Born To Be Blue: Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde

Der Jazz-Musiker Chet Baker, gleichermaßen gelobt und geliebt für sein Trompetenspiel wie für seinen Gesang, hat mit seiner Version von „My Funny Valentine“ vielleicht die beste, zumindest aber eine der bekanntesten Versionen dieses Songs aufgenommen. „My Funny Valentine“ war eigentlich eine Nummer für eine Tanzshow, wurde aber ziemlich schnell zum Jazz-Standard und laut Wikipedia kursieren Hunderte von Versionen des Songs. Chet Bakers Kultaufnahme mit dem Gerry Mulligan Quartett wurde 2015 in die US-amerikanische Library of Congress als kulturelles Erbe aufgenommen. In jenem Jahr, indem der kanadische Filmmacher Robert Budreau sein „Born to Be Blue“ betiteltes Filmportrait von Chet Baker drehte. Hollywood-Star Ethan Hawke spielt den charismatischen und heruntergekommenen Musiker. Das ist ganz großes Kino.

In der starken, wenn auch plakativen Anfangssequenz von „Born To Be Blue“ liegt ein zitternder, schwitzender Baker (Ethan Hawke) in einer schäbigen Knastzelle in der toskanischen Stadt Lucca und greift sehnsüchtig nach seiner Trompete, aus der eine Tarantel kriecht. Baker ist auf kaltem Entzug und zur Hilfe eilt Hollywood: Ein Filmproduzent holt ihn aus dem Knast, um einen biografischen Film mit und über ihn zu drehen.

In den folgenden höchst unterhaltsamen 95 Filmminuten versucht „Born to Be Blue“ dem Musiker Chet Baker in ganz eigene Weise auf die Spur zu kommen. Jazz-Enthusiasten und auch Filmnerds mögen nun einwenden, das täte nicht not, immerhin war Baker zu Lebzeiten recht offen, was seine Drogensucht anging und der 1988 kurz vor Bakers Tod entstandene Dokumentarfilm „Let’s Get Lost“ von Bruce Weber sei ja nun erschöpfend und gelungen genug. Das mag wohl sein, aber Filmmacher Robert Budreau und Ethan Hawke, der sehr viel in das Zustandekommen des Films investiert hat, haben anderes im Sinn als Fakten und Zitaten aneinander zu reihen.

Stattdessen wird Faktisches munter mit Fiktivem gemischt, bis man das Gefühl hat, hier werde versucht, das wahre Wesen des Chet Baker zu ergründen. Eine solche Annäherung ist immer subjektiv, lässt wichtige Aspekte aus und verkürzt – auch aus dramaturgischen Gründen. Was „Born To Be Blue“ dafür anbietet, ist in sich sehr stimmig, absolut sehenswert und mag dem Musiker und Menschen Chet Baker auf seine Art sehr nahekommen.

Das kann ich offen gestanden nicht beurteilen, weder ist Bakers lakonisch-melancholischer Cool Jazz meine favorisierte Musik, noch hab ich auf biografischer Ebene intensiver mit dem Musiker beschäftigt. Aber das muss man auch gar nicht, den „Born to Be Blue“ funktioniert als Solitär, als eigenes Kunstwerk, das einem anderen huldigt.

Wie auch immer, der Zeitraum in den 1960ern, den die Filmhandlung umspannt, ist in der Karriere Bakers klug gewählt, denn 1964 schien er tatsächlich am Boden. Das Filmprojekt, welches in „Born to Be Blue“ immerhin zu Dreharbeiten kommt, bei denen er seine künftige Frau Jane (Carmen Ejogo) kennenlernt, war zwar angedacht, kam aber nie über diesen Status hinaus. Auch eine Jane hat es in dieser Form in Bakers Leben nicht gegeben. Verbürgt allerdings ist die brutale Tracht Prügel, die Baker (wohl von ehemaligen Dealern, denen er Geld schuldete) bekommen hat und die ihn seine große Leidenschaft, die Musik, kostete.

Man schlug ihm die Zähne aus und Trompete Spielen war nicht mehr möglich. Eine Katastrophe, die viele in den Ruin und Selbstmord getrieben hätte. Nicht so Chet Baker, der zu der Zeit mit Methadon behandelt wurde: Baker übt über Jahre mit manischer Besessenheit, bis er so etwas Ähnliches wie einen neuen Ansatz für sein Blasinstrument entwickelt. Worauf sich nach 1966 und nach dem Ende von „Born To Be Blue“ wieder eine Karriere aufbauen ließ.

