Aus nächster Distanz: Hamburg Nahost

Mit seinen Filmen hat der israelische Regisseur Eran Riklis immer wieder das Zusammenleben von Israelis und Arabern thematisiert. In seinem neuen Thrillerdrama „Aus nächster Distanz“ sperrt er den Nahost-Konflikt quasi in eine Hamburger Wohnung. Das funktioniert als Thriller besser denn als Drama, aber so richtig spannend ist die Chose auch nicht.

Nach einer Zwangspause will die israelische Agentin Naomi (Neta Riskin) zurück in den Außendienst. Ihr Vorgesetzter schickt sie erst mal nach Hamburg. Dort soll Naomi zwei Wochen lang eine libanesische Überläuferin in einem „Safe House“ beschützen. Um das terroristischen Treiben islamischer Fundamentalisten zu boykottieren, hat Mona (Golshifteh Farahani) sogar ihren Sohn zurückgelassen. Vom Mossad, dem israelischen Geheimdienst, hat sie eine neue Identität und ein neues Gesicht bekommen, weil Mona von der palästinensischen Organisation Hamas gejagt wird. In Hamburg wird die Überläuferin operiert und muss zwei Wochen in der Stadt bleiben, bis ihr Gesicht verheilt ist. Zu ihrem Schutz wird Naomi abgestellt. Alles andere als begeistert nimmt die Agentin den Job an, um überhaupt wieder in den Dienst zu kommen.

Für Mona ist Naomi, die mit ihr die Wohnung in Hamburger Stadtteil Eppendorf teilt, der einzige Kontakt zur Welt. Notgedrungen kommen sich die Frauen näher, beginnen miteinander zu reden. Die israelische Agentin, die mittels Hormonbehandlung versucht, schwanger zu werden, und die Araberin, die ihren Sohn vermisst. Zudem weiß Naomi nicht, wem sie tatsächlich trauen kann. Nicht nur die Hamas ist eine Bedrohung, auch ihr Chef verhandelt unterm Tisch mit BND und CIA, die beide die Infos der Überläuferin anzapfen möchten.

Plastische Chirurgie und Kinderwunsch

„Aus nächster Distanz“ basiert auf der Kurzgeschichte „The Link“ der israelischen Autorin Shulamith Hareven und erschien in den 1980er Jahren. Schon damals dachte Eran Riklis daran, die Story zu verfilmen, was letztlich dann doch aus diversen Gründen scheiterte. Nun lebt das Drehbuch von Regisseur Eran Riklis („Die syrische Braut“, „Lemon Tree“) von der kammerspielartigen Enge der Hamburger Wohnung. Gedreht wurde „Aus nächster Distanz“ tatsächlich vor Ort in Hamburg und gibt so dem ohnehin schon doppeldeutigen deutschen Titel eine weitere Bedeutungsebene, denn beide Frauen befinden sich in dieser Situation fern ihrer Heimat. Wie viele „Safe House“-Geschichten setzt „Aus nächster Distanz“ vor allem auf Atmosphäre. Eventuell ist das Thrillerdrama vergleichbar mit weniger ausgefeilten Werken von John LeCarré,

Letztlich ist Riklis‘ Film ein „Arthaus“-Thriller, der mit den Spannungsmomenten haushaltet und am Ende eine Volte zuviel schlägt. Das Setting in der Hamburger Altbauwohnung ist stimmig und der Film transportiert die Anspannung der Frauen ebenso wie die nuancierte Veränderung in deren Beziehung. Von feindlicher Ablehnung über die Schicksalsgemeinschaft bis hin zu freundschaftlicher Feststellung von Gemeinsamkeiten zeigen die beiden großartig aufspielenden Darstellerinnen ein sehenswertes Wechselspiel aus Nähe und Distanz.

Die Pharaonin und die Leibgarde

Aber genau in diesem Aspekt schwächelt der Film erheblich und weiß sein Potential nicht zu nutzen. Anstatt die Beziehung der beiden Frauen und mit ihren unterschiedlichen nationalistischen Befindlichkeiten zu einem filigranen Psychogramm oder einem wort- und emotionsgeladenen Duell zu verdichten, setzt der Regisseur Eran Riklis auf die Thrillerhandlung und deren implizierte Spannung. Beinahe so, also wäre sich der Film überhaupt nicht bewusst, welch große Chance er mit dieser Frauenpower vor der Kamera hat.

Die Dialoge der Frauen, sind gelinde gesagt genretypisch – oder deutlicher: platte Unterhaltungen. Ebenso unsubtil erfolgt die emotionale Bindung zwischen den Frauen (natürlich!) über das Thema Kinder. Während Naomi mit Hilfe der Medizin versucht, ein Kind zu bekommen, vermisst Mona ihren Sohn, den sie zurücklassen musste, schmerzlich. Dabei gehen dann die interessanten Facetten der beiden an sich charismatischen Figuren ein wenig unter.

Zudem verbringt die Figur der hinreißenden Golshifteh Farahani („My Sweet Pepperland“, „Paterson“) die meiste Zeit des Films damit, mit Kopfverbänden unterschiedlichster Ausprägung wie eine altägyptische Pharaonin durchs Bild zu traben. Gelegentlich wirft sie dabei mit ausdrucksloser Mine einige Konversationsfetzen in Richtung ihrer Wächterin. Neta Riskins Naomi schwankt zwischen professioneller Distanz und einer Zuneigung, die sie weit besser im Zaum hält, als dem Film gut tut. Dabei hätte auch die international wenig bekannte Darstellerin mehr aus ihrer Figur herausholen können, wäre da nicht die Fessel des Scripts.

„Aus nächster Distanz“ das Thriller-Drama von Autorenfilmer Eran Riklis verkennt sein eigentliches Potential. Sicherlich wäre es vermessen, aus dieser Thrillersituation eine emanzipatorische Lösung des Nahost-Konfliktes auszuloten, aber hätte man den beiden Schauspielerinnen etwas mehr Freiraum und den Charkateren etwas pfiffigere Dialoge gegeben, hätte „Aus nächster Distanz“ weit mehr Dynamik, Sex Appeal und Charisma entfachen könne als nur ein weiterer, handelsüblicher Politthriller mit übercleverem Ende zu sein.

Film-Wertung: 5 out of 10 stars (5 / 10)

Aus nächster Distanz
OT: „Shelter“
Genre: Drama, Thriller
Länge: 92 Minuten, D/F, 2017
Regie: Eran Riklis
Darsteller: Neta Riskin, Golshifteh Farahani,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: NFP
Kinostart: 09.08.2018