Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Renn, wenn du kannst

Bevor nun in dieser Woche Florian Opitz neuer Dokumentarfilm „System Error“ in die Kinos kommt und sich der Frage nach der Zukunft des Kapitalismus annimmt, nutze ich die Gelegenheit, Optitz letzte Kinodoku noch einmal vorzustellen. Der Grimme-Preisträger, Autor und Dokumentarfilmer Florian Opitz macht sich in „Speed – auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ an die Untersuchung eines Phänomens, dass den modernen Menschen heutzutage überall verfolgt: Der ständige Zeitmangel.

Florian Opitz hatte sich dem Phänomen Zeitmangel auch schon in einem Buch gewidmet, dass vor ziemlich genau ein Jahr vor dieser Doku (2012) erschienen ist. „Speed“ ist sozusagen der Film zum gleichnamigen Buch. Um am Ende zu beginnen, Opitz findet die verlorene Zeit nicht wieder und hat auch keine Rezepte und Heilmittel im Angebot. Es bleibt die Absicht des Regisseurs, bewusster zu werden und mehr Zeit mit dem Sohnemann zu verbringen, der auch ein Auslöser für die Problemstellung war. Das mag zunächst naiv wirken, aber „Speed“ maßt sich auch nicht an, die gesamte moderne Kapitalismusgesellschaft zu revolutionieren oder dogmatische Auswege aufzuzeigen. Die Zeit der –ismen ist vorbei. Auch das ist ein Phänomen unserer Zeit.

Ebenso wie der komplett egozentrische Ansatz, den Opitz seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“, verfolgt. Das ist mehr als legitim und unter Dokumentarfilmern hat der Selbstversuch ( z.B.„Supersize Me“ von Morgan Spurlock, 2004) seine Berechtigung. Ausgehend von subjektiv empfundenem, ständig zunehmendem Zeitmangel und dem einschneidenden Erlebnis Vater geworden zu sein, macht sich Florian Opitz auf den Weg, das Phänomen Zeitmangel zu erforschen. Dabei trifft er auf einen Zeitmanagement-Guru, einen Burnout-Facharzt, den Soziologen Hartmut Rosa, den Zeitforscher Karlheiz Geißler und besucht den Newsroom der Nachrichtenagentur Reuters. Der Dokumentarfilmer merkt spätestens hier, dass die technische Informationsverdichtung schon weit fortgeschrittener ist als wir das hektisch erleben. Die Taktungen der kapitalistischen Gesellschaft werden immer schneller und der Zeitdruck immer größer.

Im zweiten Teil seiner Reise geht Florian Opitz möglichen Alternativen und Problemlösungen zum Thema Zeitmangel nach. Er besucht Aussteiger, denen allerdings gemeinsam ist, dass sie finanziell ausgesorgt haben, besucht das Land Buthan im Himalaja, das sich das Bruttonationalglück in die Verfassung geschrieben hat, und besucht Almbauern, die seit Generationen traditionelle Landwirtschaft betreiben.

Die Analyse des Zeitphänomens in „Speed“ ist höchst aufschlussreich und sehr gelungen in Bilder übertragen, zu den notwendigen Interviews kommen immer wieder auch Animationen und technische Spielereien, die das Problem verdeutlichen. Das ist ebenso informativ wie unterhaltsam. Lösungen bietet die Doku nicht an, aber eine gelungenen, sehenswerte Problemanalyse. Der große Verdienst der Dokumentation „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist es, auf ein weit verbreitetes Symptom unserer Gesellschaft und deren potentielle, negative Folgen aufmerksam zu machen. Insofern bieten Film und Buch eine Diskussionsgrundlage, wie wir – als Gesellschaft – überhaupt leben wollen.

„Speed“ ist nicht nur in Hinsicht auf sein Thema ein Kind unserer Zeit, sondern auch aufgrund der persönlich betroffenen Motivation für diesen Film und durch seine egozentrische oder Erzählweise. Insofern sagt „Speed“ weit mehr über unsere Zeit und unsere Gesellschaft aus, als die thematische Ausrichtung vermuten lässt. Ein zugänglicher und kluger Film.

Film-Wertung:6 out of 10 stars (6 / 10)

Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Genre: Doku, Gesellschaft
Länge: 97 Minuten, D, 2012
Regie & Idee: Florian Opitz
Mitwirkende: Harmut Rosa, Karlheiz Geißler, Scott Kennedy
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Lighthouse Home Entertainment
Kinostart: 27.09.2012
DVD-VÖ: 26.04.2013

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