Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen

dibbuk-hochzeit-polen-vorschauDer letzte Film des polnischen Regisseurs Marcin Wrona lässt sich nicht leicht in Kategorien pressen. Die Art und Weise wie „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ mit Genre-Versatzstücken aus Thriller, Komödie, Horror und Gesellschaftsdrama spielt, wirkt frisch und ungewöhnlich. Dabei ist dem Film mit vergleichsweise bescheidenem Budget auch eine großartige Gesamtatmosphäre gelungen.

Peter (Itay Tiran), auch Pyton genannt, ist auf dem Weg zu seiner Braut  Zaneta (Agnieszka Zulewska) nach Polen. Ohne Schwierigkeiten findet der Ausländer den Steinbruch seines zukünftigen Schwiegervaters. Nach dessen Ansicht haben es die jungen Leute zwar etwas es etwas zu eilig, aber Peter wird kurzerhand in die Familie aufgenommen und zu Pjotr umbenannt. Die Hochzeit steht kurz bevor und das junge Paar will anschließend in einen verlassenen, heruntergekommenen Hof leben, den Pjotr wieder herrichten will.

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Hier soll auch die Hochzeitsfeier stattfinden, zu der das gesamte Dorf eingeladen ist, allerdings in einem Festzelt. Der Schwiegervater stellt dem Bräutigam zum Aufräumen kurzerhand einen Bagger mit Fahrer zu Verfügung. Pjotr macht sich aber selbst ans Baggern und auf ein vergrabenes Skelett, das er für menschlich hält. Aber er lässt sich von Schwager und Schwiegervater wieder beruhigen. Am Tag der Hochzeit macht nicht nur das Wetter der Festgemeinde einen Strich durch die Rechnung, sondern auch das zunehmend seltsame Verhalten des Bräutigams.

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Filme, die ausgetretene Pfade verlassen und eine gewisse Unberechenbarkeit entwickeln, sind zwar immer auch eine Herausforderung für das Publikum, aber auch immer ein Grund zur Freude, für Zuschauer, die sich auf die Reise machen. Dabei beginnt „Dibbuk“ wie ein klassischer Gruselfilm, bei dem der Held sich auf eine Reise an einen verwunschenen Ort begeben muss. Das Übersetzen mit der Fähre ist filmisch ein sicheres Zeichen, dass Pjotr sich auf unsicheres Terrain begibt. Die angespannte, leicht düstere Atmosphäre wird mit den grandiosen, spärlichen, ländlichen Settings und einer nostalgischen Optik gleich zu Beginn etabliert und es sieht so aus – und der Titel verheißt das ja auch – als wäre „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ ein klassischer Besessenheitsthriller.

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Aber weit gefehlt. Mit großartigem Gespür für Stimmungsnuancen zieht Regisseur Marcin Wrona zusammen mit seinem Kameramann Pawel Fils so ziemlich alle Register, um das Genre aufzubrechen und andere Einflüsse einzubringen. Dabei hält sich die eher überschaubare Geschichte vornehm zurück, lässt viel Deutungsspielraum und erklärt wenig. Vieles erscheint geradezu symbolisch aufgeladen und dabei zugleich mit schwarzem Humor gespickt. Das Buddeln mit dem Bagger etwa ist  eindeutig symbolisch beladen und auch die scheinbar zufällige Begegnung der Festgesellschaft mit einem Beerdigungszug lässt Unheilsschwangeres erahnen.

In anderen Momenten entblößt der Film die dörfliche Festgesellschaft in Form eines tableauartigen Buhnenstückes, bei dem vor allem der Arzt und auch andere Honoratioren sich immer wieder selbst entlarven. Vor allem was das Metaphysische angeht.  Denn an einen Besessenheit Pjotrs mag  so recht keiner glauben. Selbst als der frischgebackene Ehemann auf Jiddisch zu brabbeln beginnt, nimmt nur der alte Dorfschullehrer das Gesprochene ernst und erinnert sich an Zeiten, in denen es in dem Dorf noch eine lebhafte jüdische Gemeinschaft gab. Womit sich auch der Titel erklärt, denn Dibbuk beschreibt nach jüdischem Volksglauben den Geist eines Verstorbenen, der nicht zur Ruhe kommt und so in einen lebenden Wirt fährt.

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Wer nun in seinem historischen Wissen kramt, der wird ziemlich schnell beim Holocaust landen, aber so weit geht Marcin Wronas Film nicht. Das Verschwinden des jüdischen Lebens aus dem polnischen Alltag ist eher allgemein gehalten, zeigt eher eine grundsätzliche Anklage an latenten Antisemitismus. So wie auch die die Fremdenfeindlichkeit, die in der Tatsache, dass ausgerechnet der Ausländer besessen ist, nur angedeutet ist. Es geht dem Film nach dem Regiestatement von Wrona viel eher darum, einen grundsätzlichen Verlust von Spiritualität in der Gesellschaft zu thematisieren und eine Veränderung in der polnischen Gesellschaft zu umreißen – und das gelingt „Dibbuk“ mit großem Geschick.

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Dabei hilft neben den stilistischen Eigenheiten auch eine großartige Besetzung, in deren Mitte der israelische Schauspieler Itay Tiran als besessener Außenseiter zu brillieren weiß. Beinahe nahtlos sind die Übergänge der Besessenheitszustände, werden sowohl körperlich als auch emotional mit großer Variabilität vorgeführt, bis hin zur anrührenden, tragischen Identität des Dibbuk selbst.  Dabei kommt oft genug absurder, ja fast schwarzer Humor ins Spiel, bei dem man als Zuschauer nie genau weiß, ob das jetzt tatsächlich auch zum Lachen gedacht war. Darin  und in seiner spirituellen Dimension ist „Dibbuk“ auch Malgorzata Szumowskas „Body“ (OT: „Cialo“) ähnlich, der ebenfalls 2015 veröffentlicht wurde.

Filmmacher Marcin Wrona galt als einer der talentiertesten und variabelsten Regisseure Polens. Das knappe Werk des Regisseurs reicht von ausgezeichneten Kurzfilmen über anspruchsvolle TV-Produktionen und eine Serie bis hin zu drei beachtlichen Kinofilmen, von denen „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ der letzte ist. Marcin Wrona nahm sich tragischer Weise im Herbst 2015 mit 42 Jahren das Leben, während sein Film „Dibbuk“ noch auf Festivals lief.

Wer sich die polnisch-israelische Koproduktion „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ mit offenen Augen und ohne Scheuklappen anguckt, wird mit einem außergewöhnlichen, intensiven Drama belohnt, das auf der Basis soliden Gruselns geschickt zwischen den Filmgenres spaziert.

Film-Wertung:8 out of 10 stars (8 / 10)

Dibbuk-PlakatDibbuk – Eine Hochzeit in Polen
OT: Dibbuk
Genre: Thriller, Horror, Drama
Länge: 93 Minuten, POL/ ISR, 2015
Regie: Marcin Wronda
Darsteller: Itay Tiran, Andrzej Grabowski, Agnieszka Zulewska
FSK: ab 16 Jahren
Verleih: Drop-Out, Cinema Obscura
Kinostart: 28.07.2016

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