Deadpool 2: Die Rückkehr des Pool-Boys

Wir müssen reden! Über Superhelden-Comics, über deutsche Filmkritik, die sich am amerikanischen R-Rating abarbeitet, über Zynismus und pubertäre Antihaltung, über Berufsbilder und Popcorn-Kino. Die Geschichte von „Deadpool“ ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Und auch heute noch ist dieses Thema für viele Comicleser und Filmfans ein Tabu. Deshalb ist es mir wichtig für Dopinder zu sprechen: Augen auf bei der Berufswahl und nie auf Typen hören, die das Maul nicht halten können.

Das wichtigste zuerst: Wer mit dem ersten „Deadpool“-Film Spaß hatte, wird auch im zweiten sehr gut unterhalten. Vergesst alle Kritiker und Miesepeter, Geht ins Kino und habt Spaß. Wahrscheinlich ist „Deadpool 2“sogar besser als der erste; aber das ist schon eine der Grundsatzfragen, die „Deadpool 2“ aufwirft: Kann eine Fortsetzung kategorisch besser sein als sein Vorgänger? „Harry Potter“ scheint dafür zu sprechen, aber es gibt so viele Gegenbeispiele.

Wenn man begeisterte Filmkritiker fragt (wohlgemerkt keine Comicleser, wenngleich die Schnittmenge recht hoch ist), hatte „Deadpool“ im Grunde keine Story zu bieten, das ist nun besser. Die Gagdichte ist auch höher und es gibt noch mehr gut gemachte Action. Der Comic-Leser und Superhelden-Fan in mir ist empört, ob der Ansicht, dass eine Origin-Story, also die Wandlung eines Charakters, seine Transformation, nicht als ultimative Superheldengeschichte angesehen wird. Schließlich geht es bei dem ganzen Getöse mit dem Extrakräften für real existierende Leser um nichts anderes als darum, herauszufinden, wer (oder was) man selbst ist, einen ethischen Kompass zu entwickeln und das zu tun, was der Vater von Calvin in Bill Wattersons zeitlos epischen „Calvin & Hobbes“-Strips“ mit Charakterbildung beschreibt.

Aber ich schweife ab! Jetzt schon. Also: „Deadpool 2“ erfüllt locker alle Fanerwartungen und hat mit einem hinreißenden Teambuliding Prozess auch irgendwie eine erweiterte Origin-Story zu bieten. Zudem gibt es mit Cable (Josh Brolin) einen Antagonisten, der sich in diverser Hinsicht gewaschen hat. Bösewicht kann man hier nicht sagen, da der zukunftsreisende Cable auch so ein Bad Ass Antiheld ist, aber das werden Marvel-Fans eh wissen, genauso wie die X-Force ein Begriff ist und der geneigte Comic-Fan weiß, dass Cables Tochter Hope Summers ‚ne echte Hausnummer im Mutantenuniversum der X-Men ist. Aber ich schweife schon wieder ab.


Das ist eben das Problem mit so Typen wie Wade Wilson aka Deadpool (Ryan Reynolds): Deren hyperaktives Hirn feuert ständig Popreferenzen und andere absurde, ungefilterte Gedankengänge auf den Zuschauer bzw. Leser, so dass man selbst diese absurde Unart annimmt. Also ist Deadpool Schuld, dass der Text ist, wie er eben ist. Oder bin ich gar nicht ferngesteuert?

Ich habe einen ganzen Haufen Filmkritiken zu „Deadpool 2“ gelesen, bevor ich mich ans Schreiben gemacht habe. Was mich an den deutschen Besprechungen extrem irritiert hat, war das da ständig zu lesen ist, der Film und auch sein Vorgänger hätte sich offensiv bemüht ein PG-13 Rating zu kriegen. Für den unverständigen Nicht-Filmnerd erläutere ich das mal kurz: In den USA gibt es analog zu der Freiwiligen Selbstkontrolle (FSK) hierzulande Altersempfehlungen für Medien wie Filme, Videospiele und auch Comics. PG-13 entspricht der Altersbeschränkung, die bei uns „ab 16 Jahren“ ausmachen würde.

