Die Mauer: Mit Alkohol gegen die Einsamkeit

Geschichten über das Erwachsenwerden stehen bei Graphic Novels und auch bei der Filmindustrie gerade hoch im Kurs. Vielleicht weil sich das Thema sowohl für Heranwachsende als auch für ältere Leser eignet. Das belgische Kreativduo Céline Fraipont und Pierre Bailly erzählt in seiner Graphic Novel „Die Mauer“ von der Einsamkeit und Angst der dreizehnjährigen Rosie.

Als ihre Mutter ausgerechnet in Dubai einen neuen Kerl kennenlernt, verlässt sie ihre dreizehnjährige Tochter Rosie und ihren Mann. Rosies Vater ist beruflich viel unterwegs und häufig lange Zeiten nicht zu Hause. So verbringt Rosie die meiste Zeit auf sich allein gestellt. Die Briefe ihrer Mutter liest sie erst gar nicht. Nur mit ihrer Freundin Nathalie vertreibt sie sich die Zeit rauchend und vor der Glotze, darauf wartend, dass ihre Periode auch endlich anfängt, wie bei so vielem Mädchen in ihrem Alter.

Rosie ist voller Angst, wenn sie allein zu Hause ist, und eines Abends probiert sie den Whiskey in der Hausbar des abwesenden Vaters. Der gibt ihr ein wärmendes Gefühl, das das junge Mädchen irgendwie tröstlich findet. Aber als sie heimlich mit Nathalie Alkohol trinkt, bekommt deren Mutter das mit und verbietet Nathalie den Umgang mit Rosie. Soviel zum Thema ewige Freundschaft. Außerdem schwänzt Rosie die Schule, ist lustlos, verliert ihre Lebensfreude und verlässt das Haus immer seltener.

„Die Angst hat mich in ihren Fängen.“

Doch dann lernt Rosie Jo kennen. Der ist sechzehn, wohnt aber alleine und scheint genauso einsam zu sein wie Rosie. Jo eröffnet Rosie nicht nur eine völlig unbekannte Welt voller Punkrock und jugendlicher Rebellion, sondern auch Trost, Verständnis und menschliche Wärme. Dumm nur, dass Jo und seine Kumpel dealen, um an Geld zu kommen, und Jo Rosie auch zum Klauen mitnimmt.

Mit der Comic-Reihe „Kleiner Strubbel“ für ganz junge Leser haben sich die belgischen Céline Fraipont, die für die Geschichten zuständig ist, und Pierre Bailly, der das Artwork übernimmt, international einen Namen gemacht. In Deutschland erscheint die Reihe bei Reprodukt. Nun erweitern die beiden Belgier ihr Schaffen um eine Graphic Novel und erzählen eine anrührende Geschichte vom Erwachsenwerden und von elterlicher Vernachlässigung. Nicht nur die komplett in schwarz-weiß gehaltene Optik verschafft der Story einen düsteren Anstrich, sondern auch der Abwärtsstrudel, in den Hauptfigur Rosie immer weiter hinabsinkt.

„Jetzt bin ich ihre Gefangene.“

Erzählerisch wirkt die Geschichte vom Schlüsselkind Rosie bisweilen ein wenig grobgestrickt und phasenweise fast wie das Elternklischee vom Einstieg in die Drogenszene. Andererseits hat „Die Mauer“ auch wirklich rührende Momente zu bieten. Pierre Bailly lockert den statischen Erzählaufbau einer Graphic Novel immer wieder mit randlosen Panels, Variation der Panelanzahl pro Seite auf. Sein Stil ist sehr flächig und erzielt so eine düstere Wirkung. Auch Schraffuren sorgen für eine Dunkelheit, die dem Grundgefühl Rosies entspricht. Bisweilen wirkt das Artwork mit seiner Holzschnittartigkeit beinahe expressionistisch und erinnert an den Stil von Terkel Risbjerg bei der Adaption von „Der Astragal“ die 2014 bei Schreiber & Leser erschien. Insofern könnte „Die Mauer“ fast die Vorgeschichte dazu darstellen, wäre Rosies Geschichte nicht in Belgien im Jahr 1988 angesiedelt.

Nun mag man sich kurz wundern, warum diese Story, die eigentlich jederzeit stattfinden könnte, ausgerechnet zu dieser Zeit und an diesem Ort vor sich geht. Aber Autorin Fraipont ist 1974 geboren und war somit nur unwesentlich älter als ihre Protagonistin. Es ist aus Autorensicht also naheliegend, eine Jugendgeschichte in der Zeit zu erzählen, in der man selbst jung war. Allerdings sollte der Leser sich hüten, nun vorschnell auf andere biographische Parallelen zu schließen.

Die Graphic Novel „Die Mauer“ weiß vor allem optisch zu überzeugen. Erzählerisch ist die traurige und tragische Geschichte von Rosies Erwachsenwerden bisweilen etwas holzschnitthaft und plakativ.

Comic-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Die Mauer
OT: Le muret, Casterman Verlag, 2014
Genre: Graphic Novel, Erwachsenwerden,
Autorin: Céline Fraipont
Zeichner: Pierre Bailly
Übersetzung: Monja Reichert
Verlag: Panini Comics, Harcover, 196 Seiten
VÖ: 25.06.2015