Taboo: Die Geister, die ich rief

Allein die beteiligten an diesem Serienprojekt lassen aufhorchen: Schauspieler Tom Hardy, der zur Zeit einer der angesagtesten Akteure seiner Zunft ist, hat die Serie „Taboo“ zusammen mit Ridley Scott produziert und spielt auch gleich die Hauptrolle. die Idee stammt von Hardy und seinen Vater und der renommierte englische Drehbuchautor Steven Knight sorgt für das Script, dazu wurden noch zwei namhafte skandinavische Regisseure verpflichtet. Das alles verspricht moderne Serienunterhaltung auf hohem Niveau, und wenn Tom Hardy als James Delaney im Jahr 1814 englischen Boden betritt, wird schnell klar, dass es hier recht düster zugeht.

Bei Regen und Sturm betritt James Keziah Delaney (Tom Hardy) seit mehr als einem Jahrzehnt erstmals seine englische Heimat. Und in dem Unwetter hat er auch zunächst nichts Wichtigeres zu tun, als einen kleinen Beutel zu vergraben, bevor er sich auf den Weg in die Stadt London macht. Delaney ist eine imposante Gestalt und exotische, indigofarbene Tattoos zieren seinen Körper. Bach einem Gentleman sieht Delaney nicht eben aus und er benimmt sich auch nicht so.

Aber dem Mann, der für tot gehalten wird, eilt sowieso ein mehr als zweifelhafter, beunruhigender Ruf voraus. Es dauert ein wenig, bis der der Zuschauer zu ahnen beginnt, worauf sich dieser Ruf gründet. Zuvor baut die Serie „Taboo“ genüsslich und mit einiger Spannung die geradezu ikonenhafte Figur des unerwarteten Heimkehrers auf. Der war das letzte Jahrzehnt auf dem afrikanischen Kontinent, nachdem er in Diensten der East India Trading Company illegaler Weise auf einem Sklavenschiff diente, das vor Afrika Schiffbruch erlitt. Was danach mit dem einzigen Überlebenden der Havarie passierte, bleibt unausgesprochen.

Dafür aber macht Delany mit einem theatralischen Auftritt auf der Beerdigung seines Vaters seinen Anspruch auf dessen Nachlass deutlich. Sehr zum Ärger von Delaney Halbschwester Zilpha (Oona Chaplin) und deren tiefreligiösen Mann Thorne Geary (Jefferson Hall). Offiziell gilt Delaneys Vater zwar als Pleite und seine Schifffahrtskompanie als ruiniert, aber dennoch hatte der Mann etwas von Wert in seinem Besitz, eine Insel vor der Nordamerikanischen Atlantikküste, die von strategischer Bedeutung ist, während der amerikanische Unabhängigkeitskrieg noch tobt.

Geary war sich bereits mit der East India Trading Company und deren Chef Stuart Strange (Jonathan Price) über den Verkauf der Insel einig. Nun durchkreuzt der heimgekehrte Sohn Gearys Pläne. Sehr zur Sorge von Butler Brace (David Hayman) scheint der junge Delaney dem Alten an fortschreitendem Wahnsinn an nichts nachzustehen. Wohl wissend, was die Insel vor Amerika wert ist, legt sich James Delaney mit der East India Trading Company an, will die Reederei seines Vaters neu beleben und dessen Kontorhaus im Hafen wieder nutzen. Dort betreibt die deutsche Prostituierte Helga (Franka Potente) als Puffmutter ein florierendes Gewerbe.

Alleine kann Delaney kaum gegen die mächtige East India Trading Company bestehen, doch da er über erstaunliches Insiderwissen verfügt, ruft er auch die im Untergrund agierenden amerikanischen Spione auf den Plan und mit dem durchtriebenen Gauner Atticus (Stephen Graham) hat Delaney einen weiteren, allerdings käuflichen, Verbündeten. Doch Delaneys Erbe ist keineswegs gesichert, denn unerwartet taucht mit der Schauspielerin Lorna Bow (Jessie Buckley) die letzte Ehefrau seines Vaters auf. Währenddessen werden die Bemühungen der East Inda, an die Insel zu kommen, immer ruchloser und die Gefahr für alle, die  auf Delaneys Seite stehen, wächst stetig.

Das war nun recht viel Information, aber damit ist das Setting der britischen Serie „Taboo“ zumindest so weit umrissen, dass die Handlung einigermaßen Sinn ergibt.

Wie zu erwarten ist die Serie ganz auf Hollywood-Star Tom Hardy („The Revenant“, „Warrior““, „Mad Max: Fury Road“) zugeschnitten, das geht zugegebener Maßen zu Lasten anderer Figuren, die durchaus interessant angelegt sind, aber neben dem düsteren, dubiosen und mysteriösen Delaney  noch nicht so recht zur Geltung kommen. Das Setting in einem dreckigen, schlammigen London, vor der Zeit von Charles Dickens, ist historisch spannend gewählt, denn es gibt der Geschichte die nötige Realitätsnähe im Machtkampf zwischen  britischer Krone und East India Trading Company, dem politischen Ränkespiel zwischen Engländern und Briten.

