Die Söhne von El Topo- 1. Kain: Vergebliche Rache

Den chilenischen Tausendsassa Alejandro Jodorowsky auf sein Comic-schaffen zu reduzieren, wäre eine grobe Untertreibung. Der Mann interessiert sich so ziemlich für alles, was das Leben so zu bieten hat. Jodorowsky ist Performance-Künstler, Heiler, Tarot-Experte und Filmmacher. Quasi mit einem Spätwerk kehrt der Künstler zu seinen Filmischen Anfängen zurück und legt mit „Die Söhne von El Topo“ eine Comic-Fortsetzung seines legendären surrealen Westerns „El Topo“ vor. Umgesetzt wird die Story von José Ladrönn, in dem Jodorowsky einen kongenialen Partner gefunden zu haben scheint. Das Auftaktalbum „Kain“ der „Söhne von El  Topo“ ist schon einen kleine Insider-Sensation.

Wer nun überhaupt nichts mit dem Namen Alejandro Jodorowsky anzufangen weiß, wird den Hype kaum verstehen:

Die Welt des Alejandro Jodorowsky

Das frühe Filmwerk des visionären, chilenischen Künstlers, der in den 1960er Jahren seine Karriere begann, wurde Anfang 2014 als Kollektion bei Bildstörung wiederveröffentlicht, nachdem die Bundesstelle für jugendgefährdende Schriften die Indizierung des Westerns „El Topo“ aufgehoben hatte. Allerdings eckte Jodorowsky mit seinen Filmen auch immer an und so hat er sich im Lauf seiner Karriere ein durchaus erfolgreiches Standbein als Szenartist für Comics aufgebaut. In der franko-belgischen Comicszene ist eine konsequente Arbeitsteilung zwischen Autor (Szenarist) und Zeichner (zumeist auch Kolorist) traditionsgemäß üblich. Zusammen mit Möbius alias Jean Giraud schuf Jodorowsky die legendäre Saga „Der Incal“ und später mit Juan Giménez noch die nicht minder epischen „Meta-Barone“.

Die Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Comic-Zeichner  José Ladrönn begann mit einer gemeinsamen Story für das Metal Hurlant Comicmagazin im Jahr 2004. Es dauerte zwar ein paar Jahre, aber 2014 schufen die Beiden zusammen „The Final Incal“ und nun eben „Die Söhne von El Topo“. Eine Zusammenarbeit, die es durchaus in sich hat. Ursprünglich, so Jodorowsky im Vorwort des Panini-Albums, habe er die Fortsetzung von „El Topo“ bereits in den frühen 70er Jahren als Film geplant, aber  das Projekt kam, wie so viele von Jodorowskys Filmideen, aus Kostengründen nie zustande.

Kult-Western „El Topo“

Der 1970 erschienenen Western „El Topo“ sieht zwar formal aus wie ein typischer Spaghetti-Western, die in dieser Periode gerade ihre Glanzzeit erlebten, geht aber weit über das Western-Genre hinaus. Darin ist der Revolverheld El Topo (deutsch: Der Maulwurf) auf einer seltsamen Reise durch die Wüste unterwegs. Er lässt seien Sohn dort zurück, rettet eine in Bedrängnis geratene Missionsschwester, hat Begegnungen mit diversen religiösen Meistern und befreit eine versklavte Gemeinschaft von Krüppeln, die daraufhin das Dorf niedermetzeln, das sie unterdrückt hat. Der Revolverheld wird zum Heiligen. Weil der Film, recht explizit zeigt, worum es geht und die stilisierte Gewalt der biederen Bundesrepublik Deutschland seinerzeit zu abstrus vorkam, landete „El Topo“ prompt auf dem Index und konnte auch deshalb seinen Kultstatus erwerben.

