Blue Jasmine: Frau jenseits des Nervenzusammenbruchs

Irgendwie ist Woody allen für den Arthausfilm, was Motörhead für den Heavy Metal waren: Mit beständiger Regelmäßigkeit bringen (bzw. brachten) beiden einmal im Jahr ein neues Werk heraus. Die Trademarks sind dabei klar umrissen, aber es gibt kleine aber deine Unterschiede, die die jeweiligen Fans zu goutieren wissen. 2013 erschien Blue Jasmine“ in den Kinos und brachte Hauptdarstellerin Cate Blanchett einen Oscar ein. Auch mit dem Abstand von fünf Jahren und vier Woody allen Filme später bleibt „Blue Jasmine“ der beste Woody Allen zumindest der letzten Dekade. Heute Abend (7.5.2018) läuft die sehenswerte Tragikomödie auf Arte.

Jasmines (Cate Blanchett) Welt in der New Yorker High Society ist komplett zusammengebrochen. Ihr Ehemann Hal (Alec Baldwin) hat sich umgebracht, nachdem er vom FBI festgenommen wurde Der windige Anlageberater Hal hat es einfach zu weit getrieben. Jasmine, die eigentlich Janet heißt, versucht jetzt einen Neuanfang am anderen Ende der USA und fliegt zu ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins).

Allerdings wurden beide Frauen adoptiert und haben fast nichts gemein – außer, dass sie gegensietig ihre einzige Familie sind. Dass Hal auch Gingers Ex-Mann Augie (Andrew Dice Clay) mit einer beträchtlichen Summe übers Ohr gehauen hat, trägt auch nicht gerade zur schwesterlichen Harmonie bei.

Aber das Motto ist Neuanfang. Nicht nur Jasmine blickt nach vorne. Momentan ist Ginger mit dem Handwerker Chili (Bobby Canavale) zusammen, der will endlich mit Ginger zusammenziehen und versucht daher ziemlich offensiv, Jasmine fix zu verkuppeln. Jasmine ihrerseits wird nicht müde, Ginger zu erzählen, dass deren Männerauswahl zumindest fragwürdig sei. Jasmine, die gar nicht weiß, wie Arbeiten geht, nimmt einen Job in einer Zahnarztpraxis an, um ihr geplantes Onlinestudium der Innenarchitektur zu finanzieren. Bei einer Party lernt Jasmine dann den alleinstehenden Diplomaten Dwight (Peter Skarsgard) kennen, verheimlicht ihm aber ihre Vergangenheit.

Jasmine ist eine Frau jenseits des Nervenzusammenbruchs. Sie weigert sich beharrlich der Realität ins Auge zu schauen und kultiviert ihre Neurosen in aller bester Woody Allen Manier. Im Verlauf des Films werden die Ereignisse, die zu Jasmines Zustand am Rande der Hysterie führten, in Rückblenden aufgedröselt. Wie so häufig bei Woody Allen geschieht das mit tragisch-komischem Humor. Die Balance zwischen Witz und Drama ist in „Blue Jasmine“ ist die ganz besonders gelungen. Das liegt zwar zum großen Teil an Cate Blanchett („Elisabeth“), der die Rolle auf den Leib geschrieben wurde.

Aber auch die restliche Besetzung ist hinreißend. Filmschwester Sally Hawkins („The Shape of Water“) war ebenfalls Oscar-nominiert. Blanchetts fast schon erschreckender Präsenz ist famos und Jasmines Realitätsferne und Überspanntheit springen einen förmlich an. Der Zuschauer nimmt ihr ohne weiteres ab, dass ein Erster-Klasse-Flug alternativlos ist, auch wenn man komplett abgebrannt und verschuldet ist. Kann man sich überhaupt anders fortbewegen?

Jasmines Redezwang sorgt ebenfalls für tragische wie komische Momente, denn sie wird nicht müde, ihre persönlichen Society-Schöpfungsmythos mantra-artig zu wiederholen,: „Blue Moon“ wurde gespielt als sie ihren Hal kennenlernte, der ihr über Jahre ein Leben in Saus und Braus ermöglicht hat. Und trotz dessen krimineller Machenschaften und dem ehelichen Betrug wirkt es noch immer, als sein Hal der Inbegriff des stolzen Ritters, wenn Jasmine redet. Ihre gebeutelte Umwelt sieht das freilich anders, was neben den sozialen Unterschieden zwischen Jasmine und der Welt ihrer Schwester zu witzigen Verwirrungen, verbalen Klassenkampf und zu etlichen subtilen Charakterstudien führt.

Als Darsteller in seinen Filmen ist „Stadtneurotiker“ Woody Allen schon länger nicht mehr präsent, zeitweise rückten dafür die Metropolen dieser Welt mal mehr, mal weniger in den Focus seiner jüngeren Filme; von der alten New York Besessenheit ist längst nichts mehr zu spüren. „Blue Jasmine“ spielt in San Francisco und besticht wie eigentlich alle der letzten Allen-Filme mit einem brillanten Cast. In diesem Fall aber zusätzlich noch mit einem maßgeschneiderten, Oscar-nominierten Drehbuch vom Altmeister des Autorenfilms.

Die titelgebende Figur der Jasmine dominiert zwar logischerweise den Film, aber die anderen Charaktere sind nicht minder glorios besetzt und dargeboten: Sally Hawkins („Happy-Go-Lucky“) ist von ebenso hinreißendem proletarischen Charme wie Bobby Cannavale („Broadwalk Empire“). Das Wiedersehen mit dem Comedian Andrew Dice Clay („Ford Fairlane“), der früher einmal für seine vulgär-humoristischen Auftritte im Stile von Lenny Bruce und Bill Hicks berüchtigt war, ist ebenfalls eine schöne kleine Personalie.

Eine ebenso charmante wie treffende Gesellschaftsstudie mit herausragenden Darstellern. „Blue Jasmine“ ist der Beste Woody Allen Film seit „Matchpoint“ (2005). In „Blue Jasmine“ geht es so neurotisch zu wie schon lange nicht mehr bei Woody Allen und Cate Blanchett in der Titelrolle ist grandios.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Blue Jasmine
OT: Blue Jasmine
Genre: Drama, Komödie
Länge: 98 Minuten, USA, 2013
Regie & Drehbuch: Woody Allen
Darsteller: Cate Blanchett, Sally Hawkins, Bobby Canavale, Andre Dice Clay,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Warner
Kinostart: 07.11.2013
DVD- & BD-VÖ: 14.03.2014