Dazwischen agiert der gesellschaftliche Outsider, der schon durch seine Tattoos dergestalt ausgewiesen ist, durch seine Abstammung von einer indianischen Mutter, die der Vater quasi zur Insel dazu gekauft hat, und durch sein Überleben bei den „Wilden“ Afrikas ein Misfit par Exzellence darstellt und so in dieser so standesbezogenen, starren Gesellschaft einen sehr modernen Helden- beziehungsweise Antiheldentypus verkörpern kann, der für heutige Zuschauer genügend Identifikationsmöglichkeiten schafft. Dazu ist sind auch ein Hauch Mystizismus und Verruchtheit von Nöten. Das rückt die von Stephen Knight („Peaky Blinders“, „No Turning Back“) geschriebene Serie, in einen Genremix, der heute fast alle erfolgreichen TV-Serienprojekte auszeichnet.

Die Ausstattung und die Kostüme der Serie ist sehr aufwändig und der Londoner Straßendreck kann ganz solide mit dem von „Ripper Street“ mithalten. Zudem ist die Geschichte mehr als nur eine recht wendungsreiche Verschwörungsstory. Der Figurenreichtum und auch die verschlungene Art der Erzählung haben durchaus Parallelen zu den Roman von Charles Dickens, und Hardys Delaney ist vielleicht auch ein wenig davon beeinflusst, dass er in der „Oliver Twist“-Serie von 2007 den Gauner Bill Sikes gespielt hat. Aber Tom Hardy hat ja eine Neigung zu aufmüpfigen Charakteren.

Während man sich als Zuschauer kurz fragt, warum die Serie „Taboo“ heißt, gibt die Legende des James Keziah Delaney darüber im Lauf der ersten Staffel darüber Aufschluss, nicht nur, dass er seine Halbschwester begehrt, er soll auch Menschenfleisch gegessen haben und steht seit seiner Zeit in Afrika mit diversen heidnischen Gottheiten und Ritualen in Verbindung.  Dieses mystische Element, das ebenso wie die Tattoowierungen zunächst als Fremdkörper in der Londoner City von 1814 wirken, entfalten ihren Charme im Verlauf der Handlung.  Und da sie eng mit den Themen der Sklaverei beziehungsweise der Ausrottung indigener Völker verbunden sind, ergibt sich daraus für die Handlung auch eine ethische Ebene, auf der Schuld und Sühne abgehandelt werden.  Mit diversen filmischen Anleihen aus Western, Gangster- und Gruselfilm findet   „Taboo“ seine ziemlich moderne Serien-Nische irgendwo zwischen den literarischen Klassikern „Moby Dick“ und Charles Dickens. Dabei wirkt „Taboo“ allerdings erstaunlich originell.

Inszeniert wird die Handlung mit vielen Schauplatzwechseln und diversen eigenwilligen Entwicklungen, die nur der ewig vor sich hin grummelnde Delaney halbwegs zu durchschauen scheint, von zwei Regisseuren, die bereits zuvor für spannende Serienunterhaltung bekannt waren.  Kristoffer Nyholm hat nicht nur den dänischen Thriller-Erfolg „Komissarin Lund“ in Szene gesetzt, sondern auch mit der britischen Miniserie „The Enfield Haunting“ (2015) sein Gespür für Supsense bewiesen. Sein in finnland geborener Regie-Kollege Anders Engström hat das schwedische Familiendrama und Serienhighlight „Blutsbande“ gedreht und auch mit der nordischen Mystery-Thriller-Serie „Jordskott – Der Wald vergisst niemals“ eine stimmungsvolle Regiearbeit abgeliefert.

Nicht wenige Menschen behaupten seit Jahren, Serien seinen das neue Kino. Die hochklassig produzierte TV-Serie „Taboo“ ist ein schlagender Beweis für diese Theorie. Nicht nur der furiose Tom Hardy weiß zu begeistern, sondern auch die moderne genreübergreifende Inszenierung einer fiktiven historischen Handlung. Schnell eine Fortsetzung bitte.

Serien-Wertung 9 out of 10 stars (9 / 10)

Taboo – Staffel 1
OT: Taboo- Season 1
Genre: TV-Serie, Drama , Historisches, Fantasy
Länge: 450 Minuten, 8 Folgen, UK, 2017
Idee: Tom Hardy, Chips Hardy, Steven Knight
Drehbuch: Steven Knight
Regie: Anders Engström, Kristoffer Nyholm
Darsteller: Tom Hardy, Oona Chaplin, David Hayman, Jonathan Price, Jessie Buckley
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Eurovideo
DVD- & BD-VÖ: 13.04.2017