Die Story  in „Kain“ beginnt mit einem kurzen Überblick über die Situation bevor die Handlung einsetzt. Darin versucht Kain sich an seinem Vater zu rächen, weil dieser ihn mit einem Mal brandmarkte, dassden Sohn aus der Gemeinschaft der Menschen ausstößt. El Topo ist in einem mythischen Grabmal beerdigt und wird von allen Religionen verehrt und angebetet. Kain hat sich zu einem Abbild seines Vaters zu dessen Revolverhelden-Zeiten entwickelt und ist ein zynischer, bitterer Mann. Es gelingt ihm einfach nicht, Zugang zum Grabmal seines Vaters zu bekommen und niemand spricht mit ihm. Erscheint Kain, wenden die Menschen sich ab. Dieser reagiert immer frustrierter und gewalttätiger.  Bis er eine Blinde trifft, die ihn ja nicht ansehen kann. El Topos anderer Sohn, Abel, zieht indes zusammen mit seiner Mutter als fahrender Puppenspieler durch die Lande.

Metaphysik und raues Leben

Wie schon in Bezug auf den Film  „El Topo“ erwähnt, geht es bei Jodorowsky gerne mal surreal, sehr philosophisch und metaphysisch zu, daher sind fast alles Storyelemente, auch mit Symbolik beladen. Aber das kann der Leser auch getrost hinten anstellen, denn allein die vergleichsweise schlichte Story hat etliche  Neo-Western-Elementen zu bieten und eine psychologisch sehr spannenden Geschichte über die Rache des Sohnes am Vater. Dazu zitiert Jodorowsky das Alte Testament genauso wie die Jung’schen Archetypen, so dass die Geschichte auf diversen Ebenen lesbar ist.

Comic in Cinemascope

In dem Comic-Künstler José Ladrönn hat Jodorowsky jemanden gefunden, der seine Geschichte auch optisch sehr ansprechend umsetzen kann und das Artwork weiß zu begeistern. Setting und Kolorierung sind optisch erstaunlich nahe an dem „El Topo“-Film, dass man kaum merkt, dass einige Jahrzehnte dazwischen liegen. Dazu soll das Comicalbum auch wie ein Film wirken, weshalb die Seiten jeweils in drei Panels  unterteilt sind, die jeweils das Cinemascope-Format der Leinwand nachempfinden sollen. Das funktioniert erstaunlich gut und je länger man sich in die Story vertieft, desto mehr vermisst man die Bewegtbilder dieser eindrucksvollen, mystischen Geschichte.

Aber Ladrönn klebt nicht sklavisch an der Cinemascope-Aufteilung sondern arbeitet – wenn  man so will – mit „Split-Screen-Technik“, das sorgt für erhebliche Steigerung der Dynamik. Auch bei der Kolorierung sorgt Ladrönns Stil für eine sehr haptische und physische Bildgestaltung. Und weil Jodorowsky ein guter Comic-Autor ist, verlässt er sich auf die Macht der Bilder, kommt ohne erklärende Texte aus und beschränkt sich auf vergleichsweise wenige Sprechblasen. Das ist große Comickunst und macht auch noch Spaß. Versteht sich, dass „Die Söhne von El Topo“ nur bedingt für jüngere Leser zu empfehlen sind.

Mit dem Auftaktalbum „Kain“ legen Alejandro Jodorowsky und José Ladrönn eine fulminante Fortschreibung von Jodorowskys Kult-Western „El Topo“ hin, in die der Leser auch ohne Vorwissen hineinfindet. Tolles Artwork, Gewalt, Sex und Rache in einer archaischen Story bringen den Western in typischer „Jodo“-Mainer auf eine andre Ebene.

Comic-Wertung:8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

Die Söhne von El Topo- 1. Kain
OT: Les Fils de El Topo
Autor: Alejandro Jodorowsky
Zeichner: José Ladrönn
Übersetzung: Monja Reichert
Verlag: Panini Comics, Hardcover, 68 Seiten, 2016, Glénat,
VÖ: 28.02.2017