The Missing – Staffel 2: Notizen aus dem Kellerloch

Während der Recherche zur Vorstellung der zweiten, in sich abgeschlossenen Staffel der britischen Thriller-Serie „The Missing“ stoße ich auf verwunderliches Verhalten deutscher TV-Sender. Hatte das ZDF doch das Finale der ersten Staffel aufgrund schlechter Quoten in die Nacht verlegt und nicht als ZDF-Sonntagskrimi ausgestrahlt. Glücklicherweise wurde die Serie jaauf DVD und Blu-ray veröffentlicht, so auch die zweite Staffel, in der Tchécky Karyo als unermüdlicher Ermittler Julien Baptiste erneut auf die Suche nach vermissten Kindern geht. „The Missing“ ist auch in der zweiten Staffel nichts für schwache Nerven.

Auf einem britischen Militärstützpunkt im niedersächsischen Eckhausen verschwindet 2003 eine Schülerin. Alice Webster wird zwar gesucht, aber nie gefunden. Im Jahr 2014 taucht mitten im Winter ein leicht bekleidetes Mädchen (Abigail Hardingham) in schlechtem Gesundheitszustand aus dem Wald auf und behauptet Alice Webster zu sein. Weil sie im Notarztwagen den Namen eines anderen vermissten Mädchens erwähnt, setzt sich die Militärpolizistin Eva Stone (Laura Frazer) mit dem damaligen Ermittler in Verbindung. Julien Baptiste (Tchécky Karyo) erinnert sich genau an den Fall der jungen Sophie, der so tragische Folgen zeitigte. Obwohl in Rente, macht sich Baptiste auf den Weg nach Deutschland, um zu helfen und seinen eigenen ungelösten Vermisstenfall wieder aufzunehmen. Allerdings sind Baptistes Bemühungen ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der ehemalige Kommissar hat einen Gehirntumor. Und die Eltern des wieder aufgetauchten Mädchens, Gemma (Keely Hawes)und Sam Webster (David Morissey) sind nicht gerade begeistert von Baptistes Einmischung.

Psychologisch ist „The Missing“ ein ziemlich forderndes TV-Format. Der Serien-Thriller hebt nicht auf Action ab, sondern seziert die Emotionen und das Verhalten in einer extrem belastenden Situation. Eltern müssen das Verschwinden eines Kindes verarbeiten, die Ungewissheit und das vermeintliche Leid aushalten – und das muss auch der Zuschauer. Die Drehbücher von Harry und Jack Williams sind dabei an der Realität angelehnt. Stand in der ersten Staffel von „The Missing“der Entführungsfall „Maddy“ Pate für die fiktionalisierte und dramaturgisch überhöhte Story, so sind es in der zweiten Staffel die österreichischen Entführungs- und Missbrauchsfälle von Natascha Kampusch, die zehn Jahre lang gefangen gehalten wurde, und die Greueltaten von Joseph Fritzl, der über mehrere Jahrzehnte seine Tochter gefangen hielt und missbrauchte.

Der Schauplatz ist also nicht umsonst in den deutschsprachigen Raum verlegt und die Handlung in dem militärischen Umfeld eröffnet auch die Einbeziehung von Kriegsneurosen und Posttraumatischen Stress-Symptomen. So hervorragend das Drehbuch auch ausgearbeitet und von Regisseur Ben Chanan mit der hervorragenden Darsteller-Riege umgesetzt ist, die Machart ist doch die Selbe wie in der ersten Staffel. Der Spannungsaufbau erfolgt durch die Verwebung der drei Zeitebenen, die für die Verbrechen relevant sind: die Tatzeit, die Rückkehr rund eine Dekade später und die jetzige Ermittlung, noch einmal zwei Jahre später.

Selbstredend steht auch in der zweiten Staffel das Psychogramm der Familie des Opfers im Mittelpunkt, doch der eigenwillige und getriebene französische Ermittler nimmt in diesem Kriminalfall eine deutlich aktivere Rolle ein. War Baptiste in der ersten Staffel noch ein hilfreicher, kompetenter Rentner, so ist der ehemalige Kommissar nun persönlich betroffen, hofft eine berufliche Scharte auswetzen zu können und einen alten Fall, der im schlaflose Nächte bereitet hatte, endlich lösen zu können. Dabei geht Julien Baptiste zwar nicht über Leichen, aber er fordert die betroffenen Familien schon erheblich, indem er immer wieder Störfeuer auflodern lässt und Zweifel streut, die sowohl Hoffnungen zerstören als auch neue Hoffnungen wecken.

Insgesamt ist das über die acht jeweils einstündigen Episoden vielleicht ein bisschen zu viel des Guten, so wie auch in der ersten Staffel der dänischen Erfolgsserie „Kommissarin Lund“ die Handlung die eine oderandere Wendung zuviel macht. Ansonsten wissen die Serien-Produzenten, was sie tun und wie sich psychologisch dichte Thriller-Spannung erzeugen lässt. Schon eine der Eingangssequenzen, in der Alice Webster einsam auf dem winterlichen Staudamm nach Hause wankt, ist eine Hommage an das große Serienvorbild „Twin Peaks“.

Wer von der psychologische Spannung der ersten Staffel der britisch-amerikanischen BBC-Serie „The Missing“ gefangen genommen wurde, der darf sich auf eine weitere Runde freuen, die zum Teil sogar noch intensiver ausgefallen ist, als der Vorgänger. Beide Staffeln sind in sich abgeschlossen und der Ermittler Julien Baptiste ist das verbindende Element der Serie.

Serien-Wertung 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

The Missing – Staffel 2
OT: The Missing – Season 2
Genre: TV-Serie, Thriller, Mystery, Krimi
Länge: 480 Minuten (8 x 60), GB/USA/B, 2014
Drehbuch: Jack Williams, Harry Williams
Regie: Ben Chanan
Darsteller: Tchéky Karyo, Keely Hawes, David Morissey, Abigail Hardingham
Extras: Behind the Scenes
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Pandastorm
DVD- & BD-VÖ: 29.09.2017