A Beautiful Day: Brachiale Extraktion

Wenn die schottische Filmmacherin Lynne Ramsey einen neuen Film vorlegt, darf man nach „We Need to Talk About Kevin“ schon auf Außergewöhnliches und Verstörendes hoffen. Dafür ist das Thriller-Psychogramm „A Beautiful Day“, in dem Hollywood-Star Joaquin Phoenix einen Kerl fürs Grobe darstellt und das dann doch glücklicherweise nichts erklärt, dann auf den ersten Blick doch recht gefällig geworden. Nun erscheint „A Beautiful Day“ als DVD und Blu-ray für das Home Entertaimnent.

Man könnte sich auf den Standpunkt des Genrekino zurückziehen: Die Romanverfilmung von Jonathan Ames Thriller „You Were Never Really There“, so heißt der Film auch im Original, erzählt von dem Ex-Soldaten und ehemaligem FBI-Agenten Joe (Joaquin Phoenix), der traumatisiert von Gewalterlebnissen, nun selbständig als Spezialist für „Extractions“ arbeitet. Joe holt Entführungsopfer aus der Gewalt der Entführer und geht dabei selbst nicht gerade zimperlich vor.

Als ihn ein US-Senator losschickt, um dessen minderjährige Tochter Nina (Ekaterina Samsonov) zu finden, die in einem Bordell gefangen gehalten wird, gerät der Job zwar gelungen, aber Joes Leben gerät aus den Fugen. Der Senator ist auf einmal tot, angeblich Selbstmord, und hinter Joe sind auf einmal auch Leute her, die ihr brutales Handwerk verstehen. Joe und Nina geraten in ein politisches Komplott.

So weit, so genretypisch. Allerdings hat das Leinwand-Duo Joe und Nina wenig von jener Gauner-Romantik, die Leon und Mathilda in „Leon der Profi“ umgibt, stattdessen schleppen sich in „A Beautiful Day“ müde Gestalten durchs Bild. Nina wurde nicht nur missbraucht und sediert, sondern hat auch ihren Vater verloren. Wobei unklar bleibt, ob das nicht vielleicht auch ein Glücksfall ist.

Joe wiederum, erträgt das Leben nur, wenn er sich in unregelmäßigen Abständen eine Plastiktüte über den Kopf zieht und „Ersticken“ spielt. Diese seltsamen Momente, in denen Joe sich um seine Mutter kümmert, mit der er zusammenlebt, scheinen die einzigen zu sein, die den gebrochenen Mann irgendwie beruhigen. In Flashbacks deutet der Film an, was Joe erlebt hat, als Kind, als Soldat, als Agent, macht so seine Gewaltexzesse nachvollziehbar, Methoden mit denen er Gewalt so begegnet wie Feuerwehrleute Waldbränden mit Gegenfeuern begegnen.

Dabei ist der Sound und erzählerische Tonfall von Lynne Ramseys Thriller-Drama ein ganz und gar unspektakulärer. Statt die Gewalt und die Spannung zu zelebrieren, formuliert die schottische Regisseurin eine Antithese zum Thriller-Genre und seziert und dekonstruiert auf eine sehr pyhsische Art und Weise die Mechanismen von Gewalt. Bereits mit dem verstörenden Drama „We Need To Talk About Kevin“, das ebenfalls eine Literaturverfilmung war, untersuchte Lynne Ramey Mechanismen von Gewalt und Machtmissbrauch, machte psychologische Dispositionen sichtbar, die mangelnde Empathie offenbaren. Jenes Mitfühlen, das Joe in „A Beautiful Day“ komplett übersteigert und brachial zurückwirft auf die Verursacher des Leids.

Joaquin Phoenix verkörpert Joe mit solch einer körperlichen Präsenz und einer derart unbeweglichen Mimik, dass es einem Zuschauer fast nicht gelingt, in diesen Kopf zu schauen. Das erledigen dann die Flashbacks, während Phoenix alles daran zu setzen scheint, keine Emotionen preiszugeben und dabei so überragend und faszinierend agiert, als wäre es ein Duell mit dem Zuschauer. Es ist keine Frage, dass ein derart großartiger und wandelbarer Schauspieler wie Joaquin Phoenix (u.a. „Gladiator“, „I’m still Here“, „The Master“„Inherent Vice“ und zuletzt „Don’t Worry – Weglaufen geht nicht“) einen Film alleine tragen kann, aber die Art wie der Darsteller sich die Rolle zu eigen macht ist furios.

P.S.: Oh shit! Ich habe ganz vergessen, den großartigne Score von Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood zu erwähnen, der bereits etliche Filme veredelt hat, unter anderem die letzten  Werke von Paul Thomas Anderson („Magnolia“, „There will Be Blood“, „Der seidene Faden“).

Man möchte den müden, vernarbten, bärtigen Muskelberg fast noch weiter durch sein Leben schlurfen sehen als bis zur Schlussszene des Films, aber dann ist es vorbei; nach überraschend kurzen 88 Minuten, einfach so, mit einer taggeträumten Gewaltfantasie und dem Willen zum Aufbruch. Ein Kollege nannte „A Beautiful Day“ wunderbar unfertig. Vielleicht hat er recht.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

A Beautiful Day
OT: You Were Never Really Here
Genre: Drama, Thriller,
Länge: 88 Minuten, GB, 2017
Regie: Lynne Ramsey
Romanvorlage: „You Were NeverReally There“ von Jonathan Ames (nicht auf Deutsch verlegt)
Darsteller: Joaquin Phoenix, Ekaterina Samsonov,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Universum, Highlight Entertainment
Kinostart: 26.04.2018
DVD-& BD-VÖ: 06.09.2018