Overgames: Spielerei und Erziehung

04 OVERGAMES-vorschauAls der Dokumentarfilmer Lutz Dammbeck zufällig im Internet auf einen alten Talkshow-Schnipsel stößt, weckt das nicht nur seine Neugier, sondern führt auch zu einer Intensiven Recherche und zu einem fast eine Dekade dauernden Projekt, das nun in Form des Films „Overgames“ zu bestaunen ist. Über 164 Minuten breitet der Filmmacher dabei in assoziativer und essayistischer Form einen Zusammenhang zwischen Spielshows, der Idee der Freiheit und der Umerziehung der Nachkriegs-BRD aus. „Overgames“ kommt zwar als beinahe puristischer Recherchefilm daher, hat aber einige recht erstaunliche Einblicke in die Entwicklung moderner Unterhaltungsmedien und in die Ideengeschichte zu bieten. Wer hat Angst vor langen Filmen?

In einer Talkshow mit Anne Will erzählt der Showmaster Joachim Fuchsberger, die Spiele seiner in den Sechziger Jahren gelaufenen Show „Nur nicht nervös werden“, die nach einen US-amerikanischen Vorbild produziert wurde, würden aus der Psychiatrie stammen, wo sie zu Therapiezwecken eingesetzt würden. Angesprochen auf das Interesse der deutschen Zuschauer, antwortet Fuchsberger ihm habe damals „Eine Nation -“ Eine verrückte Nation! Eine psychisch gestörte Nation!“- zugeschaut.

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Aus dieser kurzen Sequenz entwickelt Lutz Dammbeck („Das Netz“, „Das Meisterspiel“) seine Recherche anhand von drei Fragestellungen. Dammbeck startete seine Karriere als Animationsfilmer in der DDR, wandte sich dann dem Dokumentar- und Experimentalfilm zu und siedelte 1986 nach Hamburg über. Auch Dammbecks Recherche-Odyssee dauert ein Jahrzehnt. Naheliegender Weise wollte der Filmmacher wissen, was dran ist an Fuchsbergers steiler These? Darüber hinaus fragt der Film, ob ein Zusammenhang mit dem 1943 erschienenen Buch „Is Germany Incurable?“  des amerikanischen Psychiaters Richard Brickner bestehen könnte, das quasi die „Blaupause“ für die amerikanischen Umerziehungsbemühungen im westdeutschen Nachkriegsdeutschland darstellt.

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Etwas abstrakter, aber nicht weniger interessant, versucht „Overgames“ auch eine Rückkopplung mit der Ideengeschichte der Freiheit, die mit demokratischen Bestrebungen im 18. Jahrhundert in England begann, in der Französischen Revolution weitergeführt wurde und schließlich in der Existenz der USA vorerst ihre Vervollkommnung erfährt. Aus dem Selbstverständnis dieser Freiheitsidee allerdings leitet sich auch der Anspruch ab, sie weltweit umzusetzen, womit sich dann auch die Bemühungen erklären den amerikanischen Lebensstil in die Welt zu tragen. Dazu ist im Grunde eine permanente Revolution notwendig, die allerdings nicht im Sinne Trotzkis, der den Begriff geprägt hat, und der marxistischen Weltsicht verstanden werden darf (Dank an dieser Stelle an den unermüdlichen Fragensteller, der dies bei der Vorstellung des Films im November 2015 in München so ausführlich erläutert hat).

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Diese thematische Ausrichtung mag sich auf den ersten Blick etwas verstiegen und theoretisierend anhören, aber das Verständnis dessen, was „Overgames“ in seinen annähernd drei Stunden ausbreitet, stellt sich schnell ein, denn Lutz Dammbeck bricht das Theoretische immer wieder in verdaubare Häppchen, lässt Raum für den Zuschauer, eigene Gedanken zu fassen. Der Filmmacher strukturiert seine Recherche zwar fließend und mäandernd, aber immer auch anhand von Sinneinheiten, die letztlich die 17 Abschnitte des Films ausmachen.

Lutz Dammbeck

Dabei verlässt sich der Filmmacher ganz auf das Medium und verzichtet auf crossmediale Einbindungen, Animationen oder stilistische Experimente. Dammbeck selbst wird zum Protagonisten, zum Suchenden, zum Forschungsreisenden in Sachen Umerziehung und Medieneinsatz. Die Stationen seiner Recherche werden ebenso dokumentiert wie gefundenen Quellen. die Bücher und Zeitschriften hält Dammbeck schlicht vor die Kamera, statt sie aufzubereiten, filmisches Archivmaterial wird auf dem Computerbildschirm eingeblendet oder durch die Aufnahme mit der Kamera beobachtet. Das mag man antiquiert finden und ästhetisch ein bisschen fad, fokussiert aber auf das Wesentliche, das Thema. Zugleich zeigt sich in diesem seltsam analogen Zugang zu Thema und Medium auch immer eine doppelte Gebrochenheit, eine Metaebene, die eher zu erspüren als letztlich zu erklären ist. Das Verständnis des Themenkomplexes stellt sich intuitiv ein. Der Film „Overgames“ weiß keineswegs bereits am Anfang, was am Ende herauskommt, hat keine feste These im Kopf, die es um jeden Preis zu verifizieren gilt, sondern wagt das Abenteuer, ergebnisoffen auf eine Reise zu gehen.

Und so verwundert und überfordert es auch nicht, dass „Overgames“ mit erstaunlicher Selbstsicherheit die Entstehung- und Erfolgsgeschichte amerikanischer Gameshows neben die anthropologischen Forschungen einer Margaret Mead stellt, dass die amerikanischen Bemühungen der Re-Education auch und vor allem über Markt und Medien wirken sollen und das Aufbegehren der 68er gegen die Mief unter den Talaren auch zu Teilen eine Folge jener Idee der permanenten Revolution der Freiheit sein könnte. „Overgames“ ist weit weniger verschwörungsschwanger als man meinen mag, statt dessen bietet die Doku alternative Ansätze unsere jetzige Gesellschaft und auch das globale Geschehen aus ihrer jüngeren Geschichte heraus zu verstehen und zwar aufgrund von Phänomenen und Bewegungen, die als Subtext im Alltag mitschwingen oder es zumindest könnten.

Mit „Overgames“ beackert Lutz Dammbeck das von ihm ausgewählte Feld von Unterhaltung, Psychologie und Umerziehung in beinahe enzyklopädischer Weise. Die gesellschaftliche Relevanz dieser Phänomenen zieht sich schon lange durch Dammbecks Werk. Dabei muss man als Zuschauer keineswegs den Zusammenhängen folgen, die der Film herstellt, im Gegenteil Dammbeck regt zum Selber Denken an. Was kann man von einer gelungenen und sehenswerten Doku mehr erwarten?

Film-Wertung 8 out of 10 stars (8 / 10)

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Genre: Dokumentarfilm,
Länge: 164 Minuten
Regie: Lutz Dammbeck
Mitwirkende: Philip G. Zimbardo, Bob Noah, Rick Prelinger, Syd Vinnegde
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Lutz Dammbeck Filmproduktionen
Kinostart: 21.04.2016

Offizielle Film-Homepage mit Terminen

Filmmacher Lutz Dammbeck stellt seinen Film „Overgames“ als „Film und Gespräch“-Veranstaltung in vielen Städten Deutschlands persönlich vor. Auftakt dazu ist am 20.April im Metropolis-Kino in Hamburg. Weiter Termine finden sich auf der Homepage.