The Visitor – Ein Sommer in New York : Spiel für mich, Walter!

visitor_03-vorschauFilmmacher und Schauspieler Tom McCarthy ist aktuell zwei Mal mit seinen Journalisten-Thriller „Spotlight“ für den Oscar-nominiert. Bei uns kommt der sehenswerte Recherche-Film über Missbrauch in der katholischen Kirche am 25. Februar in die Kinos. Bei der Gelegenheit und angesichts der europäischen Flüchtlingskrise, stelle ich hier noch einmal „The Visitor – Ein Sommer in New York“ von 2007 vor, ebenfalls von Tom McCarthy gedreht und mit einem grandiosen Richard Jenkins in der Hauptrolle.

Walter Vale (Richard Jenkins) ist ein ernster Mann, der sehr zurückgezogen lebt seit seine Frau vor einiger Zeit verstorben ist. Sein Job als Professor ist im Grunde nur Fassade, da sich Walter im bequemen Nichtstun eingerichtet hat. In seiner Freizeit nimmt er Klavierstunden und stellt sich nicht gerade begabt an. Walters Verschleiß an Klavierlehrern ist relativ hoch. Weil seine Frau Konzertpianistin war, versucht er durch das Klavier eine Art Trauerarbeit zu leisten.

The Visitor

Als eines Tages seine Uni-Kollegin krank wird, kommt Walter in die Bredouille, denn die gemeinsam verfasste Arbeit muss auf einem Kongress in New York präsentiert werden: So sehr sich Walter auch weigert, die Aufgabe bleibt an ihm hängen. Also fährt der Professor nach New York, wo er seine Zweitwohnung, die er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr genutzt hat, bewohnt vorfindet.

Ein findiger Gauner hat die leer stehende Wohnung unter der Hand an ein illegales Einwandererpärchen vermietet. Nach der ersten, gegenseitigen  Aufregung räumt das Paar die Wohnung, hat aber offensichtlich keine Alternative, um die Nacht zu verbringen. Die Situation ist dem Professor äußerst unangenehm und so bietet er den beiden an, doch bei ihm zu wohnen, bis sie eine andere Wohnung gefunden haben.

Während die Frau, Zainab (Danai Gurira), mit der Situation sehr skeptisch umgeht, versucht Tarek (Haaz Sleiman) einen Kontakt zu Walter herzustellen. Und mit der Zeit findet Walter Gefallen an der Gesellschaft und entdeckt durch Tareks Trommeln seine Lust an diesem Instrument. Tarek gibt Walter Unterricht und so ganz allmählich erwacht in dem Witwer die Lebenslust zurück.

Als Tarek eines Tages verhaftet wird und abgeschoben werden soll, versucht Walter alles in seiner Macht stehende dem neuen Freund beizustehen und dann taucht Tareks attraktive Mutter Mouna (Hiam Abbass) in New York auf, weil ihr Sohn in Schwierigkeiten steckt. In dem gemeinsamen Bemühen um Tarek kommen sich Mouna und Walter näher.

The Visitor

Mit „The Visitor“, so der Originaltitel von „Ein Sommer in New York“, ist dem Schauspieler und Regisseur Thomas McCarthy „Win Win“, „Spotlight“) ein außergewöhnlicher Film gelungen. Wie schon mit seinem Regiedebut „The Station Agent“ setzt McCarthy auf leise Töne und schafft es erneut durch ungewöhnliche Menschen und Konstellationen eine Geschichte zu erzählen, die sowohl ernsthaft und dramatisch ist, als auch von feinem Humor und großer Hoffnung durchdrungen.

Zwar ist „Ein Sommer in New York“ vor allem die Geschichte des Witwers Walter, der quasi wieder zum Leben erwacht, aber gleichzeitig ist der Film ein politisches Statement gegen die Abschiebebedingungen in den USA und zu dem Umgang mit muslimischen Ausländern nach 9/11. Dabei ist das Drama nie plakativ, sondern zeigt einfach die Menschen und ihr Leben. Es geht nicht darum, ob man die Macht und die Mittel hat etwas zu ändern, sondern darum, nicht gleichgültig zu sein.

The Visitor

Die wunderbare und treffliche Besetzung des Films macht die Story zu einem intensiven und trotz aller Dramatik schönen Kinoerlebnis. Das Hauptdarsteller-Quartett überzeugt von der ersten Minute an. Die eher unbekannten Danai Guira und Haaz Sleiman („American Dreamz“) verleihen dem jungen Paar realistische Tiefe und die palästinensische Charakterdarstellerin Hiam Abbass („Lemon Tree“) bildet einen stolzen und emanzipierten Gegenpol zu Richard Jenkins.

Richard Jenkins, einer der vielbeschäftigten Nebendarsteller Hollywoods („Burn after Reading“, „Bone Tomahawk“), ist seit Anfang der 1970er Jahre aktiv und erhält mit der Rolle des Walter Vale endlich die Möglichkeit zu beweisen, dass er auch als Hauptdarsteller einen Film tragen kann. Fast jeder kennt sein Gesicht und den ein oder anderen Filmgag. Meine liebste Szene mit Jenkins  ist tatsächlich aus „Flirting with Desaster“ (1996): „Man kann den Wind nicht fangen“ wusste schon der FBI-Agenten Paul Harmon auf LSD.

The Visitor

Es ist nicht nur das komödiantische Talent Jenkins‘, sondern diese so charakteristische, tiefe Ernsthaftigkeit aus der sich in seinen Figuren der Humor entwickelt. Es gibt wenige Schauspieler, denen man den Wandel vom Trauerkloß zum Djembe-Spieler im Park so glaubwürdig abnimmt. Gut, nach dem kiffenden Vater in „Six Feet Under“ ist der Sprung vielleicht nicht mehr so riesig. Dennoch schafft es Richard Jenkins mit „Ein Sommer in New York“ endlich zu meinen absoluten Lieblingsschauspielern zu gehören. Die Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller war nach der langen Karriere auch mehr als überfällig. Aber wie schon erwähnt, „Ein Sommer in New York – The Visitor“ hat deutlich mehr zu bieten als nur eine Paraderolle für Richard Jenkins.

Ein Sommer in New York“ ist ein wunderbarer Film über einen Mann, der seine Lebenslust wiederfindet. Damit ist auch verbunden, sich für etwas zu engagieren. Mit wunderbaren, ruhigen Humor und der nötigen Portion Dramatik fesselt der Film vor allem durch seine Menschlichkeit. Ein Plädoyer für ein mitfühlendes Zusammenleben und gegen Ausgrenzung und Isolation.

Film-Wertung:8 out of 10 stars (8 / 10)

visitor_posterEin Sommer in New York – The Visitor
OT: The Visitor
Genre: Drama, Komödie
Länge: 100 Minuten, USA, 2007
Regie  & Drehbuch: Tom McCarthy
Darsteller: Richard Jenkins, Hiam Abbass, Haaz Sleiman, Danai Gurira
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Pandastorm / Ascot Elite Home Entertainment
Kinostart: 14.01.2010
DVD-VÖ: 19. August 2010