Neben Filmen, die explizit nicht für Jugendliche freigegeben sind, ist PG 13 also eine Freigabe, die schon recht viel an Gewalt und anderen potentiell jugendgefährdenden Inhalten zulässt. Nur: Wir sind hier nicht in den USA und so relevant das Rating für die Produktionsfirmen, den amerikanischen Markt und den kommerziellen Erfolg auch sind (weil ja die ganzen Fast-Teenies nicht reindürfen) in Deutschland läuft das anders. Womit sich das gesamte Problem verschiebt und gerade in der pubertären Alterststufe überhaupt nicht vergleichbar ist. Warum soll ich mir als Zuschauer bzw. Leser also Gedanken über US-amerikanische Altersfreigaben machen, wenn daraus im Text dann doch keine Empfehlung für Erziehungsberechtigte ausgesprochen wird.

Außerdem: „This is Boston not L.A.“ (Punk-Zitat). Selbst wenn unsere Gesellschaft und unsere Kultur sehr stark von den USA geprägt sind, hier gibt es weder einen Mainstream für Superhelden-Comics noch ist der gemeine Westeuropäer so prüde und schnell mit dem Ruf nach Zensur zur Hand wie der moralisch empörte Ami. Das verändert aber des kompletten Referenzrahmen für amerikanische Kulturerzugnisse, die hierzulande um die Gunst der Menschen und Fans werben.

Wenn ich irgendwo erwähne, dass ich Comics lese, hält mich die Hälfte der Anwesenden sowieso für bescheuert und infantil. Wie groß ist also die Wahrscheinlichkeit, dass jeder der sich zum MCU und zu Deadpool auslässt auch nur halbwegs einzuschätzen weiß, was es bedeutet, wenn Kindheitsträume auf der Leinwand real werden. Aber Film ist Film und als solcher eben kein Comicheft und auch mit anderen Filmen vergleichbar.

Ach, dabei muss ich auch noch den Pseudofachbegriff „die vierte Wand“ erwähnen, der im Zusammenhang mit „Deadpool“ reflexartig und inflationär gebraucht wird. Der Leinwandheld wendet sich dabei in direkter Ansprache an das Zielpublikum, spricht quasi gegen (und durch) die vierte „unsichtbare“ Wand, die die Leinwand an Sich darstellt. Sowas kommt als Gag und Stilmittel gelegentlich vor, um sich mit dem Publikum gemein zu machen. Kevin Spacey (als man Kevin Spacey noch erwähnen durfte) hat das in seiner Rolle als Francis Underwood in „House Of Cards“ ziemlich fies,schön und hinterhältig gemacht.

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass „Deadpool 2“ von allem mehr zu bieten hat, als der erste. Es mag extrem subjektiv sein, aber irgendwann schleudert der gute Superheld mit so vielen Verweisen, Ostereiern und Kollegenbashing um sich, dass es einfach nur durchrauscht. Das Phänomen hatte ich auch schon bei Steven Spielbergs „Ready Player One“: Die Popreferenzen nahmen derart überhand, dass ich der Reizüberflutung im Kinosaal nicht Herr wurde. Es war letzten Endes auch egal. Die Substanz eines Films betrifft das nicht. Aber hat „Deadpool“ überhaupt Substanz. Was bleibt jenseits der „Bad Ass“-Attitüde und dem losen Mundwerk, das irgendwie auch schon bei Spider-Man abgeguckt ist, nur eben mit mehr Kraftausdrücken?

