Revision: Festung Deutschland?

Auch mit seinem neuen Dokumentarfilm „Havarie“ beweist der Filmmacher Philip Scheffner, dass man durchaus noch politische Filme machen kann. „Havarie“ startet am 26.01.20116 in den hiesigen Kinos. Bereits 2012 hatte der Dokumentarfilmer mit „Revision“ einen eindringlichen und beklemmenden Dokumentarfilm vorgelegt. Am 29. Juli 1992 finden mecklenburgische Bauern in der Nähe zur polnischen Grenze zwei männliche Leichen. Als sie Hilfe holen wollen und sich noch einmal umsehen steht das Feld in Flammen. Die Dokumentarfilmer Philip Scheffner und Merle Kröger nähern sich den damaligen Ereignissen 20 Jahre später.

Revision: abgeleitet aus den Lateinischen;  re = zurück und videre = ansehen; sinngemäß übersetzt als „prüfende Rückschau“ mit mehreren konkreten Bedeutungszusammenhängen, unter anderem: im allgemeinen Sinne: nochmalige Durchsicht oder Überprüfung; im juristischen Sinne: Revision als ein Rechtsmittel, das bedeutet, eine formalisierte Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung, darüber hinaus meint Revision im Sinne des Zolls: Fahndung nach zollpflichtigen Gütern beim Grenzübertritt.

Die deutsche Presse meldete 1992 kurz und knapp zu dem Vorfall nahe der deutsch-polnischen Grenze, dass dort zwei aus Rumänien stammende illegale Grenzgänger bei einem Jagdunfall getötet wurden. Die Jäger hätten die Bewegungen im Kornfeld in der Morgendämmerung für Wildschweine gehalten.

Phillip Scheffner beginnt den Film mit dieser sachlichen Feststellung der damaligen Berichterstattung, um sich dann mit den Familien der rumänischen Opfer zum Gespräch zu treffen. Über dem ersten Drittel von „Revision“ liegt als Leitmotiv die Frage: Wie beginnt man diesen Film? Jeder der befragten, hat darauf eine eigene Antwort. Das Dokumentarteam trifft sich mit den mecklenburgischen Landarbeitern, einem rumänischen Augenzeugen, der einheimischen Feuerwehr, dem Landwirt, dem Rechtsanwalt des einen Jägers, einem Journalisten, der über den Fall und die Übergriffe gegen Asylanten zu der Zeit berichtete, einem Pfarrer, der mit ausländerfeindlicher Grabschändung konfrontiert wurde, dem damaligen Staatsanwalt und am wichtigsten, mit den verarmten Familien der beiden rumänischen Opfer Eudache Calderar und Grigore Velcu. Der Fall wurde nach sich hinschleppender Ermittlung Jahre später als Jagdunfall eingestuft und zu dem Verfahren war niemand aus Rumänien anwesend, weil dort niemand informiert war.

„Revision“ versucht akribisch und in ständig größer werdenden Kreisen die Umstände dieses „Zwischenfalls“ zu rekonstruierten und stößt auf erstaunlich nachlässige Ermittlungen und desinteressierte, ja fatalistische Beteiligte. Gleichzeitig ist den rumänischen Familien zwischenzeitlich enormes Leid widerfahren, Armut, Obdachlosigkeit, Ahnungslosigkeit und nicht zuletzt der enorme Verlust des Vaters und Ehemannes. Es gelingt dem Dokumentarfilmern auch mühelos eine Verbindung zu den pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen zu ziehen, wenngleich in dem Film niemand direkt verantwortlich gemacht wird.

Formal und inhaltlich ist „Revision“ keine leichte Kost. Dadurch, dass der Film beinahe mantraartig immer wieder auf den Schlüsselmoment der Tötung zurückkommt wird er zugleich eindringlicher aber auch zermürbender. Für die Interviews haben sich die Filmmacher etwas Besonderes ausgedacht: „Revision“ zeigt nicht das Gespräch, sondern ganz im Sinne einer Überprüfung das kontrollierende Abhören des Gespräches, das zuvor aufgezeichnet wurde. Zum einen gibt dies den Befragten die Möglichkeit zu Ergänzungen oder Änderungen, zum anderen ist der Film so auf der rechtlich sicheren Seite und niemand kann das bestätigte verleugnen. Für den Zuschauer hat diese Art der Interviewaufzeichnung den enormen Vorteil, sich auf die Reaktion und die Mimik des Interviewten konzentrieren zu können, das ermöglicht erstaunliche, aber auch fordernde Einblicke.

„Revision“ ist ein wichtiger Film, der nach Diskussion geradezu schreit und ein erstaunliches Fehlen von Mitmenschlichkeit und Mitleid in Deutschland offenbart. Angesichts der immer stärkeren armutsbedingten Migrationsströme, die weltweit stattfinden, auch wenn sie von den deutschen an die EU-Grenzen verlagert wurden, stellt „Revision“ die legitime und zukunftsweisende Frage, wie rigoros wir unseren Wohlstand verteidigen wollen.

Film-Wertung:7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

Revision
Genre: Dokumentarfilm,
Länge: 106 Minuten, D, 2012
Regie: Philip Scheffner
Drehbuch: Philip Scheffner, Merle Kröger
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Real Fiction (Kino), Indigo (DVD)
Kinostart: 13.09.2012
DVD-VÖ: 20. Juni 2014

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