I Kill Giants: Selbstgebastelte Frühwarnsysteme

Die philosophische Frage: Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei? Lässt sich nicht ohne weiteres beantworten. Im Fall des Ende Juli 2018 bei Koch Film erschienenen Coming-Of-Age-Dramas „I Kill Giants“ ist das zwar eindeutig, denn die zu Grunde liegende Graphic Novel von Joe Kelly stammt bereits aus dem Jahr 2008, aber hierzulande hat Splitter den Comicroman gerade erst parallel zum Film herausgebracht. Die Verfilmung hat einige spannende Aspekte zu bieten, lässt aber auch einige Möglichkeiten aus, Zuschauer emotional zu packen.

Eigentlich muss ich mich auch schon berichtigen, bevor es überhaupt losgeht (!). Denn im Grunde ist „I Kill Giants“ von Autor Joe Kelly und Illustrator Ken Nimura als monatlich erscheinende Miniserie mit sieben Ausgaben bei Image Comics erschienen, bis zur deutschen Veröffentlichung bei Splitter musste die Verfilmung erst auf Video erscheinen. Nach der Heftserie wird aber eigentlich nur noch der Sammelband vertrieben und die Geschichte von Barbaras Realitätsflucht hat als Comic etliche Preise und viel Kritikerlob eingeheimst.

Die junge Barbara (Madison Wolfe) lebt mir ihren Geschwistern, einem jüngeren Bruder und einer fast erwachsenen Schwester (Imogen Poots), die den Haushaltsvorstand gibt und sich um die Familienangelegenheiten kümmert, in einer kleinen Küstenstadt. Kurz vor dem neuen Schuljahr zieht Sophia (Sydney Wade) in die Stadt, lernt Barbara am Strand kennen und will sich mit der eigenwilligen Zwölfjährigen anfreunden. Das aber ist gar nicht so leicht, denn Barbara hat so ihre täglichen Routinen, mit denen sie die Küstenstadt vor einem Angriff ominöser Riesen beschützen muss. Die Riesen lauern in den Wäldern, sind aber mit Süßigkeiten zu locken und mit Barbaras Waffen, die für Sophia ziemlich selbstgebastelt aussehen, zu erlegen.

Die Neue denkt sich nicht viel dabei, dass Barbara eine Außenseiterin ist, immerhin hat sie spannende Geschichten zu erzählen. Weniger angetan ist die Schulpsychologin Mrs. Mollé (Zoe Saldana), die auf Barbara aufmerksam wird, als diese morgens vor dem Unterricht diverse Talismane gegen Riesen in der Schultoilette verteilt. Aber Barbara hat ziemlich schnell begriffen, dass die Psychologin sie durchleuchten will und blockt intelligent ab.

Im Grunde sind Geschichten über das Erwachsenwerden immer sehr spannend, weil sie einen einschneidenden und prägenden Abschnitt im Leben der Hauptfigur beleuchten. Da gibt es – ob ausgesprochen oder nicht – etliche „Rites du Passage“, Übergangsriten in eine neue Lebensphase und ein anderes Selbstverständnis. Diese Lebensphase mit einen beinahe traumatischen Drama zu belasten, führt häufig zu einer Art von Realitätsflucht. Das erschließt dann Fantasiewelten, die man auch optisch ansprechend umsetzen kann.

Ganz packend ist das dem Regisseur J. A. Bayona mit „Sieben Minuten nach Mitternacht“ (OT: „A Monster Calls“) gelungen, der bei uns im vergangenen Sommer in die Kinos kam und zu den Highlights der vergangenen Kinosaison zählt. Auch hier wurde eine literarische Vorlage verfilmt, das gleichnamige Jugendbuch von Patrick Ness. Ohne an dieser Stelle zuviel zu Spoilern, versprachen die Ankündigungen von „I Kill Giants“ doch einen erheblichen Fantasyanteil. Das Drama von Regisseur Anders Walter bleibt dann aber sehr in der Realität verhaftet. Das mutet bisweilen an wie Terry Gilliams „Tideland“ (2005) in dem sich die junge, alleingelassene Jeliza-Belle (Jennifer Tilly) durch eine tragische Situation fantasiert, während dem Zuschauer bewusst nicht die Fantasieausflüchte visualisiert werden, sondern eben die ranzige Realität.

Und dann wäre da noch Spike Jonzes hinreißende Realverfilmung des Kinderbuchklassikers „Wo die wilden Kerle wohnen“ („Where The Wild Things Are“, 2009). Auch hier vermischen sich kindliche Fantasie und Realität auf eine überraschende Weise und sorgen für eine ebenso erstaunliche wie eigenwillige Umsetzung der literarischen Vorlage.

„I Kill Giants“ hat weder die Qualität dieser Filme noch deren visionäre Strahlkraft, macht aber Barbaras Ängste durchaus klar und verständlich. Der dänische Regisseur Anders Walter, obwohl mit Kurzfilm-Oscar ausgezeichnet, kann in seinem Spielfilmdebüt wohl kaum auf ein großes Budget zurückgreifen. So macht er wohl das Beste aus der Drehbuchvorlage, die Comicautor Joe Kelly (U.a. Deadpool) als Filmgrundlage aus seinem Comic schnitzt.

Dramatisch weiß das zu überzeugen, auch dank einer guten Madison Wolfe in der Hauptrolle. Die Visuals sind eher herkömmlich und die Riesen bleibt der Film auch schuldig. Insofern ist fraglich, ob die Adaption gegenüber der Graphic Novel überhaupt einen Mehrwert zu bieten hat, aber das muss jeder selbst entscheiden.

„I Kill Giants“ ist ein ansprechendes Drama über das Erwachsenwerden. Leider weckt der Film Erwartungen, die er nicht bedienen kann und gerade im Bereich der Fantastik hätte es ein wenig mehr sein dürfen, um emotional packender zu werden. Unterm Strich bleibt eine solide Comicverfilmung mit Anspruch.

Film-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

I kill Giants
OT: I Kill Giants
Genre: Drama, Fantasy, Coming of Age
Länge: 106 Min., USA/B/GB 2017
Regie: Anders Walter
Vorlage: Graphic Novel “I Kill Giants” von Joe Kelly & Ken Nimura
Darsteller: Madison Wolfe, Sydney Wade, Zoe Saldana, Imogen Poots,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Koch Film
DVD & BD-VÖ: 27.07.2018