Hugo Cabret: Die Macht der Fantasie

Es wird berichtet, Regie-Altmeister Martin Scorsese habe das Jugendbuch „Die Entdeckung des Hugo Cabret“ von Brian Selznick in einem Rutsch verschlungen, weil er sich so mit dem jugendlichen Helden identifizieren konnte. Eben jene Begeisterung auf die Leinwand zu übertragen, gelingt der Filmadaption auf mitreißende Art. „Hugo Cabret“ ist viel mehr als nur ein Kinderfilm.

Der zwölfjährige Waisenjunge Hugo (Asa Butterfield) lebt in einem Pariser Bahnhof. Sein Onkel (Ray Winston) war dort für die Wartung der Uhren zuständig und seit der Trinker spurlos verschwunden ist, erledigt Hugo den Job. Nur darf das niemand merken, vor allem der Stationspolizist (Sasha Baron Cohn) nicht. Doch Monsieur George (Ben Kingsley), der Besitzer eines Spielwarenladens, hat Hugo schon lange auf dem Kieker und eines Tages ertappt er den Jungen beim Stehlen und nimmt ihm ein Notizbuch ab.

Dieses Notizbuch enthält mechanische Skizzen und stammt noch von Hugos Vater (Jude Law). Der, ein Uhrmacher, hat dem Jungen außerdem einen funktionsunfähigen Automaten in Menschengestalt hinterlassen, den Hugo nun mit großer Beharrlichkeit zu reparieren versucht. Als Hugo etwas später Isabelle (Chloe Grace Moretz), die Nichte von Monsieur George kennenlernt, entdeckt er, dass sie den passenden Schlüssel hat, um den Automaten zum Laufen zu bringen. Und auch der grimmige Spielwarenhändler George scheint etwas über den Automaten zu wissen.

„Hugo Cabret“ ist Scorseses („Taxi Driver“, „Raging Bull“, „Good Fellas“) erster 3D-Film und die Jugendbuchvorlage wird auf der Leinwand zu einem großartig inszenierten Abenteuer für Groß und Klein. Während der Film zunächst noch etwas in der Kulisse steckenbleibt, wenn die Figuren eingeführt werden und die Handlung ins Rollen gebracht wird, entfaltet Scorsese mit souveräner Hand eine fast magische und fantastische Abenteuerreise in die Anfangstage des Kinos.

Hier wird greifbar, dass und vor allem wie die Bilder laufen lernten, denn der Spielwarenhändler ist niemand geringeres als der Filmpionier George Mélliès. Der ehemalige Variete-Künstler und Illusionist, der sich voller Enthusiasmus und Schaffensdrang dem neuen Medium Film zuwendete und von 1986 bis 1912 erfolgreich unzählige Filme produzierte, endete tatsächlich verarmt als Betreiber eines Spielzeugladens in einer Metrostation.

Die große Qualität von „Hugo Cabret“ ist in der Tat diese grandiose Hommage an das Kino, an die Fantasie und das Geschichtenerzählen an sich. Da fällt es weniger ins Gewicht, dass die eigentliche Abenteuergeschichte relativ absehbar verläuft und der romantisierte, fiktive Pariser Bahnhof einerseits ein bisschen trutschig von den üblichen erwartbaren Menschentypen bevölkert ist, und andererseits mit einer verklärten Huldigung an die Mechanik als Triebfeder der Welt betrieben wird. Neumodisch wird so etwas ja gerne als Steampunk etikettiert.

Die Kamerafahrten durch die unzugänglichen Heizungsgänge und Uhrengehäuse, in denen Hugo lebt, sind zwar atemberaubend gefilmt, doch das unübersichtliche, rauchgeschwängerte, zwielichtige Gassengewirr an sich ist spätesten seit „Blade Runner“ (1982) selbst ein gern genutztes Filmzitat. Überhaupt erfreut Scorseses neues Werk den Kenner mit fein inszenierten Zitaten. Erinnerungen an Buster Keaton werden ebenso offensichtlich zum Leben erweckt wie das weltberühmte Foto der aus dem Bahnhof ragenden Lok.

„Hugo Cabret“ entfaltet seine Leinwandmagie auf der Basis eines gelungenen Drehbuchs von John Logan („Gladiator“, „Last Samurai“, Aviator“, „Sweeny Todd“) und schafft es mit viel Atmosphäre eine Geschichte zu erzählen, die als wunderbare Familienunterhaltung geeignet ist, aber dennoch den Spagat schafft, eine durchaus sehenswerte Zusammenfassung des Lebens und Wirkens des ersten Kinomagiers George Méliès zu bieten, die an sich schon sehenswert wäre.

Auch auf dem heimischen Fernseher macht Hugo Cabret“ eine gute Figur und weiß zu überzeugen. Was der Film, der zu den wenigen tatsächlich stereoskopisch gedrehten 3D-Filmen gehört,  in der 2D-Variante an Räumlichkeit verliert, gewinnt er an Tiefenschärfe und sorgt so für große Unterhaltung. Die Ausstattung der Blu-ray hält für den Filmfan einige sehenswerte Features bereit, unter anderem eine kurze Geschichte über die Automaten und eine kurze Würdigung von Filmpionier George Melies, sowie einige technische Hintergrund-Featurettes. Das ist absolut sehenswert.

Das 20-minütige Making Of allerdings, das auch in der DVD enthalten ist, enthält im Wesentlichen Interview-Sequenzen mit Regisseur, Autoren und Darstellern und ist weniger informativ ausgefallen. Die Bildqualität weiß allerdings auch auf DVD zu überzeugen. Wer also mehr Informationen rund um „Hugo Cabret“ möchte, sollte zur Blu-ray greifen, die auch in 3D-Variante auf den Markt kommt. Filmfreunden sei außerdem noch die bei Studiocanal erschienene Originalversion des Melies-Filmes „Die Reise zum Mond“ empfohlen und die „George Melies Edition“ die demnächst folgt.

Martin Scorsese beweist mit „Hugo Cabret“ erneut seine Meisterschaft als Geschichtenerzähler und Bewahrer des Kulturgutes Film, ohne dabei je die Unterhaltung aus dem Auge zu verlieren. „Hugo Cabret“ ist eine rundum sehenswerte Abenteuerreise.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Hugo Cabret
OT: Hugo Cabret
Genre: Abenteuer, Drama, Fantasy
Länge: 126 Minuten
Regie: Martin Scorsese
Romanvorlage: Brian Selznik
Darsteller: Asa Butterfield, Chloë Grace Moretz, Ben Kingsley
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Paramount, Universal
Kinostart: 09.02.2012
DVD- & BD-VÖ: 02.10.2014