So sind es auch zwei Auftritte im New Yorker Jazz-Club Birdland, die dem Biopic seine inhaltliche Klammer geben. In den 1950er stilvoll und ikonisch in Schwarz –Weiß gefilmt, spielt der von den Fans sehnlichst erwartete Sunnyboy aus Kalifornien ein beachtenswertes Konzert, nur der kritische Miles Davis ist absolut nicht beeindruckt. Er schickt Baker mit dem Satz weg „Komm wieder, wenn du ein bisschen gelebt hast“. Daraufhin lässt sich Chet zum ersten Mal Heroin spritzen. Am Ende bringt Chet Baker Dizzie Gillespie dazu, ihm in den 1960ern einen Auftritt im Birdland zu verschaffen – dieses Mal gefilmt in dem fiebrigen, farbgedämpften Licht der filmischen Gegenwart – wieder ist Miles Davis anwesend und wieder lockt die Droge, allerdings unter anderen Vorzeichen. Und letztlich – so will es der Film – erspielt sich Chet Baker die Anerkennung des großen Miles Davis als er high ist und damit seine Ehe verspielt.

Es scheint, als wäre sich der so charismatische Musiker immer wieder selbst im Weg, lebte eine selbstzerstörerische Ader aus, hatte den Affen auf dem Rücken und frönte seiner Heroinsucht. Er selbst freilich wird – wie viele Süchtige – das nicht so empfunden haben. Bakers Worte im Film – „Ich mag es, high zu sein. Es gibt mir Selbstvertrauen.“ – legen das nahe und stellen die Frage nach harten Drogen in der Jazz-Szene erneut, ohne das an dieser Stelle ausführen zu wollen.

Für den großartigen Ethan Hawke („Gattaca“, „Boyhood“) ist Chet Baker eine Paraderolle, selbst wenn Baker in den Sechzigern gut eine Dekade Jünger war als Hawke bei den Dreharbeiten. Das verlebte, faltige Gesicht Bakers, das von Fotograf William Claxton fotografiert zur Stilikone wurde, ist sowieso jedem in Erinnerung. In dieser scheint Chet Baker nie anders ausgesehen zu haben. Ethan Hawke dominiert den Film, der auf ihn zugeschnitten ist, in der er beinahe jede Szene füllt mit beachtlicher Präsenz und einen Gespür für das zerrissene Wesen Chet Bakers.

Daneben ist es schwer noch schauspielerische Akzente zu setzen, Carmen Ejogo gelingt das dennoch; weil sie eben nicht das hingebungsvolle Groupie ist, sondern eine gestandene, emanzipierte Frau, die dem Mann hilft, weil sie ihn liebt. Kallum Keith Rennie („Hard Core Logo“) spielt Dick Bock, Bakers langjährigen Manager und Mentor zwar präsent aber sachlich. Die übrigen historischen Musikerfiguren verschwinden im Hintergrundrauschen.

Gefilmt ist „Born To Be Blue“ auf betörende Weise, ohne sich von den Bildern, die man mit Chet Baker verbindet, dominieren zu lassen. Der Ansatz des Films ist isgesamt vielleicht ein wenig experimenteller, so wie bei „Love & Mercy“ über Brian Wilson, aber im Prinzip ist die Beschränkung auf musikalisches Comeback und die Liebesgeschichte sehr Mainstream-tauglich, so wie auch „Ray“ oder „Walk the Line“. Daher ist es mir auch eher unverständlich, warum Ethan Hawke für diese Rolle nicht mehr Preise einheimsen konnte.

Vielleicht mag das damit zu tun haben, dass Jazz zwar nicht tot ist, aber zumindest schlecht riecht, wie man gerne über Punk Rock sagt. Das hochgelobt Miles Davis Biopic „Miles Ahead“ mit Don Cheadle, ebenfalls 2015 gedreht, kam hierzulande nicht einmal in die Kinos, sondern erschien direkt auf DVD.  Die Schwarz-Weiß gefilmten Cool Jazz Tage in „Born To Be Blue“ sind eher eine Hommage, die vielen Aufnahmen, in denen Chet Baker direkt zur Natur spielt – man weiß nie so genau, ob für oder gegen sie – sind zwar auch schöne Landschaftsaufnahmen, vor allem aber Sinnbild für die Suche eines Musikers nach Inspiration und Erdung. Da schaut man schon lieber hin, als wenn Chet Baker bluttriefend und unter größten Schmerzen in der Badewanne sein Mundstück malträtiert.

Die Filmbiografie „Born To Be Blue“ über Jazz-Ikone Chet Baker gehört zu den seltenen Fällen, in denen es einem Spielfilm tatsächlich gelingt, über eine reines Abspulen von Karrierestationen und Charkaterstudien hinauszukommen. „Born to Be Blue“ erzählt mit einem  herausragenden Ethan Hawke von der Sehnsucht und dem Schmerz des Lebens.

Film-Wertung 9 out of 10 stars (9 / 10)

Born To Be Blue
OT: Born To Be Blue
Genre: Biopic, Musik,
Länge: 97 Minuten,CDN/ GB2015
Regie: Robert Budreau
Darsteller: Ethan Hawke, Carmen Ejolo, Callum Keith Rennie
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Alamode
Kinostart: 08,.06.2017