Und da haben mich wieder etliche Kollegen aus der Filmbranche verwundert, die es „Deadpool“, der Figur, und „Deadpool“,dem Film, vorwarfen, dass er letztlich doch nicht aus den Bezügen des Superhelden-Genres herauskommt. Das kommt eventuell daher, dass „Deadpool“ bei aller Liebe zur Brutalität und Inkorektheit eben letztlich doch ein Held ist. Genauso wie der „Punisher“, genau wie John Constantin, genauso wie „Dirty Harry“. Der Italo-Western hat seinerzeit das Westerngenre ja auch nicht verlassen, sondern an den Grenze herumexperimentiert, ist sozusagen am Rio Bravo entlang galoppiert , um zu sehen, wo die seichteste Furt nach Mexiko ist.

Wer sich mit dem Marvel superhelden-Kosmos beschäftigt kann das wissen (eingentlich reicht es schon in der englischen Wikipedia herzumzuwühlen. Deadpool ist eben nicht nur der fiese, unkaputtbare Antiheld der „das Marvel Universum killt“ oder sich mit Thanos anlegt („Deadpool vs. Thanos“), sondern auch jemand, der sich mit anderen zusammentut, um in der Nachbarschaft aufzuräumen („Deadpool vs Hawkeye“) abgesehen davon taucht Wade Wilson recht häufig in irgendwelchen Marvel-Events auf. Das alles würde so nicht sein, wenn Deadpool nicht wüsste, was gut und was böse ist. Wer ein Held und wer ein Bösewicht.

Eigentlich habe ich mich nun schon mehr als genug über „Deadpool 2“ ausgelassen. Aber einen der vielen Leinwandcharakter würde ich doch noch ganz gerne ein bisschen würdigen: Den Taxifahrer. Keiner macht sich je Gedanken über den Taxifahrer, der im Film die Hauptfigur durch die Gegend kutschiert. Für die Autoren von „Deadpool“ eine Vorlage, etwas anders zu machen, als alle anderen. Es scheint ja nach Meinung vieler Kollegen, der Hauptantrieb der Filmmacher zu sein, alles anders zu machen als andere. Im ersten Teil also kutschierte der indisch-stämmiger Dopinder (Karan Soni) Deadpool zu seinen blutigen Schlachtfesten. Dabei entdeckte er gute Ratschläge wie er mit einem Rivalen umgehen könnte und jetzt hat Dopinder beschlossen, dass Taxifahren auch irgendwie öde ist. er wäre selbst gerne Superheld und weil er ja eh mit Deadpool unterwegs ist, was spräche also gegen ein Team up oder eine Ausbildung oder so ähnlich. Erinnert sich irgendjemand an Travis Bickle?

Dopinder hat zwar in den „Deadpool“-Filmen die Funktion für Running (vielmehr driving) Gags zu sorgen, ist dabei aber vielmehr als nur der Comic Relief („die Komische Entlastung“) angesichts der zur Schau gestellten und gestylten Brutalität. Dopinder ist das eigentliche Gegenstück zu Deadpool und wenn man so will, der Zuschauer selbst, der immer gerne nahe bei seinem Helden sein will, es aber aus Angst, Skrupel oder schlichter Unfähigkeit nicht immer hinbekommt. Dabei ist der Erwerb eines Taxischeins in einer Weltmetropole aller Ehren wert und auch eine solide Basis zum Philosophieren. Das hat Autorenfilmer Jim Jarmusch bereits 1991 mit seinem grandiose Episodenfilm „Night on Earth“ beweisen.

Ich könnte mich noch weiter über „Deadpool 2“ auslassen, habe aber besseres zu tun, als mich über die philosophische und cineastische Metaebene der Zweitverwertung einer Spandex tragenden Figur der Trivialliteratur auszulassen. Geht ins Kino oder wohin auch immer, aber geht.

Film-Wertung:7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

Deadpool 2
OT: Deadpool 2
Genre: Action, Adventure, Komödie, Superhelden,
Länge: 119 Minuten, USA, 2018
Regie: David Leitch
Darsteller: Ryan Reynolds, Moreena Baccarin, Julian Dennison, Zazie Beetz, Josh Brolin
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: 20th Century Fox
Kinostart: 17.05.2018

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