The Tree of Life: Mein Platz in der Welt?

Demnächst kommt mit „Song To Song“ ein weiterer Film von Hollywoods Eigenbrötler Terence Malick in die Kinos. Für die einen ist das Alterswerk von Malick geniales intuitives Kino, für die anderen esoterisches Gewaber, das nicht auf den Punkt kommt. In gewisser Weise lieferte der 2011 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Film „Tree of Life“ die Blaupause für  die folgenden filme von Terence Malick. Grund genug, sich also noch einmal mit dem starbesetzen Familiendrama zu beschäftigen.

Diese fragende und klagende Stimme aus dem Off macht gleich zu Beginn klar, das Jack O’Brian hadert. Zweifel, Fragen, Sinnkrise und immer wieder die prägende Kindheit und der Verlust des Bruders. Dabei springt „Tree of Life“ zwischen unterschiedlichen Zeitebenen hin und her, zeigt Jack als Kind und als reiferen Mann. Noch immer versucht sich der inzwischen erfolgreiche Sohn mit seinem Vater auszusöhnen, doch es mag nicht recht gelingen. Mr. O’Brian (Brad Pitt) ist ein strenger Vater, der will, dass seine Kinder etwas erreichen und so bläut er den Söhnen Unbarmherzigkeit und Härte ein. Auch der Mutter (Jessica Chastain) gelingt es nicht immer, dies durch Wärme und Fürsorglichkeit auszugleichen.  Als ältester Sohn leidet Jack am meisten unter dem elterlichen Zwiespalt und der Strenge des Vaters.

Regisseur und Drehbuchautor Terrence Malick inszeniert zugleich eine Kindheitsgeschichte und eine Midlifkrise. Erzählt wird wenigerparallel als vielmehr in Form eines assoziativen inneren Monologs.   Den Konflikt zwischen Vater und Mutter, zwischen Ying und Yang, hat Jack verinnerlicht und der Streit geht in seiner Seele weiter. Es ist eine existentielle Frage nach Prinzipien, die sich zu widersprechen scheinen und die es zu erdulden gilt, um sie zu transzendieren. „Tree of Life“ ist der filmische Ausdruck für Jacks (Sean Penn) Versuch, sich mit dem Vater auszusöhnen und auch den Vietnamtod des Bruders Jahrzehnte später endlich zu überwinden.

Malicks Darstellung der Kindheit ist geprägt von einer außergewöhnlichen Unmittelbarkeit und latenter Bedrohung, die durch kluge und nahe Kameraführung erreicht, dass der Zuschauer selten mehr weiß, als der jugendliche Protagonist, dessen Perspektive er teilt. Abrupte Momente gehören ebenso dazu wie langes Betrachten. Zumeist wird der Zuschauer dann auch mit Jacks (Hunter McCracken) aus dem Off gesprochenen  kindlichen Gedanken konfrontiert.  Hätte sich Malick auf die Kindheitserinnerungen beschränkt, es wäre ein grandioses amerikanisches Drama geworden.

Doch ein anderer Teil von “Tree of Life“ versucht Bilder zu finden, um Jacks quasireligiöse Zustände als erwachsener Mann wiederzugeben. Die Suche einer verlorenen Seele nach Frieden durchläuft unterschiedliche Stadien von Zusammengehörigkeit mit der Schöpfung. Auch dafür gelingen Regisseur Terence Malick beeindruckende und betörende Aufnahmen, die von kosmischer Energie erzählen. Ein wenig erinnert das an die wunderbar abstrakten Aufnahmen aus Darren Aronofskis „The Fountain“. Doch spätestens wenn Jack fragend die Schöpfung der Welt durchlebt und Dinosaurier durch Urwälder streifen, nur um zu verdeutlichen, dass der im elterlichen Wiederstreit schwelende Konflikt  schon seit Anbeginn der Natur das Leben prägt, scheint der Exkurs überfrachtet.

Die Besetzung des Films ist so sehenswert wie die Machart einzigartig: Brad Pitt und Jesica Chastain sind ein glaubhaftes Elternpaar und selbst wenn Sean Penn nur wenige Auftritte hat, seine Präsenz ist (auch durch die Erzählstimme) intensiv. Doch die eigentliche Überraschung ist Hunter McCracken, der in seiner ersten Filmrolle eine erstaunlich reife Leistung abgibt und das Drama auf seinen schmalen Jungenschultern trägt.  So gekonnt Terence Malik auch zwischen den Erzählebenen wandert und so grandios seine Darsteller auch aufspielen, die Laufzeit von 140 Minuten zieht sich scheinbar endlos hin. Am Ende findet nicht nur Jack in der Wüste seine Erlösung, sondern auch der Zuschauer, der zwar bildgewaltig, aber langatmig unterhalten wurde.

Ich mag Terrence Malick Filme, mag diese Art des filmischen Erzählens, selbst wenn es gelegentlich ausufert oder abstrus erscheint. Nein, ich bin bei „Der schmale Grat“ (1998)nicht eingeschlafen und die fiebrige Nervosität Martin Sheens in „Badlands“ (1973) irritiert mich noch immer. Aber auf  „Tree of Life“ kann ich nur bedingt eine Lobeshymnen anstimmen. Die Bilder sind packend und auch die religiöse Ausrichtung des Films ist durchaus stimmig, allein der Film ist überladen und schlicht zu lang.

„Tree of Life“ wurde 2011 bei den Filmfestspielen in Cannes als bester Film ausgezeichnet, ist eine cineastische Tour de Force, die nur eingefleischten Cineasten und experimentierfreudigen Cineasten zu empfehlen ist. Terrence Malick wagt viel, gewinnt aber nicht auf ganzer Linie. Letztlich könnte man „Tree of Life“ auch als eine stimmungsvoll zusammengestellte Diashow verstehen.

Film-Wertung:7 out of 10 stars (7 / 10)

The Tree Of Life
OT: The Tree of Life
Länge: 139 Minuten, USA, 2011
Genre: Drama
Regisseur: Terrence Malick
Darsteller: Sean Penn, Brad Pitt, Jessica Chastain, Hunter McCracken
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Vertrieb:  Concorde Video
Kinostart: 16.06.2011
DVD- & BD-VÖ: 10. November 2011