Der junge Inspektor Morse – Staffel 4: Klassik oder Pop?

Während ZDF Neo die bislang gedrehten vier Staffeln der britischen Krimi-Serie „Der junge Inspektor Morse“ im Winter am Stück ausgestrahlt hat, entschied sich Edel Motion bei der Home Entertainment Veröffentlichung für eine andere Dosierung. Nun erscheint die vierte Staffel der Erfolgsserie nach Motiven von Krimi-Autor Colin Dexter rechtzeitig zur Fußball-WM und stelle den geneigten Zuschauer vor ein Dilemma, Sommer oder Glotze?

Also bevor ich an dieser Stelle noch einmal ganz weit aushole, verweise ich doch lieber auf die lobhudelnden Besprechungen der Staffel 1 und Staffel 2 Der britischen ITV-Serie „Der junge Inspektor Morse“ („OT: Eneavour“), die auf diesen Seiten zu finden sind. Staffel 3 wurde seinerzeit mangels Rezensionsmaterial nicht vorgestellt, wird aber nachgeholt, sobald sich beim Rezensenten ein bisschen Muße einstellt.

An dieser Stelle nur so viel Vorab-Info: „Der junge Inspektor Morse“ bezieht sich auf die Anfänge der Polizeikarriere des weltbekannten Ermittlers Endeavour Morse, den der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete im vergangenen Jahr verstorbene Krimi-Autor Colin Dexter in etlichen Romanen als reifen Kriminalbeamten schilderte. Aus der erfolgreichen TV-Serie ging das Spin-off „Lewis – Der Oxford-Krimi“ hervor, in dem Morses ehemaliger Assistent Lewis nun als Inspektor ermittelt. Auch dieses Serienhighlight des klassischen „Who Dunnit“ ist inzwischen in Rente geschickt und demnächst erscheint bei Edel Motion die Komplett-Box.

Drehbuchautor Russel Lewis führt die Tradition der klassischen Krimis, die in der Hochschulstadt Oxford spielen, aber fort, indem er ab 2012 den jungen Inspektor Morse ins Rennen um die Zuschauergunst schickt. Auch hier bestehen die Staffeln aus vier Spielfilmlangen folgen, die jeweils einen Kriminalfall enthalten. Das Personal ist auch in der vierten Staffel von „Der junge Inspektor Morse“ weitgehend gleich geblieben und Morses Vorgesetzter und Mentor Fred Thursday (Roger Allam) hat immer noch damit zu kämpfen, dass seine Tochter ohne ein Wort des Abschieds einfach aus dem Familienleben verschwunden ist. Morse hegt Gefühle für die Tochter vom Chef, hat das aber viel zu spät realisiert.

Wie auch immer, im Auftaktfall „Totenmasken“ (OT: Game“) hält der Schachcomputer im Jahr 1967 Einzug in die Welt und ausgerechnet Oxford, die Heimat der geistigen Elite, ist Austragungsort des Schachduells Mensch gegen Maschine. Der Leichenfund am Fluss sieht zunächst eher nach Selbstmord oder Angelunfall aus, aber es gibt eine Verbindung zu jener Fakultät, die den Schachcomputer programmiert hat. Endeavour bekommt also Ablenkung genug von seinen Emotionen. „Totenmasken“ ist ein pfiffig inszenierter Krimi, der ein Zeitphänomen der 1960er aufnimmt und auch wieder ein bisschen durchgehende Parallelhandlung in Gang bringt, wenn nämlich der junge Morse noch immer keine Sergeant-Prüfung abgelegt hat. Wie Polizeiboss Bright (Anton Lesser ) es ausdrückt: „Sie haben sich ganz schön viele Feinde gemacht, Morse“. (8/10)

Im zweiten Fall „Irrungen“ („Canticle“) schallt Popmusik durch die ehrwürdigen Hallen der Oxforder Universitäten. Die quietschbunten Musikaufnahmen einer populären Band für eine TV-Show werden im Innenhof einer Uni gedreht, als eine Tote auftaucht. Schnell ermittelt der Klassikliebhaber Morse eine Verbindung zu der Band, die momentan auf einem Landsitz in der Gegend residiert. Dort soll zwar eigentlich neue Musik entwickelt werden, aber der Mastermind der Musiker hängt in einer Schaffenspause. Derweil halten die Popstars Hof wie ehemals der dekadente Adel. Gerade die musikalischen Differenzen machen die Folge für mich interessant und die Pop-Phänomene sind von Drehbuchautor Russel Lewis sehr fein eingefangen. (8,5/10)

