen und Gespräche mit Oma, aufgepeppt mit einer scheinbaren Rahmenhandlung und formalen Experimenten. Doch schnell ist klar, das krisselige Filmmaterial ist nicht wesentlich älter als das hochglanzpolierte. Omas Rachefantasien mögen erfunden sein oder nicht, die Existenz der Großmutter bleibt stimmig. Und nur selten kommt man als Zuschauer hinter die Oberfläche der Bilder, fragt sich tatsächlich was wahr ist – denn es bleibt für die filmische Wahrhaftigkeit unerheblich.

Ähnlich fulminant gescheitert und der vielleicht ärgerlichste Film, den ich auf dem Festival gesehene habe, ist „Wilcox“ von Denis Côté. Eine filmische Meditation über das Leben als Eremit, Runaway oder Outcast. Wilcox ist das personifizierte Amalgam diverser – dokumentierter – Figuren, die aus der modernen Gesellschaft in die Wildnis geflüchtet sind und sich dort mehr oder weniger gut geschlagen haben. Eine tolle Idee für einen Film, verkleidet als dialoglose Mockumentary, oder in dokumentarischer Schlichtheit gehalten – ganz wie man es ausdrücken mag. Doch diese schäbigen Spiegelungen in der Kamera, die nicht authentische Tonspur und die zufällig zusammengestellten Szenen eines ziellos wandernden Protagonisten ergeben keinen Mehrwert. Ebenso die Szenen in denen sich Leute unterhalten, man aber nichts hört. Weder filmische noch philosophisch entwickelt „“Wilcox“ eine Relevanz und ist dabei auch noch formal zerstückelt und inkonsequent. Der Film lungert an den Rändern der Kunst herum; so wie sein Protagonist Wilcox an den Rändern der Zivilisation nach Zurückgelassenem und Brauchbarem plündert.

Ein gelungenes Filmexperiment hingegen ist „La Ciudad Oculta“ aka „The Hidden City“, das mit der Kamera die Unterwelt Madrids erforscht. Im Verdauungstrakt der Stadt finden sich in all dem Unrat und der Dunkelheitdennoch Wege für Maschine, Mensch und Tier. Detaillierte Schönheit inmitten des Dunkels und nachthimmelsgleiches Funkeln im Bauch der Stadt. Die ersten Minuten von „La Ciudad Oculta“ haben mich derart geflasht, dass es rauschhaft war. Absurderweise aber lag das vor allem an den Sounds und den wenigen Lichtreflexen. Diese aus Lärm komponierten Soundscapes waren so wunderschön und voller Drones und Post Rock artiger Verspieltheit. Dass diese filmische Reise die Intensität nicht durchhalten kann ist absehbar. Überraschend ist dann aber wieder, dass bei all dem Lärm dann doch Zuschauer in der Dunkelheit auf der Leinwand wegdämmern könnten. Ich sehe das ebenfalls als Qualität an.

Bis bald im Kino.

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