Die Überglücklichen: Manche Gutachten deuten auf Irresein hin

Der Grat zwischen Normalen und psychisch gestörten Menschen ist oft genug ein schmaler. Gelegentlich reicht es, gegen die gesellschaftlichen Normen zu verstoßen, um weggesperrt zu werden. Frauen wurden noch bis ins 20. Jahrhundert wegen Hysterie in Irrenanstalten verbracht. Dagegen scheinen es die beiden ungleichen Protagonistinnen in Paulo Virzìs neuem Film „Die Überglücklichen“ in ihrer Anstalt ziemlich gut zu haben. Freiwillig sind beide allerdings nicht in der rustikalen toskanischen Villa untergekommen.

In der Villa Biondi kennt man das schon: Beatrice (Valeria Bruni Tedeschi) flaniert über das Gelände als gehöre ihr die Bude noch und kommentiert in einem ununterbrochenen Redefluss sämtliche Arbeiten und benehmen aller Anwesenden. Dabei hat ihre adelige Familie das Anwesen gestiftet, aus dem nun eine psychiatrische Einrichtung für Frauen geworden ist. Als eine neue Patientin ankommt, nutzt Beatrice und gibt sich Donatella (Micaela Ramazzotti) gegenüber als behandende Ärztin aus, um ihre Neugier zu stillen.

Trotzdem werden aus der introvertierten, mit ihren schloddrigen Klamotten und Tattoos leicht schmuddelig wirkenden Donatella und der luftig elegant gekleideten Beatrice Freundinnen. Und als Beatrice hört, dass Donatella gern ihren Sohn wiedersehen würde, der von einer fremden Familie adoptiert wurde, beschließt sie zu helfen. Schließlich hat man sie selbst ja auch entmündigt.

Eher zufällig gelangen die beiden Frauen dann auf Abwege, weil sie kein Bus von der Arbeit in der Gärtnerei abholt. Beatrice  steigt einfach in den nächsten Linienbus, Donatella im Schlepptau. Und wenn frau schon mal unterwegs ist, kann frau sich ja auch gleich auf den Weg zu Donatellas Sohn machen.

Beatrice, die an einer bipolaren Störung leidet, kann in ihren manischen Phasen hochgradig charmant eigentlich jeden um den Finger wickeln, schließlich hat sie die Gnade der reichen Geburt verinnerlicht und so gelingt es den beiden Frauen sich tatsächlich immer weiter von der wohlbehüteten Villa zu entfernen. Dabei kommt es durchaus auch zu dramatischen Zwischenfällen, vor allem, weil Beatrice ihre Freundin, die selbstmordgefährdet ist, immer wieder in Situationen bringt, die diese emotional total überfordern.

Tatsächlich bringt Filmmacher Paulo Virzì in seiner warmherzigen Dramödie auch noch einiges an Gesellschaftskritik unter. Allerdings nicht in dem bitter-sarkastischen Ton, der seinen letzten Film „Die süße Gier“ (ebenfalls mit Valeria Bruni Tedeschi) trug, sondern eher in beiläufigen Sätzen und Situationen. So wie Beatrice mit völliger Selbstverständlichkeit Donatella rät, jemanden zu bestechen, man sei schließlich in Italien.

Gelegentlich fühlt man sich auf diesem Ausflug aus der Irrenanstalt an „Einer flog über das Kuckucksnest“ oder auch „Thelma und Louise“ erinnert, was im Wesentlichen dem Respekt den Charakteren gegenüber geschuldet ist, den auch Paul Virzì in „Die Überglücklichen“ an den Tag legt. Doch es gelingt dem italienischen Filmmacher auch, etwas ganz eigenes zu erzählen und zu zeigen, dass nicht alle Zwangseingewiesenen auch komplett dysfunktional sind. Bei aller psychologisch en Differenzierung, die „Die Überglücklichen“ aufweist, gelingt es dem Film aber immer die Verrücktheit auch liebenswert dazustellen. Immer wieder zeigen Beatrice und Donatella Momente rationaler und emotionaler Klarheit, die in ihrer Konsequenz schon erstaunlich empathisch und analytisch sind.

Es gelingt „Die Überglücklichen“ zwar nicht über die gesamte Filmlänge die flatterhafte, sorglose, anarchische Hektik beizubehalten, die dem Film über weite Strecken seinen ganz eigenen Charme verleiht, aber das furiose Schaulaufen der beiden großartigen Hauptdarstellerinnen Valeria Bruni Tedeschi und Micaela Ramazzotti reicht allemal aus, um sich auf dieses filmische Road Movie zu begeben und sich von der Lebensfreude dieser Dramödie anstecken zu lassen.

Film-Wertung:8 out of 10 stars (8 / 10)

Die Überglücklichen
OT: La pazza gioia
Genre: Drama, Komödie
Länge: 116 Minuten, Italien, Frankreich 2016
Regie: Paolo Virzì
Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Micaela Ramazzotti,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Neue Visionen
Kinostart: 29.12.2016