Anschließend ermitteln Thursday und Morse in „Bett 10“ (OT: „Lazaretto“) in der Sache eines mysteriösen Todesfalles im Hospital. Doch der unerwartete Tod eines Patienten bleibt nicht der einzige. Es scheint als sei das Bett verhext, in dem all die Kranken versterben. Wie könnte es anders sein? Im Krankenhaus sieht Morse seine ehemalige Freundin, die farbige Krankenschwester Monica, wieder. Das ist zwar für den Fall irrelevant, aber im Serienkontext eine schöne Geste. „Bett 10“ ist ansonsten gewohnt solide und spannend. (8/10)

Der abschließende Fall „Sonnenglanz“ (OT: „Harvest“) ist dann das eigentliche Highlight dieser Staffel. Im Herbst 67 wird zufällig ein Skelett gefunden. Das stellt sich zwar als einige hundert Jahre alt heraus, aber gleich nebenan finden die Ermittler dann die Leiche des Botanikers Matthew Laxman, der vor genau fünf Jahren, im September 1962, spurlos verschwand. Die Leute in der Gegend, sind nicht gerade gut auf Laxmann zu sprechen und werden schnell einsilbig, wenn Morse nachhakt. Aber Ermittler bleibt Ermittler und erstaunlicher Weise findet Morse eine Spur, die zum Atomkraftwerk in der Nähe führt. Dort ist das Terrain in mehr als einer Hinsicht verstrahlt. Neben dem stimmungsvoll in Schwarz-Weiß gehaltenen Episodenauftakt besticht „Sonnenglanz“ auch noch mit dichter Spannung und mal wieder mit dem Hauch einer Verschwörung. Auch privat gibt es für die Ermittler noch ein wenig Drama. (9/10)

Natürlich ist die Besetzung in „Der junge Inspektor Morse“ ein Hauptfaktor für den Erfolg und die Klasse der Serie, aber auch die Originaldrehbücher von Russel Lewis sind eine Liga für sich. Natürlich haben sich die TV-Ableger von Collin Dexters Krimis schon lange emanzipiert, aber so niveauvolle und anspielungsreiche Stories zu erfinden, ist eine großartige Leistung. Die Fälle in „Der junge Inspektor Morse überzeugen eigentlich fast immer auf ganzer Linie. Das zuweilen eher ruhige Erzähltempo ist alles andere als störend, sondern sorgt im Gegenteil für eine atmosphärische und dramaturgische Steigerung und ein wohltemperiertes Gegenstück zu den ganzen hyperrealistischen und bisweilen brutalen Thriller-Formaten.

An Bonusmaterial sind einige kurze Featurettes und Interviews mit dem Hauptfiguren enthalten. Insgesamt sind das auch noch einmal rund 40 Minuten Hintergrundinformationen im englischen Original mit deutschen Untertiteln.

Auch in der vierten Staffel ist der Retro-Charme der britischen Krimi-Serie „Der junge Inspektor Morse“ dermaßen einnehmend und auf seine Weise auch irgendwie auch modern, dass man gar nicht anders kann, als „Der junge Inspektor Morse“ jedem Krimifan ans Herz zu legen. Konstant eine der besten Krimi-Serien der letzten Jahre.

Serien-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Der junge Inspektor Morse – Staffel 4
OT: Endeavour, Season 4,
Genre: TV-Serie, Krimi,
Länge: ca. 360 Minuten (4x 90 Min.), UK, 2014
Idee & Drehbücher: Russel Lewis, nach Charakteren von Colin Dexter
Regie: Michael Lennox, Börkur Sigþórsson, Jim Loach, Ashley Pearce,
Darsteller: Shaun Evans, Roger Allam, Jack Lasky, Sean Rigby, Anton Lesser, Abigail Thaw
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Edel Motion,
DVD-VÖ: 15.06.2018

„Der junge Inspektor Morse“ beim ZDF