The Whispering Star: Kosmische Grüße

TheWhisperingStar_sub1-vorschau„The Whispering Star“ markiert zumindest einen Gegenpool in Sion Sonos Filmschaffen: Das elegische Science-Fiction-Gedicht, wie der Regisseur selbst seinen Film nennt, kommt minimalistisch, schwarzweiß und unglaublich ruhig, fast meditativ daher und unterscheidet sich deutlich von den bisherigen actiongeladenen Werken Sonos. Mit ziemlicher Sicherheit wird allerdings auch „The Whispering Star“ das Publikum und die Fans des Regisseurs polarisieren.

In einer nicht näher spezifizierten, fernen Zukunft ist die Menschheit vom galaktischen Aussterben bedroht. Roboter und Androiden machen 80 % der in der Galaxie verstreuten Population aus. Yoko Suzuki ist Paketbotin und reist in ihrem gebrauchten Raumschiff zu den Außenposten im Universum, die noch von Menschen bewohnt werden. Dorthin liefert der weibliche Androide dann Pakete aus, die vor Jahren aufgegebenen wurden, und bei deren Auslieferung es auf ein paar Jahre auch nicht ankommt.

TheWhisperingStar_sub2Hauptdarstellerin Megumi Kagurazaka ist, abgesehen von der überpräsenten Leere, der Dreh und Angelpunkt des gesamten Films und liefert in „The Whispering Star“ eine großartige Performance ab. Schon  in „Cold Fish“ und  hat die Schaupielerin mit Sion Sono zusammengearbeitet hat. Aber als Muse mag man Megumi Kagurazaka bei der Arbeitswut des Regisseurs dann doch nicht bezeichnen. Außerhalb Japans ist das volle Werk des vielbeschäftigten Regisseurs kaum vernünftig zu beurteilen: Genauso wie Kollege Takashi Miike dreht Sion Sono quasi am laufenden Band. Allein im vergangenen Jahr und seit „Tokyo Tribes“ hat Sion Sono fünf Spielfilme gedreht, darunter eine TV-Produktion und zwei Manga-Verfilmungen. Hierzulande war davon kaum etwas mitzubekommen. Seinen vorläufigen kreartiven Höhepunkt erreichte Sion Sono wohl 2008 mit dem vierstündigen Epos .

TheWhisperingStar_sub1Vielleicht ist es also den vielen Projekten geschuldet, dass  es „The Whispering Star“ bisweilen etwas an Struktur mangelt. Das mutmaßlich geringe Budget wird Methode haben, aber der dramaturgische Aufbau öffnet sich erst ganz langsam und etwas unausgewogen der Außenwelt. Im Verlauf des Films und gerade gegen Ende nehmen die Außenszenen und die Begegnungen der Paketbotin mit ihren menschlichen Kunden etwas überhand, während das intime in der Beziehung der Androidin zu dem Raumschiff, das durchaus seine absurd lustigen Momente hat, sehr in den Hintergrund rückt. Das sorgt in der Filmmitte zwar für einige Längen, aber insgesamt auch für einen melancholisch, poetischen Trip durch die Zukunft.

TheWhisperingStar_sub4Gleich der Prolog vermittelt surreale Irritation: Ein tropfenden Wasserhahn, eine gelegentlich durchs Bild huschenden Androidin, dazu Zwischentitel mit den Wochentagen, die im Grunde völlig bedeutungslos sind. Die Zeit wird  angehalten, dehnt sich, destilliert den Moment aus dr Gleichförmigkeit und der monotonen Minimalvariation.   Erst danach offenbart die Kameraeinstellung, dass es sich um das karge Innere eines Raumschiffes handelt, das wie eine schlichte Hütte aufgebaut ist. Der Bordcomputer, also das Raumschiff selbst, beginnt zu sprechen und mit einem zeitlichen Äquivalent zur Schwerelosigkeit breitet sich eintönige Reisealltag der Paketbotin aus.

TheWhisperingStar_sub3Wenngleich man sich als Zuschauer rein technisch schon fragt, warum diese Androidin sich so menschlich verhält? Essen und Trinken wäre ja, anders als das Batteriewechseln für die Technik eigentlich nicht nötig. Aber auch die nostalgische Ausstattung des Raumschiffes sorgt beizeiten für (unfreiwillige) Erheiterung: Hier ist nichts digital, alles analog. Klobige Stecker und handelsübliche Batterien halten dieses Reiseunternehmen zusammen.

„The Whispering Star“ passt damit ganz wunderbar in das Lost in Space-Genre, erinnert atmosphärisch an frühe David Lynch Filme oder aber die Absurdität von John Carpenters „Dark Star“. Bei dem „lebendigen“ Raumschiff kommt einem zwangsläufig Stanley Kubriks eigenwilliger Bordcomputer HAL aus „2001“ in den Sinn. Sion Sonos Film bleibt aber distanzierter, weil die Stimmen der Protagonisten nur im Flüstermodus und quasi aus dem Off erklingen, was sich im Lauf des Films auch inhaltlich erklärt.

TheWhisperingStar_mainDie Paketzustellungen selbst sind die seltenen Highlights der Reise, die Kontakte mit der Galaxis dort draußen. Dabei hat der Filmmacher in der Gegend von Fukushima gedreht. Die seit der Katastrophe dort öde gefallenen und verwüsteten Zivilisationsreste veranschaulichen nicht nur die Situation der aussterbenden Menschheit in diesem Sci-Fi-Szenario, sondern stellen auch einen deutlichen Bezug zur Gegenwart her. Das ist bisweilen sehr poetisch, mal mit Hang zum „Ruinenporno“ oder bisweilen abstrakt inszeniert, aber immer wortkarg und mit absurdem Humor sehr befremdlich. Das Grundthema ist dabei immer präsent und führt zu einigen sehr absurden Begegnungen: Die Melancholie der aussterbenden Menschheit und das Verblassen der Erinnerung an sich.

Mit seiner Science-Fiction-Parabel „The Whispering Star“ zeigt der japanische Filmmacher Sion Sono eine erstaunliche und unverbrauchte Variante seines Filmschaffens, die an Autorenfilme der goldenen Independent-Tage erinnert. „The Whispering Star“ ist eine  Zeitreise in ein elegisches Weltall, das nicht weiß, ob es sich ausdehnen oder zusammenziehen soll.

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the-whispering-star-plakatWhispering Star
OT: Hiso Hiso Boshi
Genre: Science, Fiction, Drama,
Länge: 100 Minuten, J., 2015
Regie & Drehbuch: Sion Sono
Darsteller:  Megumi Kagurazaka, Kenji Endo, Koko Mori,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Rapid Eye Movies
Kinostart: 26.05.2016